Blogtexte2022_1-Halbjahr
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betrifft. Jetzt zeigt sich, wie schnell neue Realitäten
kommen. Auch mein kleines Leben
bedeutet gezwungenermaßen einen Kampf
gegen andere führen zu müssen, mindestens
aber stopp zu sagen. Mit „allen in Frieden
leben“, ist nichts weiter als billige Propaganda
von Menschen, die andernfalls nichts zu
melden hätten. Sie kämpfen genauso um Anerkennung:
Sonst bleibt dir keine Identität.
Ich glaube an das
Geschick der gelungenen
Abgrenzung.
Wie im Judo, wo der
kluge Verteidiger
den Angriff ins Leere
laufen lässt. Putin,
der Sportsmann,
ein guter Kämpfer
eigentlich, wurde
vom Verband
ausgeschlossen. Das
ist nur folgerichtig.
Kämpfe sind normal.
Es kommt darauf
an, wie sie geführt
werden. Auch der
Barmherzige hatte fortwährend Streit und
wurde schließlich als Aufrührer festgesetzt
und gekreuzigt. Warum ist das eine Religion?
Das Geschick besteht darin, dem eigenen
Tod durch Ausweichen lang genug von
der Klinge zu springen, das Ableben durch
Flucht zu vermeiden, Angreifer stolpern zu
lassen oder frech genug den Tod wie der
Sohn Gottes einfach zu überleben.
Der Ukraine-Konflikt kann nicht verdrängt
werden. Jeder ist angespannt. Wir rücken auf
den Kern der vertrauten Familie zusammen,
diskutieren (während wir gute Sachen essen),
was es heißt, Flüchtling zu sein. Unser
Haus ist überschaubar, Darlehen sind beinahe
bezahlt. Könnten wir fremde Menschen
aufnehmen, sollten wir? Kein Gedanke daran
im Moment, zugegeben. Wir blenden aus,
was geht, noch. Kein Krieg und kein Corona
westlich von Hamburg! Uns, mir geht’s prima.
Das war nicht immer so. Ich habe oft Hilfe
angenommen und bin dankbar dafür, sie
bekommen zu haben. Heute denke ich streitlustig
über manches, und das versteht nicht
jeder. Einige Erinnerungen und Beispiele
mögen das Individuelle einer besonderen
Perspektive verdeutlichen. Kreative schauen
anders auf diese Welt. Sozialer Druck macht
etwas mit uns. Das ist ein kleiner Krieg vor
der eigenen Haustür. Er geht so unauffällig
vonstatten. Es tut mir weh und anderen, die
dafür sensibel sind.
Den Anfang macht Schenefeld heute. Hier
läuft ein Stefan rum, ein Obdachloser. Das
weiß ich von Sibylle, den Namen, meine ich.
Bekanntschaften, man begegnet einander,
redet. Früher
hätte der
noch Sport
gemacht, erzählte
sie. Der
Verwahrloste
redet mit sich
selbst. Ein
vernünftiges
Gespräch
scheint
ausgeschlossen.
Er ist Teil
meiner Umgebung
wie
Bäume am
Straßenrand, Hundeködel und die Bürgermeisterin.
Mit der wiederum rede ich nicht
und habe meinen guten Grund. Ich kann
durchaus kommunizieren. Unser Dorf wird
mir allmählich vertrauter. Ich bin zugezogen,
komme aus Wedel an der Elbe.
# Hier geht es um echte Menschen
Was bedeutet das:
Russland, ist dieses Land
etwa Putin, sein Reich,
Krieg, warum nur? Die*
(die ich mal kannte) aus
St. Petersburg: „Mutig
gegen Extremismus“,
bekam einen Preis für
ihren Text. Dinge beim
Namen nennen, forderte
ich, es fehle in der
liebevoll verbändselten
Buntstiftgeschichte
eigentlich das Persönliche.
Dabei ist so toll,
was sie gemacht hat.
Ihr Ansatz wäre, ein
prominentes Thema und
deswegen geeignet, Aufmerksamkeit zu bekommen,
nur allgemein zu skizzieren, merkte
ich an. Ein Unterfangen wie ein gutes Drehbuch,
das es geben müsste, aber ohne die
individuelle Wahrheit vom speziellen Drama
dahinter. Berufen zum Guten unterwegs, sich
irgendeine Familie auszudenken mit einem
schwarzen Schaf; mein Bruder, der Nazi. Und
den gibt es dann gar nicht. Ein fiktiver Bruder
reiche nicht für eine wichtige Botschaft.
Habe ich gesagt. Das überzeuge nur Lehrer;
Kunst müsse aus echtem Fleisch und Blut
sein – und dann ist uns alles entglitten, wie
jeder hier weiß. Es tut weiter weh. Wer ist
an der Wirklichkeit gescheitert? Das bin in
erster Linie ich selbst.
Die Person, dem Menschen zu begegnen,
mit dem sich alles ändert, bedeutet in der
Realität anzukommen, mit dem eigenen Ego
zu kollidieren.
