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Wir lehren, wollen den Wahnsinn?
Apr 23, 2022
Drei tote Frauen, eine im Rollstuhl. Eine
Nachricht zum Amoklauf in Würzburg,
der Prozessauftakt gegen einen Somalier
gestern im Fernsehen. Dazu fällt mir Ungewöhnliches
ein. Mein Thema ist (wie immer)
unser Wortsalat, das vermeintlich Richtige
zu denken und die harte Realität auf der
anderen Seite. Ein Messer kann eine Waffe
sein, aber ein Wort kann dazu führen, es als
solche zu verwenden. Vor dem gesprochenen
Wort befindet sich noch der gewalttätige
Gedanke. Manche möchten bereits hier
ansetzen, das Übel im Hirn verbieten, bevor
es überhaupt gedacht würde?
Mit einigen Umwegen finde ich mir die
Worte für diesen Text zusammen; zunächst
Beispiele: Ein „weißer Schimmel“ gilt als
Stilblüte. Das Pferd ist bereits als weiß
erklärt, wenn es ein Schimmel ist. Ein Rappe
ist schwarz, so etwas lernen wir als Kind. Der
Lehrer wird dergleichen doppelte Formulierungen
dem Schüler ankreiden. Das ist eine
Logikschule und entsprechend sinnvoll, jungen
Menschen Sprachunsinn auszutreiben.
Ausdrucksfehler sind eine eigene Kategorie
im Unterricht: „Er schüttelte sie so lange, bis
etwas Silbernes im Grase glänzte“, fabulierte
seinerzeit ein Mitschüler. Falsch, meinte unser
Deutschlehrer, so schreibt man nicht. Wir
lernten, dass man Menschen schütteln kann,
bis ihnen schlecht wird, aber nicht, bis etwas
Silbernes im Gras glänzt. Bis zu diesem
Moment fanden wir die Story ganz gelungen
erzählt. Ein kriminalistisches Detail war, dass
ein Metallgegenstand zu Tage kam, und das
passierte in dieser Rangelei. Was sollte an
diesem Satz nicht richtig sein?
Vor kurzem schaute ich eine Nachrichtensendung.
Der Sprecher betonte, dass jemand
wissentlich gelogen habe. Zweimal fiel
dieser Satz, jedes Mal schaute ich in das
naseweise Gesicht dieses Redners, der die
Lüge als solche noch steigern wollte? Andere
Beispiele kommen mir dazu in den Sinn.
Den Holocaust zu leugnen, ist bei uns nicht
erwünscht. Das wäre wohl eine wissentliche
Lüge. Alle wissen, wie schlimm es war, selbst
die, die damals nicht gelebt haben. Es wird
uns ja immer gesagt und mit Bildern gezeigt
und bedeutet eine deutsche Wahrheit. Der
Coronaleugner folgt dem Erstgenannten auf
dem Fuße, aber nichtsdestotrotz wird hier
ein verbales Druckmittel angewendet nach
dem Motto: Das musst du glauben!
Zu lügen heißt wissentlich Sachverhalte
verschleiern.
Kein Tag vergeht, in dem wir nicht vom
Angriffskrieg der Russen hören, der dort
im Land selbst nicht Krieg heißen darf. In
Russland ist es eine Militärische Spezialaktion.
Einen Krieg zwischen der Ukraine und
Russland nennt es jedoch niemand mehr. Bei
uns ist es der völkerrechtswidrige Angriffskrieg,
nicht einfach so nur ein Krieg. Nun
hat es auch der letzte begriffen, dass Putin
seinen Krieg führt. Wer sich in Deutschland
nicht auf die richtige Seite stellt, bekommt
zunehmend Probleme.
Die Bewertung muss bei uns Teil der Berichterstattung
sein wie in Russland.
Kein so anderes Thema: Gestern wurde vom
Prozessauftakt in Bayern berichtet. Das ist
der Krieg im Inneren. Ein gesellschaftswidriger
Amoklauf. Ein Mann aus Somalia
habe eine Messerattacke in Würzburg
gegen zufällig ausgewählte Opfer geführt.
Drei Frauen sind tot. Mehrere Menschen
wurden verletzt. Eine Frau so schwer, dass
sie dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen
sein wird. Zweimal fragte Charlotte Maihoff
rhetorisch, wie man jemanden bestrafen
solle, der offensichtlich als psychisch krank
gilt? Stimmen hätten ihm befohlen, Rache
zu üben. Es war demzufolge umgekehrt. Die
Strafe war ja bereits erfolgt. Dieser Mann
hat erfolgreich Deutschland bestraft. Das
sagte Charlotte nicht.
Der Tod bedeutet, unumkehrbar fertig zu
sein.
Der Mensch verzettelt sich in der eigenen
Wirklichkeit von Sprachkonstruktionen.
Papier sei geduldig hieß es früher und sollte
wohl heißen, dass man Unsinn hinschreiben
könne, der deswegen nicht wahr würde, weil
er derart verewigt sei, dass jemand ihn festgehalten
habe. Das war vor dem Siegeszug
der digitalen Kommunikation. Wir reden mit
den Fingern auf der Tastatur.
# Ich bin nicht wahnsinnig
Stetige Provokationen verschieben unsere
moralische Grundhaltung zum Bösen. Noch
normal; ich kenne mehrere Menschen, die
auf einen Rollstuhl angewiesen sind und
fühle entsprechend mit. Amok in Würzburg,
man stellt sich’s vor: Ein Mann wird gezeigt,
der sich dem Angreifer mit einem Stuhl entgegengestellt
hatte. Um Haaresbreite wäre
das schief gegangen. Der Mutige stürzte
rücklings über eine Bordsteinkante, nachdem
ihm zunächst gelungen war, den Täter
gleichermaßen auf sich zu fokussieren und
erfolgreich im Schach der vorgespreizten
Stuhlbeine zu führen. Andere kamen ihm zu
Hilfe und überwältigten den Wahnsinnigen.
