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Kunstbulletin Januar/Februar 2023

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

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Sophie Taeuber-Arp / Mai-Thu Perret — Hörbare Strahlkraft<br />

Gemeinsam mit der Künstlerin Mai-Thu Perret widmet das<br />

Cabaret Voltaire Sophie Taeuber-Arp eine intime, wohlkomponierte<br />

Hommage. Anlass sind die bisher unveröffentlichten<br />

Briefe der Dadaistin und Avantgardistin, die Ende 2021 mit einer<br />

Publikation des Nimbus-Verlags zugänglich wurden.<br />

Zürich — Im kleinen, fensterlos überwölbten Ausstellungsraum des Cabaret Voltaire<br />

entfaltet sich derzeit ein ganzer Kosmos. Sein Zentrum ist der bodenständige Zauber<br />

von Sophie Taeuber-Arps Schaffen, das mit wenigen Werkbeispielen vergegenwärtigt<br />

wird: eine Glasperlenkette, eine Spitzendecke, eine Marionette aus ‹König Hirsch›,<br />

Druckgrafiken – alles einer stets erstaunlich anmutigen Geometrie verpflichtet. Die<br />

Persönlichkeit hinter der innovativen Vielfalt dieses Œuvres hat man bisher, so wird<br />

einem bewusst, tatsächlich mehr erahnt als «gekannt». Rund 1800 ihrer Briefe, erst<br />

jüngst erforscht und publiziert, machen nun die Stimme der Avantgardistin «hörbar».<br />

Zur Präsentation von Kostproben aus dem Textkonvolut im Cabaret Voltaire hat die<br />

Genfer Künstlerin Mai-Thu Perret ausgewählte eigene Werke und eine grazile ‹Demoiselle›<br />

von Elsi Giauque, einst Schülerin von Taeuber-Arp, mitgebracht. Sie umgeben<br />

einen Gemälde-Paravent von Perret, auf den Kopien von Taeuber-Arps Briefen und<br />

Fotos appliziert sind. Perrets künstlerischer Bezug zur geometrischen Avantgarde<br />

und zu Taeuber-Arp, aber auch die allgemeine Wechselwirkung von Kunstgeschichte<br />

und Gegenwart spiegeln sich in diesem Arrangement. Was man dann in nicht immer<br />

bequemer Pose – gebückt, kauernd – in Taeuber-Arps Zeilen und ergänzenden Kommentaren<br />

liest, gibt Einblick in das avantgardistische Lebensgefühl zwischen zwei<br />

Weltkriegen, in das breite Netzwerk, das Taeuber-Arp in Zürich, Ascona, München<br />

und Clamart pflegte, und in die Lebensrealität einer selbstbewussten Künstlerin, die<br />

sich in einer männlich geprägten Domäne behauptete. Der Ausstellungstitel ‹Ich bin<br />

wüüüüüüüütend› etwa zitiert ihre Reaktion auf das Manifest ‹radikaler Künstler›, (ja,<br />

lediglich Männer), das diese kurzlebige Gruppierung aus dem dadaistischen Umfeld<br />

im Mai 1919 in der NZZ veröffentlichte. Reine Eitelkeit nennt Taeuber, die gerade zur<br />

Kur in Arosa weilt, die Aktion in einem Brief an ihren späteren Ehemann Hans Arp:<br />

«Es kommt nur auf die Arbeit an, diese Art zu manifestieren ist mehr als blöd.»<br />

Die Selbstbehauptung über die Arbeit führt Mai-Thu Perret fort, wenn sie ein<br />

Übungsblatt von Taeuber-Arp aus deren Unterricht für textile Berufe in das männlich<br />

konnotierte Medium des Neons übersetzt und so die Strahlkraft der sorgfältig kleinformatigen<br />

Geste zum Ausdruck bringt. Das Surren der zugehörigen Transformatoren<br />

stimmt ein in den Grundtenor des Aufbruchs und der künstlerischen Kraft, der in dieser<br />

kleinen, feinen Ausstellung mitschwingt. Deborah Keller<br />

→ ‹Ich bin wüüüüüüüütend – Sophie Taeuber-Arp / Mai-Thu Perret›, Cabaret Voltaire, bis 30.4.;<br />

Briefpublikation im Nimbus-Verlag ↗ www.cabaretvoltaire.ch<br />

106 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>

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