Blogtexte2022_1-Halbjahr
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# Dieser Text?
Namen wie verpixelte Gesichter in den
Nachrichten: Die Wahrheit ist tatsächlich
dahinter. Es wurden keine Schauspieler engagiert.
Nicht wenige Menschen, die es wirklich
gibt, sind oder werden psychisch krank.
Das sollte nicht verdrängt werden. Wir wollen
es nicht, das geschieht, ist menschlich.
Manche tun bloß so erwachsen. In Schenefeld
gibt es ja junge Leute wie früher in
Wedel oder Osdorf, wo meine Freunde Piet,
Niels, Tascha und Kocki aufgewachsen sind.
„Was ist denn aus den ,Tollen‘ geworden?“
fragte Piet mal und zählte auf, wer in der
Schule gut und beliebt
gewesen war. Absturz
unerwartet? Einiges
ändert sich, wenn die
Schule aus ist, und das
sei jungen Menschen
angeraten, aufmerksam
zu bemerken.
Ich glaube nicht, dass
psychisch Kranke zwingend
in die Obdachlosigkeit
rutschen. Es ist
aber bekannt, dass manche
latent psychotisch
oder manisch werden, und diese haben es
schwer. Selbst der Psychiater äußerte sich
abfällig über meinen Freund (den anderen)
mir gegenüber. Im Nachhinein fies, finde
ich. „Bei Ihnen ist es nicht so, Herr Bassiner“,
meinte der Arzt. Der unterhielt sich eben
gern über Kunst. Der Psychiater malte auch
ein wenig und spielte im Orchester die
Geige hobbymäßig. Während der Therapie,
die ein lockeres Plaudern bedeutete, riefen
immer wieder Patienten in der Praxis an,
und man stellte die Gespräche durch. „Gehen
Sie mal um den Block, Frau Soundso“, meinte
mein Doktor, „das beruhigt“ und probierte,
diese Patienten aus unserer Sitzung herauszuhalten.
Das heißt Therapie? Es hat mich
nicht gesund gemacht, und vielleicht bin
ich noch immer krank? Weiß ich ja nicht. Ich
gehe nie zum Arzt, vertraue auch anderen
Spezialisten nicht, nachdem mir einer unter
dem Vorwand „Darmkrebs“ einige Zentimeter
rausschneiden wollte. Das ist nur ein Geschäft
– und mit denen, die irgendwann mal
in der Klappse waren, könne man’s machen,
denken nicht wenige?
# Mir geht’s gut, und Björn ist tot
Das waren einige wenige Jahre, ich bin noch
Student gewesen, die ich diesen Freund
hatte. Ich fing im Sommer 1985 an der
Armgartstraße an, schloss ’91 mit Diplom
ab. Björn segelte mit uns, mit seinem Boot
und auch als Vorschoter bei mir, wir machten
viel zusammen. Einmal war reichlich Wind,
als wir beide vor Brokdorf beschlossen, dass
wir den Spinnaker wohl tragen könnten.
Wir donnerten damit die ganze Elbe rauf
bis zum Yachthafen in Wedel. „Jonni, der
Schwerwettersegler“, anerkannte Piet das.
Mich bestärkte Björn darin, es zu können.
Ich sah auf den Mast, und der bog sich nach
vorn in jeder Bö. Die Jolle begann ständig zu
rutschen. Wir kamen aus dem Gleiten kaum
einmal raus. Fontänen standen seitlich, und
ich hatte noch nicht gelernt, etwas mehr
Schwert zu geben. Das Boot geriet dauernd
ins Geigen. Mich überzeugte der ruhige
Björn. Wir glichen also entspannt aus und
sausten wie eine Rakete heimwärts. Mein
Mitsegler schien an diesem Tag keinerlei
Angst zu kennen. Er sagte auf der ganzen
Heimreise vielleicht zwei, drei Sätze. Die
drückten nur aus, wie selbstbewusst und gelassen
er wäre. Ich habe das geglaubt. Björn
wird es an diesem Tag genauso empfunden
haben, wie er sich gab. Er war ja ein wenig
älter, ein Mann eben – und ich nur Student.
Einmal rundeten wir an einem schönen Tag
Hanskalb. Diesmal ist es ganz flau gewesen.
Als wir vor Blankenese um den Sand abbogen,
knatterte ein großer Militärhubschrauber
über uns südöstlich durch. Das sei sein
Vater, der „überwache uns und wäre beim
BND“, meinte Björn so überzeugend, dass ich
mir nicht viel dabei
gedacht habe.
Dieser Vater war in
einigen Vereinen,
glaube ich, auch
beim DSV mischte er
gewichtig mit. Man
muss ihn sich als
Respekt heischend
denken, jedenfalls
ein dünner Hänfling
und Malschüler an
einer Kunstschule
wie ich empfand
das so. Die Mutter erinnere ich lieb, und bei
Morten ist diese Konstellation genauso, das
nur nebenbei.
Eltern spielen eine Rolle, wenn die Kinder
seltsam werden. Heino, der Sänger, hatte
eine Tochter, die sich umbrachte, heißt es.
Bei dem Fußballreporter Waldemar Hartmann
wäre ein Sohn krank, las ich einmal,
und das hat mir immer geholfen: Ich möchte
nicht das Kind von einem dieser Prominenten
sein, das spürte ich. Sie erinnern mich
zu sehr an die Väter von Morten oder Björn.