Ich könnte dieser Mann mit dem Stuhl gewesen
sein, der couragiert eingegriffen hat!
Oder doch nicht? Vielleicht hätte ich mich
feige versteckt? Eventuell könnte ich auch,
wie jeder von uns, der Täter gewesen sein.
Es sind viel mehr Menschen latent psychisch
krank, als man für gewöhnlich annimmt.
Ein Prozent der Gesellschaft wird mindestens
einmal im Leben schizophren. Einer von
hundert. Die Pandemie hilft, diesen Faktor
einzuordnen. Bei uns in Deutschland leben
83 Millionen. Wenn sich 830.000 Menschen
täglich mit dem Coronavirus anstecken
würden, also ein Vielfaches der höchsten
Werte zu Zeiten der Omikron-Variante, hieße
das wohl, pro hundert Menschen einem Infizierten
zu begegnen. Ganz schön viele. Psychotisch
zu werden, ist keine Erbkrankheit.
Es gibt kein Gen dafür. Der Anteil der Kinder,
die erkranken, wenn die Eltern es haben, ist
nur geringfügig höher. Ein direkter Nachweis
der Erblichkeit von Schizophrenie ist bislang
nicht nachgewiesen worden. Schizophrenie
ist zudem nicht ansteckend. In der Konsequenz
ist die wahrscheinlichste Erklärung,
dass wir einander gegenseitig krank machen
durch den sozialen Druck, den Menschen auf
andere ausüben.
Der verrückteste Täter weiß dennoch, dass er
sein eigenes Leben zerstört, wenn er einen
erweiterten Suizid oder Amoklauf beginnt.
So einer kann nicht mehr. Trotzdem hört
die Gesellschaft nicht auf, Druck auf bereits
verstörte Menschen auszuüben und diese
noch zu provozieren. Der russische Präsident
gibt das beste Beispiel dafür, wie gefährlich
so etwas ist. Dem Despoten ist die
wirtschaftliche Beschädigung im Land durch
das erzürnte Ausland und die Zerstörung
des Territoriums seiner ukrainischen Brüder,
als die er den Gegner Russland zugehörig
erkennt, nebensächlich. Das Russland von
Wladimir Putin wurde bereits viele Jahre
lang mit Sanktionen belegt, die aktuellen
bedeuten eine weitere Verschärfung
bestehender Druckmittel des Westens. Der
Präsident gibt an, es hätten Verabredungen
bestanden, die NATO nicht in Richtung Osten
zu erweitern. Der Westen bestreitet das.
Putin bezeichnet die Ukraine als Bedrohung,
der Westen kann hingegen den Angriff
Russlands belegen und diese Behauptung
ad absurdum führen. Wir im Westen brüsten
uns damit, unsere Rechtmäßigkeit herauszustreichen
und prangern den Druck der
falschen Informationen an, mit denen die
russische Regierung die Bürger im eigenen
Land auf Linie bringt. Der aktuelle Krieg ist
weitaus heftiger, als die vergleichsweise
smarte Annexion der Krim. Wladimir Putin
zieht seine Militäraktion durch, so weit wie
er kommt. Bliebe diese dauerhaft stecken im
hartnäckigen Widerstand, wird der russische
Präsident mit zunächst gezielten Atomschlägen
probieren, den Widerstand zu brechen.
Er wird diese Barbarei gegen die, wie er
sagt, eigentlich russischen Brüder in der
Ukraine rechtfertigen mit dem Vergleich, die
Amerikaner hätten Hiroshima aus ähnlichen
Motiven angegriffen. Ein dritter Weltkrieg ist
möglich geworden, weil sich Putin provoziert
fühlt und der Westen das nicht ändern
kann durch seine Sanktionen. Die Macht,
alles zu zerstören ist auf der russischen
Seite. Das sieht auch jeder, wenn auch geisteskranke,
Amokläufer irgendwann visionär;
ein Einzelner kann sehr viel Leid verursachen,
bis er dingfest gemacht oder getötet
wird. Dem russischen Präsidenten ist das
Wohlergehen seines Landes egal. Es geht
ihm ums Ego, den Beweis zu führen, dass
die jahrelange Gängelung des Westens (die
dieser zwar als nötige Reaktion darstellt)
und seine Drohungen, was er tun könnte,
nicht leere Worte bedeuten.
Genauso im Kleinen unter Nachbarn im Dorf.
Die Ohnmacht des Westens in der jetzigen
Situation ist vergleichbar mit der bei einem
Amoklauf. Man kann den Somalier nun in
eine forensische Psychiatrie einweisen. Möglicherweise
gelingt es irgendwann, den russischen
Präsidenten vor ein internationales
Gericht zu stellen? Den nächsten, einzelnen
Täter, der seinen Hass ja bereits irgendwo
nährt und eine Wunde der Gesellschaft
bedeutet, die unterbewusst schwärt, werden
wir mit einer Attacke hinnehmen müssen.
Die Gewalt als solche und die Umkehr der
Sichtweise, was Gut und Böse bedeuten,
bleibt eine Möglichkeit der Interpretation
einer Situation. Die Menschen wären
besser dran, dies als einen Teil der Realität
anzuerkennen, als gutmenschliche Phrasen
zu dreschen oder mit Waffenlieferungen
irgendwo aufzurüsten, als könnte das Böse
selbst damit wirksam bezwungen werden.
Apr 23, 2022 - Wir lehren, wollen den Wahnsinn? 67 [Seite 67 bis 71 ]