Kunstbulletin Januar/Februar 2023
Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.
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Melanie Sterba<br />
Zürich — Sie fährt einen ausgemusterten<br />
Land Rover, Baujahr 1974, mit dem das Militär<br />
früher Haubitzen in Stellung brachte. Die junge<br />
Zürcherin transportiert damit Steinblöcke, bis<br />
zu 1,2 Tonnen schwer. Manche kommen aus der<br />
Sahara. Immer wieder zieht es sie dorthin. Ihr<br />
Atelier ist in Bassersdorf in einer alten Schmiede.<br />
Seit fast zehn Jahren arbeitet sie dort als<br />
Steinbildhauerin. Gelernt habe sie bei «einem<br />
alten Meister mit grauem Rauschebart».<br />
Er möchte anonym bleiben. Melanie Sterba<br />
(*1994) nicht. Sie will den Kunstmarkt erobern.<br />
Zum Auftakt zeigt sie bei Nicola von Senger<br />
eine Skulpturengruppe aus Carrara-Marmor.<br />
Diese würde zeitlos wirken, hätte sie nicht<br />
einen Teil des weissen Marmors mit schwarzer<br />
Acrylfarbe versiegelt. Strahlend weiss bleibt<br />
nur das als Relief aus dem Steinblock gehauene<br />
Motiv in der Frontalansicht. Die klassischen<br />
Themen von Cupido bis David erscheinen im<br />
schwarzen Trauerflor, und man betrachtet sie<br />
wie durch ein Schlüsselloch. So, als würde man<br />
einen Blick in das Innerste des Steins erhaschen,<br />
der die Figuren nur ausschnitthaft freigibt.<br />
Sie sind handwerklich perfekt ausgeführt,<br />
so etwa der Feinschliff der Pupillen im Augapfel,<br />
die den Gesichtern durch ein raffiniertes<br />
Licht-Schatten-Spiel Leben einhauchen. MH<br />
David Shrigley<br />
Zürich — «Everything is shit but do not lose<br />
hope», heisst es auf einem von David Shrigleys<br />
(*1968) ‹Proposals for Record Covers›, der fünften<br />
Einzelausstellung in der Galerie Francesca<br />
Pia, die fünfzig neue Malereien aus Acryl auf<br />
Papier im quadratischen Format umfasst. Der<br />
britische Künstler, der an seiner Abschlussausstellung<br />
1991 noch dachte, er sei zu scheu,<br />
um erfolgreich zu werden, wurde 2013 für den<br />
Turner Prize nominiert und ist heute für seine<br />
schwarzhumorigen Zeichnungen und Malereien<br />
bekannt, die von obszöner Einfachheit sind<br />
und mit ihren Slogans eine satirische Pointe<br />
besitzen. Wie Warhol, Haring und andere Pop-<br />
Artists vor ihm hat auch Shrigley keine Berührungsängste<br />
gegenüber dem Kommerziellen<br />
ausserhalb des Kunstmarktes. Wie eine Industrie<br />
produziert er Zeichnungen, Bücher und<br />
anderes Merchandise, das direkt im Shrig Shop<br />
verkauft wird. Doch «Self-confidence giving<br />
way to terrible anxiety», wie auf einem weiteren<br />
Proposal steht. Eine abgründige Ironie tut sich<br />
auf. ‹Be Nice›, 2017, vielleicht seine beliebteste<br />
Arbeit, ist der Slogan einer therapeutischen<br />
Gesellschaft, die mittels Werbung, Design und<br />
positiver Psychologie uns zum ständigen Glück<br />
und Lächeln auffordert, um noch reibungsloser<br />
zu funktionieren und konsumieren. «Feel free<br />
to vomit», heisst dann das Gegenmittel. MR<br />
Melanie Sterba · David, 2022, Carrara-Marmor,<br />
40 x 24 x 75 cm<br />
→ Galerie Nicola von Senger, bis 28.1.<br />
↗ www.nicolavonsenger.com<br />
David Shrigley · Untitled (Everything Is Shit<br />
But Do Not Lose Hope), 2022, Acryl auf Papier,<br />
55 x 55 cm © ProLitteris<br />
→ Francesca Pia, bis 28.1. ↗ francescapia.com<br />
82 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>