Blogtexte2022_1-Halbjahr
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Rad ab?
Mrz 17, 2022
Der Mensch ist das Schlimmste, was die
Evolution hervorgebracht hat. Während die
Dinosaurier durch einen Meteoriteneinschlag
ausgestorben sind, für den sie nichts
konnten, ruiniert unsereiner alles selbst,
schafft vermutlich in nicht allzu ferner Zeit
eine lebensfeindliche Umgebung. Gut möglich,
dass menschliches Leben selbst dann
fortbesteht, irgendwie weitergeht, vielleicht
sogar hier (und nicht auf dem Mars), aber
bestimmt anders, als wir es gewohnt sind.
Wir können bereits künstliche Dinge kaufen,
die angeblich wie Ei oder Wurst schmecken.
Das dürfte unsere zukünftige Ernährung
sein, auch ohne vorhandenes Huhn und
Schwein. Man wird dafür werben. Als vegan
bezeichnet, heißt es einschmeichelnd Bio,
auch wenn eine Maschine in Wahrheit nur
chemischen Pamp zusammenklebt. Das Zeug
gilt schließlich als besser und zeitgemäß.
Werbung erzeugt eine neue Welt. Früh
warb eine bekannte Nussnougatcreme mit
gesunder Milch, die darin verbaut wäre. „Gibt
es auch kranke Milch?“ Man dürfe „nicht mit
Selbstverständlichkeiten werben“, monierte
Onkel Hans-Jürgen spöttisch, (nur ein Nennonkel
für mich, aber) ein kapitaler Geschäftsmann
aus der Lebensmittelindustrie mit
entsprechenden Kenntnissen.
Hunde bekommen ihr Kennerfleisch: Da sagt
ein Slogan, dieses sei mit jeder Menge an
natürlichem Fleisch etwas Gutes. Was bitte
ist unnatürliches Fleisch? Wir Menschen
werden morgen dieser Hund von heute sein.
Wir kaufen selbst, das ist der Unterschied,
und stopfen den Quatsch in uns hinein.
Wenn’s zwickt, kleben wir halt ein medizinisches
Kennerpflaster um dem gereizten
Darm, planbar über Nacht. „Guter Schiss ist
so wichtig“, kommt mir in den Sinn, wenn
mein Gehirn automatisch zu persiflieren
beginnt, was schwer erträglich zu überhören
ist.
Manche schauen kein Fernsehen, sind besser
dran, derartige Blödheiten nicht mitzubekommen.
Schon jetzt werden omnipräsent
Produkte „mit medizinischen Inhaltsstoffen“
oder so angepriesen, dass etwas gesund sei,
behauptet die Industrie. Nicht ausgeschlossen,
dass viele daran glauben,
wie etwa die Russen an
die Sinnhaftigkeit ihrer kleinen
„Militäroperation“. Bei
denen nennen wir es Fake,
hier predigt man unsere
Wahrheit. Die Wiederholung
der moralisierenden
Phrasen täuscht. Sie lässt
uns über die menschliche
Perversität im Unklaren,
wenn wir uns gern einlullen
lassen.
Wir vernichten täglich
Arten. Wir führen Krieg. Wir versiegeln
und vergiften die Natur. Wir ändern den
Planeten, bis nichts mehr natürlich ist
außer wir selbst. Bereits heute verspeisen
wir Mikroplastik mit viel natürlichem
Fisch kombiniert. Wir tragen medizinische
Alltagsmasken, haben uns damit abgefunden
und werden zukünftig einen kompletten
Atemschutz benötigen wie der Darth Vader
im Film. Jede neue Generation akzeptiert
und gestaltet die vorhandene Umgebung
anders. Der Mensch passt sich an. Anpassung
heißt, intelligente Wege finden, zu überleben
und Befriedigung erlangen gemäß
der eigenen Natur. Das bedeutet in einem
zweiten Schritt, die Umgebung sympathisch
zu verformen, sozial zu sein oder schützende
Gebäude zu errichten, zunächst aber
die eigene Versorgung sicherzustellen.
Erst ich, dann ihr anderen, ist unser
menschlichstes Verhalten. Auch, wenn
das Gegenteil beschworen wird. Dinge
anders darzustellen, ist Prinzip.
