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Wir brauchen Angeklagte
25 Feb, 2022
Vielen ist noch nicht aufgefallen, oder sie
sehen darüber hinweg, dass Angeklagte die
Angewohnheit haben, sich zu verteidigen.
Was fällt denen ein! Natürlich gibt es auch
Kluge, die schweigen. Verstockte, Blöde und
Kranke haben wir, aber für gewöhnlich bezieht
ein Beschuldigter Stellung. Das macht
alles noch schlimmer. In der Regel urteilen
Gericht und Nebenkläger fassungslos. Von
kruden Erklärungen des Täters spricht die
Presse. Eine leichte Sache für sie. Ist es denn
zu fassen? Ein Verbrechen wurde begangen.
Darf nicht sein. Dafür gäbe es keinen Grund,
eine Rechtfertigung sei abwegig wie nur
was, meinen Leute seit es Menschen gibt.
# Grund genug!
Was mag den Siegeszug der christlichen
Religion begünstigt haben? Das Neue daran
war die Idee des Gewaltverzichts. So etwas
kannten die Menschen noch nicht. Beinahe
automatisch erfolgt unser Zurückschlagen
nach einem Angriff, aus der Furcht heraus,
andernfalls in die Defensive zu geraten.
Deswegen ist der Verzicht auf die gegebene
Macht, anderen nun auch wehtun zu können,
das Schwierigste für einen Menschen. Freiheit
vom zwanghaften Gegenangriff, unserem
nicht selten pathologischen Bestreben,
den eigenen Einfluss auszuweiten, Machterhalt
und Unterdrückung anzustreben,
bedeutet diesen Reflex immer wieder neu
hemmen zu müssen. Wer sich nicht wehren
kann, ist möglicherweise krank. Zwanghaft
wider die anderen handeln, täuscht
Stärke nur vor. Freiheit bedeutet die Wahl,
nachgeben zu können und je nach Situation
auf Einflussnahme zu verzichten, eine neue
Richtung zuzulassen.
Kritiker weisen auf Fanatiker hin und die
Kreuzzüge, den Missbrauch: Natürlich
glaubt nicht jeder, dass wir eine Kirche oder
Religion überhaupt bräuchten, die Worte
in unserer Bibel oder Schriften anderer
Religionen benötigen. Das ändert aber nicht,
dass Glaube und manche These unsere Vergangenheit
prägen, auch in Zukunft Einfluss
nehmen werden. Nur wenige Menschen
denken konsequent atheistisch. Viele eiern
irgendwo dazwischen rum. Wenn ihnen
etwas Tolles widerfährt, das sie nicht verstehen
können, war es Gott. Wenn Schlimmes
passiert, schimpfen sie wieder wie gewohnt.
Es ist die dumme Masse, und niemand sollte
sich ihre Blödheit zum Vorbild nehmen.
Entweder ist alles Gott oder gar
nichts, dazu ringe man sich durch.
Meine kleine Laune, heute mal
begeistert zu sein, weil die Dinge
gut laufen, bedeutet nicht die ganze
Welt. Da können wir verzeihen.
Es akzeptiert so gesehen der
Allmächtige den Diktator auf Erden
als nötigen Teil des geschaffenen
Universums. Mächtige verstehen
einander besser als Ohnmächtige,
die nicht nachvollziehen können,
was sie selbst am Schalthebel täten.
Das Ganze um uns herum stellt eine
Macht dar. Was wäre, wenn Gott seine
Urgewalt missbräuchlich gegen
uns richtete?
# Der Mensch ist sein eigenes
Problem
Wir haben wie die Jugend begriffen, es gibt
nur diesen Planeten. Wie wir diesen Rahmen
nennen, spielt keine Rolle. Alle müssen sich
fügen. Ein vielarmiges Monster, ein Krake ist
diese Menschheit. Wir halten eine Welt im
Griff. Was am Ende eines Armes geschieht,
wie der einzelne handeln wird, bestimmt
mitnichten der kleine Finger des Ganzen.
Das kann die Spitze sein, die dir ein Auge
aussticht, und sie ist nicht selbstständig
unterwegs zu töten.
Der Mensch kann die Erde
nicht verlassen wie eine Stadt,
die gerade bombardiert wird.
Macht und Gewalt sind unabänderliche
Dinge und insofern
gewollt. Man wirft Gott vor, den
Holocaust nicht verhindert zu
haben? Zu kurz gedacht, wie
zu glauben, das wäre ja früher
gewesen. So gesehen gibt mir
das Böse ein Problem, mich damit
herumschlagen zu müssen.
Nicht nur außerhalb der eigenen
Person, bei anderen eben,
wie es gern gesehen wird.
Ich fliehe aus Kiew? Weil ich ein
Auto habe und Bomben fallen.
Das stelle man sich in Schenefeld
vor! Natürlich ist mir in
so einem Fall klar, wer gegen
mich aggressiv ist. Solange Gas
meine Heizung versorgt, sehe
ich’s entspannt. Mir hilft nicht,
den wahnsinnigen Russen zu
beschimpfen. Ich kann nachvollziehen,
warum jemand sich zum
Despoten entwickelt. Hexenkessel,
die Lunte brennt! Wie
entschärft man eine Atombombe
im Küchenhof der Hölle?
Man überlege, wie Gerd Schröder
(endlich) in Moskau eintrifft.
Er sagt:
„Wladi, so geht das nicht!“
# Jeder an seinem Platz
Die Pathologie einer Machtstruktur liegt
in der zwanghaften Furcht, nachgeben zu
müssen. Die anderen wären die Bösen, und
ich eben guter Mensch: So gehen nicht wenige
in die Kirche, und die haben das Ganze
nicht verstanden. Sie spalten nach wie vor
ab, was sie nicht begreifen möchten. Eine
völlig verdrehte Sicht, die Ukraine „bedrohe
das mächtige Russland“, heißt es. Keinesfalls
erlauben wir uns anzunehmen, Mächtige
wären in die Enge Getriebene, unter Druck,
sich als ausgegrenzt zu empfinden wie der
russische Präsident.
Das ist schließlich der Täter.
Nicht so weit denken.
Vor allem will niemand derjenige sein,
der vor aller Augen Leid verursacht und
dazu eine Erklärung abgibt, die allgemein
Fassungslosigkeit und Kopfschütteln auslöst,
Sanktionen provoziert, die Einschnitte sämtlich
bedeuten. Wer möchte heute Wladimir
Putin sein? Diese Frage stellt sich niemand.
:(
Feb 25, 2022 - Wir brauchen Angeklagte 25 [Seite 25 bis 25 ]