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Kunstbulletin Januar/Februar 2023

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

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Alexander Hahn — Flimmern der Erinnerung<br />

Nach 1991 zeigt das Kunstmuseum St. Gallen zum zweiten Mal<br />

eine grössere Retrospektive mit Arbeiten von Alexander Hahn.<br />

‹Memory of Light – Light of Memory› inszeniert wirkungsvoll<br />

eine Auswahl von elektronischen und digitalen Werken des in<br />

New York und Zürich lebenden Künstlers.<br />

St. Gallen — Die holografische LED-Projektion eines Passfotos des Künstlers aus<br />

dem Jahr 1998 schwebt über dem Abgang zum Untergeschoss des Kunstmuseums.<br />

Als Kontrast zum lichtdurchfluteten Prunkbau aus dem 19. Jahrhundert bieten die<br />

schlichten, abgedunkelten Räume mit Sichtbeton den idealen Rahmen für das Œuvre<br />

von Alexander Hahn (*1954, Rapperswil), das sich einer breiten Klaviatur von Bildmedientechnologien<br />

bedient: Eine 360°-Virtual-Reality-Arbeit für VR-Headset steht<br />

neben einer Installation mit antikem Stereobetrachter. Mehrere Bilder der Serie ‹The<br />

Artist Studio as Encryption Lab›, 2003–2022, überlagern in einer Art Game-Ästhetik<br />

Hahns Studioräumlichkeiten in New York mit historischen Fotografien, Flugbahnen<br />

eines Insekts oder Aufnahmen vom Mars zu sonderbar luziden Tagträumen. Die<br />

Grenzen zwischen Video und Fotografie verschwimmen bei mehreren Arbeiten, die<br />

kurze Loops in einem Bilderrahmen ausstellen. Besonders augenscheinlich wird das<br />

bei ‹Boy by the Ganges›, 2016/2022: Das HD-Farbvideo eines Jungen, der in Zeitlupe<br />

seine Augen verdreht und mit den Händen das Flötenspiel des hinduistischen Gotts<br />

Krishna imitiert, ist mit vier Standbildern kombiniert. Was man im ersten Moment für<br />

fünf gewöhnliche Fotografien hält, erzeugt eine subtil wirkungsvolle Irritation.<br />

Besonders nahbar und immersiv sind die skulpturalen Arbeiten von Hahn, bei denen<br />

er Alltagsgegenstände mit Motoren und Licht zu retrofuturistischen Erinnerungsmaschinen<br />

werden lässt. Die 2022 begonnene Arbeit ‹The Dead› etwa kombiniert horizontal<br />

platzierte, verzerrte Videoaufnahmen von verstorbenen Menschen, die dem<br />

Künstler nahestanden, mit darauf senkrecht platzierten, säulenartigen Spiegeln. Aus<br />

diffusen Eindrücken steigen plötzlich klare Konturen der Erinnerung auf.<br />

Unübersehbar und faszinierend sind zwei zentrale Arbeiten: Bei ‹On the Nature<br />

of Things›, 1996, prasselt eine Regenmaschine, umgeben von vier Röhrenmonitoren,<br />

unablässig auf die Bodenprojektion eines schlagenden Herzens. Das monumentale<br />

LED-Mosaik ‹Transit of Earth›, 2022, hingegen zeigt als umfassende kosmologische<br />

Arbeit Sonne und Planeten, kombiniert mit Momentaufnahmen aus den zugehörigen<br />

Jahreszeiten. Es lohnt sich auch für die unscheinbareren Arbeiten genug Zeit einzuplanen,<br />

denn die Wirkung dieser grösseren Werke baut auf einem Sensorium für die<br />

feinen Verschiebungen zwischen Wahrnehmung und Traum auf, das sich überall bei<br />

Alexander Hahn vorzüglich kultivieren lässt. Andrin Uetz<br />

→ ‹Alexander Hahn: Memory of Light – Light of Memory›, Kunstmuseum, bis 2.4.<br />

↗ www.kunstmuseumsg.ch<br />

98 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>

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