Natürlich gibt sich der bekannte Schlagersänger
anders als der prominente Sportreporter.
Worin habe ich die Gemeinsamkeit
von vier Männern gesehen, die ich mehr
oder weniger beobachten konnte und die
Kinder dazu?
Schwer zu
sagen, jeder
mache sich
selbst ein
Bild von „starken“
Vätern
mit psychisch
kranken
Kindern. Mein
Erich ist ganz
anders zu
erinnern, aber meine Mutter manipulierte.
Vielleicht lebe ich deswegen noch? Greta
glaubte, Björn habe einen „Bornavirus“ gehabt,
das käme von Pferden und mich damit
angesteckt. Da ist sie die Einzige gewesen,
die das meinte. Sie las ein Buch und sagte,
es wäre von einem, der hieße Gottesmann,
ein Fachmann für psychische Krankheiten.
Das war der Beitrag meiner Mutter, und sie
kümmerte sich, wenn es mir schlecht ging.
Mein Vater hat sich nicht ein einziges Mal
überwinden können, meine Probleme, die
scheinbar mein gesamtes Leben und jegliche
Zukunftsplanung zerschossen hatten,
ernsthaft zu besprechen. Ich habe die Alten
gepflegt, ihr Sterben begleitet, ja buchstäblich
organisiert. Ich lernte, unser Geld zu
verwalten, Miete nach Köln zu verfüttern,
Verträge auf den Weg bringen. Der Blöde
bin ich gewesen, gutgläubig eben. Meine
Schwester meint, ich hätte meine Eltern
gehasst. Das sagte sie mal. Tatsächlich
verachte ich sie und unsere, mir verbliebene
Familie in der Idemöllerstraße, Blankenese,
Oberursel und Köln, aber meine Eltern? Man
hat ja nur diese und sucht sich’s nicht aus.
Ich rede kein Wort mit ihnen, denen es nur
ums Geld und perverse Eitelkeiten ging.
Ihre Leben dürften gesünder verlaufen in
mindestens einer Armeslänge Abstand von
mir. Es gibt keinen Kontakt, und das bleibt
so; unbelehrbar stolz bin ich auf alles, was
ich gelernt habe wegzuhauen aus meinem
Leben.
# Sweet Charity Hope Valentine
„Daddy started out in San Francisco, tootin’
on his trumpet loud and mean“, aber es ist
das Rauchen gemeint: Einmal waren Imke
und ich mit Björn zum Jazz. Das war zu der
Zeit, wo „Musical-Projekt“ an Fahrt gewann.
Wir suchten eine Band. Die Merrytale spielte
arrangiert nach Noten mit zwei Trompeten.
Nicht das gewöhnliche Getute der Amateure.
Vielleicht ließen sich hier Musiker für
„Sweet Charity“ finden, das wir bereits im
Amerika-Haus mit Coach Eric Emmanuele
probten? Wir sind in der „Fabrik“ und mancher
Location unterwegs gewesen. Trompeter
Jochen war scharf auf meine Freundin?
„Kommt doch mal in den Cotton Club“,
schlug er vor. So bekamen wir mit, wie der
renovierte Keller fertig wurde, der Container
auf dem Großneumarkt ausgedient hatte.
Was macht die Amerikanerin?“, fragte er
später regelmäßig, wenn ich allein kam. Er
hat sie auch bei Eric im Shop besucht, aber
es wurde nichts draus, glaube ich. Jochen ist
älter gewesen, deutlich, und Imke ging mit
Rick nach Kalifornien, heiratete aber Ingo,
ließ sich scheiden von ihm und ist wirklich
Amerikanerin heute.
Mit Jochen, Björn und Imke erinnere ich,
wie wir im Cotton-Club sind. In den Pausen
und auch noch zum Schluss weit nach
Mitternacht. Wir saßen am Ende der langen
Holztheke, die den Gang
an der Wand gegen den
unteren Bereich mit den Tischen
begrenzt, dem Platz
für die Band. Jochen stand
die Stufe tief, und die Ecke
besetzten wir drei mit ganz
unterschiedlichen Ambitionen,
glaube ich. Björn war
gar nicht ernst zu nehmen.
Der fingerte wie ein Kind
an Jochens Trompete rum,
ein Spielzeug? Der Musiker
ließ ihn gewähren und hatte nur Augen für
Imke. Ich dachte, wir hätten hier das Ziel,
eine Kapelle für die Aufführung zu finden?
Als Björn probierte, in das Instrument zu
blasen, nahm der Trompeter unspektakulär,
ohne ihn ernst zu nehmen, das Mundstück
ab und steckte es in die Tasche. Zum Schluss
waren alle Absichten klar: Jochen kam bei
Imke nicht voran, wir fanden in den alten
Männern kein Orchester für unser Projekt,
und Björn würde nicht was tuten dürfen, nie.
Wir fuhren gemeinsam zu dritt mit meinem
roten Passat nach Hause. Björn redete
die ganze Zeit dummes Zeug. Imke und er
kannten sich gar nicht. Das war gekommen,
wie sich Menschen eben aus verschiedenen
Bekanntschaften für nur einen Abend verabreden.
Nächtliche Heimreise über die Elbchaussee,
oben am Fluss entlang. Unterwegs in
Mrz 6, 2022 - Schöne Zeit! 36 [Seite 34 bis 37 ]