Blogtexte2022_1-Halbjahr
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„Bassi“ wäre neunzig
heute
Mrz 15, 2022
Was macht krank,
warum geht es mir
heute gut? Ich kann das beantworten. Besser
noch, als dass ich gesund bin, ist dieses Wissen.
Was kann ein Mensch tun, der ja nicht
irgendwer ist; ich konnte mich optimieren,
wie andere ihren Rennwagen oder das Boot
für eine Wettfahrt. Im Leben bestehen, auf
der Bahn. Nicht aus den Schienen fliegen,
wenn Fremde scheinbar die Macht über das
Tempo haben. Es bedeutet, das Fahrzeug
selbst zu lenken. Ich habe schon viele Regatten
gesegelt und einige gewonnen. Es hilft,
darüber nachzudenken, wie es beim Segeln
ist, wenn Dinge nicht funktionieren und
Ratgeber versagen.
Zu einer guten Regatta gehören die Regeln,
wie diese zu segeln ist. Man vergleicht sich
in einem abgesteckten Revier mit ganz
bestimmten Booten. Da segeln nicht große
Yachten gegen kleine Jollen, ohne dass ein
Kenner wüsste, solche Vergleiche machen
wenig Sinn. Gegen einen Großsegler wie die
„Gorch Fock“ unter vollen Segeln, mit schönem,
achterlichen Wind unterwegs, kann ein
kleines Segelboot nie gewinnen. Die Bark
wird über den Atlantik segeln, wir fallen zurück
und müssen bereits in der Elbmündung
aufgeben, schaffen es nicht einmal heil über
die Nordsee auf den Atlantik raus. Dabei ist
alles unzureichend, um mithalten zu können.
Wir haben nicht genügend Proviant, können
dem Seegang auf dem Meer nicht standhalten
und das Tempo, das unsere mickrigen
kleinen Segel an Vortrieb erzeugen, reicht
nicht. Wir können bei diesem Kräftemessen
nie gewinnen. Die Zeiten, als große
Segelschiffe unterwegs waren, kenne ich
aus Beschreibungen meines Großvaters. Die
„Pamir“ wäre ein 13-Knoten-Schiff gewesen,
sagte er etwa, oder von der „Passat“ hätte
es geheißen, sie habe bei Flaute noch ein
Flappen ihrer Segel (in der Dünung) nutzen
können, wäre einem Konkurrenten davon
gesegelt. So im Leben: Der Mensch vergleicht
sich mit anderen. Für manche steht
die Anerkennung und nicht das verdiente
Geld an erster Stelle. Wir möchten nicht von
Elefanten bewundert werden, sondern einen
Platz in der menschlichen Gesellschaft erringen.
Auch welche, die meinen, das sei gar
nicht so wichtig, ertappt man dabei, auf den
Applaus zu schielen.
Ich weiß noch, wie es Piet gelang, dauerhaft
schneller zu werden. Anfangs waren mein
Mitsegler Henning und ich ihm überlegen,
aber auf einer Jahresauftaktregatta schaffte
Peter nach etlichen Anläufen einen Durchbruch
in Lee. Wir hatten vom
Start weg auf ihn gesegelt,
da wir nur mit zwei H-Jollen
angetreten waren in einer
Wettfahrt, die eine bunte
Mischung verschiedener
Bootstypen darstellte. Mit
welchen Großen wir zusammen
starteten, interessierte
nicht. Wir beide mit unseren
Jollen umkreisten einander
schon vor dem Start wie die
Gegner im America’s-Cup.
Es ging elbab bis irgendwo
Pagen und dann zurück.
Keine anspruchsvolle Sache
in der Meisterschaft, einfach
nettes Regattasegeln und
ganz früh in der neuen Saison.
Wir lagen mit unserem
Boot gleich vorn, hatten den
Start am Yachthafen besser
hinbekommen, aber Piet
war auf Rufweite bei uns. Wir kreuzten dicht
zusammen Schlag um Schlag gegen leichten
westlichen Wind an der Nord. Mit meiner
neuen Clownfock liefen wir gut, Henning
schotete, wenn der Wind nachließ aus der
Hand, und Peter griff zwar an, blieb aber
ohne wirkliche Chance. Weiter elbab kamen
wir sogar deutlich weg von ihm und waren
übermütig, guter Laune. Das Jahr schien gut
anzufangen.
Die letzte Saison war erfolgreich verlaufen.