Wenn ich Fernsehen schaue, sind es die
Nachrichten, Dokumentationen. Zum
Denken gehört für mich, Querverbindungen
zuzulassen und nicht zuletzt
daraus entstehende Ideen aufzuschreiben.
Die eigene Bude voller Zorn zu
verlassen, birgt eine reelle Chance,
positiv überrascht zu werden von lauter
Freundlichkeit draußen! Geht man naiv
im Taumel der Selbstzufriedenheit los,
weil wir halt gute Laune haben, fährt
uns wahrscheinlich jemand in die
Parade unseres Glücks. Im besten Sinne
ichbezogen, der gerade deswegen andere im
Blick behält, lebt ein Mensch nicht schlecht.
Das heißt wohl, sich als Wesen voller Fehler
zu akzeptieren und auskennen lernen, wer
man ist, werden möchte oder meint zu sein.
Was kann ich tun mit meiner Faust, wenn
meine Hand eine Waffe führt, und wie wäre
möglich, Zorn auszuleben als unumgängliche
Emotion?
Wozu es führt, sich vollkommen zu isolieren
und die eigenen Ideen durchzukämpfen,
zeigt gerade der russische Präsident. Dabei
gewinnt niemand. Das ist, was ich am
Rechtsstaat mag. Jeder bei uns liefe Gefahr,
zum Despoten zu werden, wenn die Gelegenheit
zu derartigen Eitelkeiten bestünde.
Der Rechtsstaat wurde nicht erfunden, weil
wir großartig sind, sondern Menschen fies
und unserem Treiben nur innerhalb von
Grenzen Freiheit gelingt. Empathische
Gesten und entspannte Nachbarschaftlichkeit
sind das Begreifen eines Rahmens, weil
unser Wunsch, zum eigenen Nutzen Vorteile
zu scheffeln, erst dann fruchtbar wirkt, wenn
auch das Drumherum gewinnt. Selbst wenn
Putins Logik noch Anhänger findet, der
Druck des Westens reale Spaltkraft ausgeübt
haben mag – was wir nun erleben, ist dumm,
menschenverachtend und hat eine Dynamik
bekommen, die schwerlich Chancen aufzeigt.
So vieles wurde zerstört, das Jahre benötigte,
aufgebaut zu werden.
Das verfehlte Ideal, ein Gewinn bringender
Narzisst zu sein, wird zur Katastrophe, wenn
niemand es stoppt. Die umgekehrte Idee,
besonders freundlich zu sein, weil es sich
gehöre und überhaupt das Beste, zerstört
den Menschen, der dieser Logik folgt direkt
und umgehend auf noch kürzerem Wege.
So jemand Gutes benötigt die Grenzen, die
ihm andere setzen, nicht und macht sich
im vorauseilenden Gehorsam allein fertig.
Wie man auch beginnt, eine Erklärung
zurechtzuschustern; gesundes Funktionieren
nimmt seinen Anfang, wo jemand sich
Luft verschaffen kann für eigenes und die
Umgebung berücksichtigt, es genauso zu
halten. So leben Paare, gestalten wir unsere
Nachbarschaft. In einem vielstöckigen Hochhaus
gelten andere Gebräuche untereinander
als in einer Reihenhaussiedlung, aber
der Konsens verträglicher Kommunikation
ist derselbe.
Zwei bemerkenswerte Sätze fielen von
Menschen in unterschiedlichen Dokumentationen,
die ich registrierte und im neuen
Zusammenhang kombinieren möchte. Das
Erste liegt einige Jahre zurück. Ein Unikum
von einer fahrenden Maschine zur Ernte
von Schilf kommt zum Einsatz. Das war
irgendwo, ich kann mich nicht erinnern.
Dieser Trecker und Ernteapparat in einem,
war jedenfalls keine Serienproduktion vom
Erntemaschinenbauer der Gegenwart um die
Ecke. Kein Mercedes, den man beliebig mit
Ersatzteilen auf Stand halten kann, sollte
mal etwas kaputtgehen. Dieses eigenartige
Gefährt war uralt, und es ging ständig kaputt.
Dann verzögerte sich die Ernte, bis ein
Kenner in Eigenhilfe die Lösung bastelte.
Mrz 17, 2022 - Rad ab? 45 [Seite 45 bis 47 ]