Blogtexte2022_1-Halbjahr
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wertschätzung auf
russisch
Mrz 19, 2022
Wir erinnern uns an
Zeiten, wo kriegerischer
Widerstand eine lustige Sammlung
von Zeichnungen auf richtigem Papier
bedeutete: Die Meinungen über sein Talent,
geteilt. Er selbst fände sich genial, alle anderen
ihn unbeschreiblich. So heißt es über
den Barden Troubadix im bekannten Comic.
„Doch wenn er schweigt, ist er ein fröhlicher
Geselle und hochbeliebt.“ Mich haben diese
Hefte geprägt. Ich bin ein Mensch aus dem
vorigen Jahrhundert, heute, und früher wäre
das zu sagen ein Witz gewesen, abwertend.
Wer sei denn noch vor dem Ersten Weltkrieg
geboren, meinte man. Der Humor von Großeltern
macht doppelt alt.
Natürlich bin (auch) ich genial.
Unbeschreiblich? Ich kann schließlich
zeichnen. Mir genügt es, an mich zu glauben!
Geld allein macht nicht glücklich. Wir
möchten Wertschätzung. Nicht nur Geld,
sondern Empathie und gar Liebe mögen uns
begegnen. Dafür rufen wir nett in den Wald
unsere lockenden Rufe und hoffen auf ein
freundliches Echo. Soweit so gut; besser als
gegen die Bäume zu treten jedenfalls. Wer
reichlich Fische möchte, setzt welche in den
Teich, wo der eigene Verein Pächter ist, fischt
im Herbst mit Freunden ab. Menschen finden
ihren Wald als Glück bringendes Orakel mit
seinem wohlwollenden Echo.
YouTube bietet genügend Bäume. Auch
andere Provider stellen ihre Dienste für den
sozialen Austausch bereit. Dabei müssen
Regeln beachtet werden. Es gibt zu akzeptierende
Bedingungen. Schon früher, vor dem
Segen eines weltweiten Internet, kannten
wir unausgesprochene Gebote, an die sich
Menschen halten sollten. Sonst wirft uns die
Gesellschaft raus.
Seitdem ich „Selfexecuties“ male, zeigt mir
YouTube alle möglichen Vorschläge zum
Thema Bahn. Das hat sich entwickelt, weil
ich suchte, was für den Entwurf nötig wurde.
Ich schaue inzwischen gern alte Dampflokomotiven
an, Modellbahnvideos
erscheinen
in der Galerie. Die
gefallen mir.
Natürlich sehe ich nicht
nur im Fernsehen Berichte
über den Krieg in
der Ukraine. Ich nutze
auch Videos, mich zu informieren.
Sie kommen
in der Vorauswahl.
Wenn ich Pinterest
öffne, gibt es ebenfalls Vorschauen, die mein
Suchverhalten reflektieren. Für Beine mit
Kniedarstellungen im benötigten Winkel
und Lichteinfall für das Mädchen links,
schaute ich bereits etliche Bilder an. Hier
gibt es keine Nacktheit
aber viel Haut zu sehen,
und auf unzähligen
Pornoseiten bin ich
unterwegs, nicht nur
wegen dem Gemälde.
Es ist ein Teil unserer
Welt.
Da amüsiert es mich
inzwischen, wie fein
säuberlich getrennt
alles nebeneinander
geschieht.
Was dem Modellbahnfreund ein Schock
an mangelnder Wertschätzung bedeutet,
jemand hat für eine Sammlung alter Fleischmann-Lokomotiven
wenig Geld bekommen,
passiert synchron zum Krieg in Kiew.
Dort hat man andere Probleme. Ich
wage zu behaupten, dass „Long-Covid“
in der Ukraine kein Thema ist. Und
Porno ist Alltag auf der ganzen Welt.
Ich sehe dieses: Zwei Mädels sitzen
nackig auf einem Tisch, und eine pinkelt
dem Betrunkenen auf den Kopf
irgendwo. Das konsumiere ich bei
einem Glas Rotwein, und eine Bombe
fällt gerade nicht auf Schenefeld. Fein,
mir geht es gut, und niemand liest,
was ich hier schreibe, glaube ich.
# Kryptische Texte?
Ich bekomme reichlich Anerkennung
von denen, die ich mag. Da benötige
ich das soziale Medium nicht. Mich
würde man nirgends dulden, es sei denn
im Rotlichtbereich. Auf derartige Likes lege
ich keinen Wert. Mir gefallen die Mädels
in Schenefeld auf der Straße. Man kennt
mich teilweise und spottet: „Oh! Er hat mich
angesehen.“ Vor mir warnen Erwachsene und
ältere Mitschüler – offensichtlich.
Schön herausgeputzt. Sie starren auf ihre
Geräte, während ich die Bushaltestelle passiere.
„Genial!“, schnappe ich auf. Bin tatsächlich
ich gemeint, etwas auf der Seite? „Da
bekommen wir bestimmt eine Belohnung“,
tauschen sich die zwei vierzehnjährigen
Schönheiten verstohlen aus, und ich gehe so
normal wie möglich vorbei. Das bilde ich mir
nicht ein, aber ich beziehe es auf mich, und
das kann falsch sein.
Ich mache nichts mit Gruppen digital. Es
wird nicht getwittert. Ich habe kein Insta,
LinkedIn oder Facebook, WhatsApp und dergleichen.
Es gibt keine Resonanz. Wir nutzen
Festnetz. Ein Freund
ruft an: „Kannst
du mir sagen, wie
ich Piet erreichen
kann?“, fragt der. Ich
suche die Nummer
von Verena raus.
„Ich war auf deiner
Webseite. Schöne
Bilder.“
Meine Eltern besaßen
ein Haus. Mein
Vater ärgerte sich über Graffiti. Er hatte sich
angewöhnt, Gekritzel sofort zu übermalen.
„Die“ möchten sich sehen, warnten Freunde.
Kenne ich.
Ich google meinen Namen regelmäßig:
Egosurfen nennt man das, ich kann es zugeben.
Nach beinahe einem Jahr ist eine zarte
Wolke (Flickr) verschwunden, und das konnte
ich provozieren? Nicht mein Foto. Aber mein
trotziger Kommentar damals. Taucht nicht
mehr auf, in Zusammenhang mit meinem
Namen. Vermutlich kein Zufall. Immerhin, ich
bilde mir das ein, bin ein Teil der Welt hier in
Schenefeld. Ich fühle mich wahrgenommen,
es gibt auch Angenehmes. Besser, als im Rathaus
auszustellen und in der Zeitung eine
halbe Seite bekommen. Da wäre ich bloß
der Fleischmannonkel mit seinen vierzigtausend
Freunden. Solche kann man getrost
vergessen. Ich denke: Probleme einfach
löschen wie Putin, das ist so russisch.
:)
Mrz 19, 2022 - Wertschätzung auf Russisch 48 [Seite 48 bis 48 ]