Wir erwarteten, daran anzuknüpfen. Piet
ist ein wenig jünger als ich, und zunächst
konnte ich ihn leicht schlagen mit meiner
Erfahrung aus dem Pirat. Wir haben beide
das Boot unserer Väter jeweils zum eigenen
machen können. Bassi, der am heutigen Tag,
wo ich diese Zeilen tippe, neunzig geworden
wäre, hat sich seine Jolle 1955 bei Feltz
bauen lassen und später verkauft, als meine
Schwester geboren wurde. Ich holte unser
Boot mit dem Kauf also wie zurück in die
Familie, und Peter hat anfangs bei seinem
Vater mitgesegelt, sein Schiff daraus gemacht,
als er alt genug gewesen ist und Adje
gern kürzer getreten ist für seinen Sohn.
Diese Auftakt-Regatta irgendwann, bedeutete
für Piet, mich von diesem Tag an immer
wieder schlagen zu können. Er gewann diese
eine, kleine Wettfahrt schließlich. Danach
kam er auch in der Meisterschaft nach ganz
vorn. Mein Stern sank, im Alltag scheiterte
ich auch. Das Segeln verbindet Peter und
mich wie damals. Ein gutes Beispiel, finde
ich, dass Siege zu erkämpfen oder eben
nicht, im Sport anderes bedeuten als die Demütigung,
sich selbst zu schaden (und nicht
zu wissen wie) im Leben an sich. Wir fingen
gemeinsam in der Klasse an, und anfangs
war ich besser gewesen. Diese eigentlich
unbedeutende Regatta, von der ich schreibe,
wurde ein Wendepunkt in mancherlei
Hinsicht. Es hat sich gezeigt, dass der Sport
das eine ist, das Leben anderes; und ich
habe einen Freund behalten, nachdem mein
Leben insgesamt scheiterte. Regatten konnte
ich nicht mehr siegreich abschließen. Es
geriet zur gleichen Zeit alles daneben und
zerstörte viele Träume.
Nachdem wir irgendwas bei Pagensand
(oder vor Bielenberg) gerundet hatten, liefen
wir wohl mit einem nördlichen Wind elbauf.
Doch ungefähr am Kleinen Kohn gelang es
Peter, uns im geringen Abstand in Lee zu
überholen. Da war nichts mehr zu machen.
Er ist einfach schneller gewesen. Es ging
geradeaus, und die Kunst für ihn hatte darin
bestanden, den Anschluss nicht zu verlieren,
nie aufzugeben. In einem Moment, wo
ich mir die Frechheit auf ihn abzufallen
nicht erlauben durfte und vielleicht mürbe
geworden bin, brach er einfach durch. Ich
weiß noch, wie klar wurde, dass seine Fock
freien Wind vor unserem Bug bekam, er
leicht hochziehen konnte und die sichere
Leestellung, wie Curry es nennt, zu wirken
begann. Er wurde nun deutlich schneller
und zog beharrlich weiter leicht, ja kaum
merklich hoch. Die Jolle raste wie doof
nach vorn! Ich erinnere seinen Ausruf in
diesem Moment, ein triumphierendes: „Ja!“
oder ähnlich – und das war’s nicht nur für
diese Wettfahrt. Er schien nun mit jedem
Meter schneller zu werden. Schon unter den
Hochspannungsmasten hatte die „Herz Jung“
eine beträchtliche Entfernung rausgesegelt.
Wir fielen immer mehr zurück. Das hatte
gar nichts mit irgendwelcher Taktik noch
zu tun. Ich steuerte einfach schlecht – und
hatte mich aufgegeben. Wir kamen eine gute
Meile zurück liegend nach ihm an.
Das war nicht nur das Segeln, auch der Beginn
dieser Jahre, in denen mein Leben insgesamt
jeden Kurs verlor und ich von nun an
krank gewesen bin. Auf dem Wasser konnte
ich nur im Ausnahmefall noch gut Regatta
segeln, jedenfalls blieben Henning und ich
beinahe immer hinter Peter zurück. Unsere
Freundschaft hält bis heute, muss dazu
gesagt werden. Peter ist einer der Menschen,
die sehr viel Geld verdienen. Er beantwortet
übrigens jede E-Mail umgehend, mein
Freund; das nur als Hinweis für welche, die
eingebildet sind. Davon gibt es ja einige.
Viele denken, jemand habe ein schnelles
Boot, wenn ein Sieger die Regatta gewonnen
hat, aber ein Schiff zu trimmen, dass es läuft,
ist das eine, schließlich entscheidet Taktik
über das Ergebnis im Ziel. Ich fragte Piet
später einmal, warum das Boot, das unter
Adje nie den Ruf hatte, ungewöhnlich zu
laufen, nun so rast. Sein Vater hatte die Jolle
besonders auf der Alster, durch legendäre
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