Blogtexte2022_1-Halbjahr
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reits, die taugten
für diese Idee.
Es wäre doch
schön, einen
Segeberger mit
„x“ dabeizuhaben
oder in der Kombination
„se-xy“,
fand jemand. Wir
durften am Wochenende
privat
auf die Suche
gehen, immer
mit der Kamera
schussbereit. Vor
dem „Atlantik“ oder „Vierjahreszeiten“ wurde
ich tatsächlich fündig. Ein weißer BMW,
ein kleines Cabrio hatte das gewünschte
Kennzeichen. Und ich habe dieses Fahrzeug
fotografiert. Das wurde genommen. Ich
war siebzehn, noch Schüler und konnte am
Montag damit punkten, die Jagdbeute erlegt
zu haben.
Nicht nur die Alster und ihre Flaniermeile
hatten wir im Visier. Werbung sollte
Hamburg attraktiver machen, auch dort, wo
hässlich gebuddelt wurde, Baustellenlärm,
Bagger, Stau und Staub die Menschen behinderten.
Der Hauptbahnhof bekam einen
Bauzaun rundherum. Das war unvermeidlich:
Dieser Zaun stand mehr als ein Jahr. Was
tun? Wir haben ihn in Dunkelblau streichen
lassen. Darauf kam in regelmäßigen
Abständen von einigen Metern die Burg,
dazwischen die „Istmen“, Hamburg ist Mors
Mors, Hamburg ist Zuhause, Hamburg ist
Elbtunnel usw.
# 1.000 Euro sind zu gewinnen
Und du kannst dabei noch was für uns alle
tun! Den Wettbewerb in Schenefeld werden
fleißige Mädels im Kunstkurs abarbeiten. Ich
ärgere mich nur,
wenn ich dieses
Plakat an der
Poststelle sehe
oder ein Foto
der einschleimend
grinsenden
Bürgermeisterin
im Tageblatt,
die möchte, dass
motivierte Schülerinnen
womöglich
für nass ein wenig
rummalen. Nicht,
dass es mir ums
Geld ginge, aber
im Beruf, wenn
ein Grafiker damit
beauftragt würde,
müsste die Stadt zahlen. Ich kann Christiane
Küchenhof, unsere Verwaltungschefin, ganz
persönlich nicht leiden. Das ist bekannt?
Für mich kommt es nicht in Frage, der Stadt
was anzubieten. Das würde auch niemand
wollen. Weder als Auftrag, noch als Gefälligkeit.
Für immer verstört. Persona non grata
bis über den Tod hinaus beiderseits. Ärger
motiviert, den Abstand einzuhalten und gar
nichts zu ignorieren.
Und die jungen Künstlerinnen (Jungs
beteiligen sich nicht. Sie wollen Manager
werden), nicht alle sind vorn mit dabei: „Dein
Entwurf hat uns gut gefallen, aber leider
haben wir uns anders entschieden.“ Das
könnte dabei herauskommen. Tausend Euro
Preisgeld, zehn Arbeitsstunden sind sportlich
bei der zu erwartenden Kritik, was alles
bitteschön noch geändert werden müsste.
Auftraggeber können in der Regel selbst
nichts malen. Christiane, die Talentlose
oben vom Stadtturm, jedenfalls, ist
vollkommen unfähig, überhaupt Ansätze
einer Gestaltung zu begreifen. Sie kann
Klee nicht unterscheiden von Bereuter. Sie
malt selbst nur in schwarz. Die Eitle zieht
den Lidstrich ins Altmädelsgesicht und
fragt den Spiegel ein ums andere Mal:
„Wer ist die Schönste im ganzen Land?“
Das kann sie. Die Zwerge im schottischen
Hochland und anderswo verstummen, ob
ihrer Bosheit, vergiftete Äpfel unter das
Volk zu bringen. Ein Talentwettbewerb ist
eine schöne Sache. Da sieht man nicht auf
den Lohn. Es winkt der Ruhm! Aber
wenn einige draufschauen, was du
gemacht hast, wollen diese Leute
sagen, was ihnen „nicht“ daran
gefällt. (Man hat eine Helmut-
Schmidt-Gedenkmünze irgendwo
in Auftrag gegeben. Der Grafiker
musste die Zigarette aus der Hand
des Altkanzlers entfernen. Nun hält
Helmut zwei leere Finger in die
Luft auf dem Ding. So ist Grafik. Nur
solche wie Picasso können darüber
bestimmen, was sie entwerfen bis
zum fertigen Produkt). An zwei
Arbeitstagen schafft niemand ein
Logo fertig zum Druck.