Mir ist
das passiert,
Gott sei Dank.
Wir suchen
danach. Die
eigenen Probleme
zeigen
sich in der Beziehung
zum
Gegenüber.
Auch wenn
wir scheitern:
„Unterschätze
nie deine Möglichkeiten“, schrieb meine
Kunstfreundin auf englisch unter eine
fotografierte Wolke. So etwas wird gern geliked.
Aber das ist mehr als eine Phrase, sie
kann töten. Beim richtigen Namen nennen:
Persönlichkeitsrechte sind was für Juristen.
Böswillig verletzen ist das eine, die Wahrheit
zu suchen und reflektieren ist eine Not der
Kunst.
Beim Segeln kennen sich alle, und jahrelang
waren viele von uns im Januar auch im Wald
unterwegs, boßeln. Ich weiß noch, das Gespräch
kommt drauf, und Klaus fragt mich:
„Wie hieß noch mal der andere?“ „Morten“,
antworte ich ganz unbedarft, aber es gibt
mir einen Stich. Der andere ist Morton, und
ich bin eben der von zweien, der nicht der
andere ist.
# Verrückte
Dann wäre noch an Björn zu erinnern. Das
erledige ich (an diesem Tag im Wald) gleich
mit. Stille Post? Klaus will es wissen und
Daniel auch, beim Boßeln damals. Björn (der
verstorben ist) hat noch einen Bruder, der
ebenfalls segelt, eine Schwester. Man redet
nicht über früher. Ich muss dieses Pferd
einer Geschichte von hinten aufzäumen: Das
Boot (von Heuer noch geplankt gebaut) ist
in der Familie verblieben. Björn also tauchte
spontan auf, mit dieser Jolle, er wäre Mechaniker,
meinte er, repariere Autos. Das war
Ende 1986, zu der Zeit, als ich meine Jolle
von Dieter kaufte.
Viele Namen, das habe ich ja schon gesagt.
Keine Sternchen, es sind richtige Sterne an
meinem Himmel, die ich mit einem Raumschiff
der Fantasie besuchen kann. Anders
könnte diese Geschichte authentisch kaum
erzählt werden als gerade so. Dieter, noch
so einer? Das ist kein Umweg, ich schweife
nicht ab, keineswegs. Das gehört alles dazu.
Was hier notiert ist meint nicht alle Segler
wären verrückt. Menschen sind so, auch
wenn sie kein Boot haben. Wir könnten nicht
besser leben als mit unseren Fehlern. Dieter
also hatte gerade ein Loch in seinen Wohnzimmerfußboden
gebuddelt, nachdem er
den Zement durchbrochen hatte. Ein Haufen
gelber Sand lag auf dem Teppich, als wir
redeten. Der Grund blieb mir unklar.
# Reise zum Mittelpunkt der Erde
Egal, wir verhandelten, und es war ganz einfach.
Ich interessierte mich für das Boot und
traf auf offene Ohren. „Hatten wir ja gesagt,
dass du die Jolle zurückkaufst, wenn du in
dem Alter bist“, meinte er. Das bezog sich auf
den denkwürdigen Tag der Übergabe sechzehn
Jahre zuvor. Ich erinnere die Tausendmarkscheine
und unseren Wohnzimmertisch
im alten Haus.
Ich war nun groß. Dieter hatte
sich verändert. Es hieß, er wäre
gelegentlich nackt am Strand herumgelaufen,
habe ja seine Arbeit
verloren, sei bescheuert geworden.
Ich bekam das Boot etwa
zu dem Preis, den meine Eltern
forderten, als wir verkauften und
den Jollenkreuzer bekamen. Kaum
mehr als dreitausend Mark, die
Summe, die mein Vater 1955 Feltz
für den Neubau von seinem Lohn
bei Wischebrink abstotterte. Zu
wenig? Ich bot wohl viertausend;
ganz genau weiß ich’s nicht mehr, müsste
im Vertrag nachsehen. Die ungepflegte Jolle,
die im Juni ausgetrocknet an Land gelegen
hatte, wurde anschließend bei Knief saniert.
Das kostete noch einmal so viel. Eine
Versicherung war nicht bereit gewesen, das
Boot aufzunehmen, nachdem der Gutachter
Kielplanken und Schwertkasten inspiziert
hatte.
Dieter fing sich, begann wieder zu arbeiten.
Sein Bruder begegnet mir reserviert. Der war
nämlich Mitbesitzer, vermute ich inzwischen.
Gesprochen wurde nie darüber. Dieter hatte
ihn möglicherweise nicht gefragt, die ,Millionen‘
für den „Peter Panter“ allein eingesackt?
Bei mir wurde über den Umweg „Antares“
schließlich der „Globetrotter“ daraus, wie
man diese Jolle kennt.
Mrz 6, 2022 - Schöne Zeit! 35 [Seite 34 bis 37 ]