Immerhin, das mache ich: Im
Moment entwickelt sich in meinem
Atelier eine Konstruktion für die
Stephanskirche. Eine Bank wird zur
Plauderecke mit Daniel oder Rinja
auf einem Gartenfest im Sommer.
Dafür benötigen wir ein Schild. Die
Kirche ist freundlich. Für jede Taufe fertige
ich ein neues Blatt aus grünem Filz für unseren
Lebensbaum. Den Trecker für Erntedank
habe ich mit einer neuen Tafel versehen.
Das sind die letzten verbliebenen Aufträge
mit regulärer Grafik, auf die ich mich
eingelassen habe. Ein Logo für einen
baltischen Chor zu gestalten oder Radtouren
darzustellen, einige Korrekturen
für „Bark“, alles liegt schon Jahre zurück,
und nun habe ich meinen
Steuerberater gebeten, eine
Geschäftsaufgabe vorzubereiten.
Dann bin ich nur noch
Maler meiner unverkäuflichen
Bilder. Ich könnte die
Webseite löschen.
Für die Gesellschaft empfinde
ich in erster Linie Spott,
weil die meisten nur mitlaufen
und oft unehrlich sind,
auch zu sich selbst. Es tut weh,
mit anderen zusammenzutreffen,
weil viele borniert, bösartig
und dumm auftreten, denen
man nebenbei begegnet. Ich
gehe Menschen pauschal aus
dem Weg. Einsamkeit ist scheiße,
aber die anonyme Bosheit
derer, die freundlich getan haben, um mich
dann doch erkennbar als Beute anderswo zu
verkaufen, das hat mich verändert. Mit Alex
im Cotton-Club (am Abend vor der Beerdigung
meiner Mutter) die Lieblingsmusik
Jazz zu hören, ist mehr als verstörend (aus
heutiger Sicht), wie das offenbar gelaufen ist
mit penibler Vorbereitung, dabei Mäuschen
zu sein, der anderen, um meine „Freundin“
drumherum.
Nie wieder Empathie.
Ich hasse Frauen, tatsächlich, einige. Das war
anders. Ich habe mich verändert. Ein wenig
reden ja, Geschichten sind das. Mein Herz
hängt nicht dran, wenn ich mich unterhalte.
Ich vermeide Beziehungen zu pflegen oder
neue einzugehen. Nur was unbedingt nötig
ist. Die Beziehung zum Markt; Leben ist
Geld. Meine Existenz: Wenn die Inflation
schlimmer wird oder der Krieg sich ausweitet,
werde ich betteln um irgendeine Arbeit
wie der letzte Dussel ohne Ausbildung. Das
ist mir scheißegal.
# Hass ist ein guter Ratgeber!
Wer sich
vorstellen
kann, wozu
ein Mensch
fähig ist, lebt
in der Realität.
Man kann
sich leichter
zurückhalten,
wenn man
um die Gefahr
weiß, was
alles kaputt
gehen kann.
Wenn andere
ausrasten
und sogar
töten im
Zorn, denken
nicht wenige,
bei ihnen
selbst wäre
es anders?
Die sind naiv. Meine Einstellung ist, keine
Erwartungen an die Zukunft zu haben, außer
zunehmende Schwierigkeiten anzunehmen.
Je älter man wird, um so mehr Beschwerden
kommen. Das ganz Tolle jedenfalls, für mich
wird es ausbleiben. Wir treten auf Afrika rum,
den armen Ländern. Corona und der Krieg
um die Ukraine demolieren unsere Illusion
eines gerechten Lebens. Nicht zuletzt die
Klimaentgleisung, die wir nicht aufhalten
werden durch schöne
Worte, wird uns
den Garaus machen.
Es gefällt mir, miese
Zeiten am Horizont
drohen zu sehen.
Ich bin als ein
Mensch durch die
besten Jahre meines
Lebens gegangen,
ohne sie spüren zu
können. Um mich
herum haben die
anderen Karriere
gemacht, geheiratet,
Kinder bekommen,
Häuser gebaut, große
Schiffe gekauft
und sind in den
Urlaub geflogen. Ich bin dem nachgelaufen
und habe mir vom Psychiater das Gelaber
angehört, das niemand gesund macht und
die empfohlenen Pillen gefressen. Bis ich
damit aufgehört habe, es zu tun. Das liegt
lange zurück, aber danach ist klarzukommen
in Scheißschenefeld nicht einfacher. Der
Versuch, noch zu leben (zum Schluss). Mehr
ist das nicht. Eine fiese Wut treibt mich, und
wenn es dumm kommt, ende ich bei den
Mai 5, 2022 - „Das Ohr zur Welt“ 74 [Seite 73 bis 75 ]