19.12.2022 Aufrufe

Kunstbulletin Januar/Februar 2023

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Was passiert, wenn wir uns von der Idee einer linearen Zeitschreibung<br />

lösen, sie stattdessen zyklisch, elastisch oder polychron<br />

denken? Solche Fragen stellt die diesjährige Manor-<br />

Kunstpreisträgerin der Zentralschweiz. Bei einem Atelierbesuch<br />

im Vorfeld zur Ausstellung im Kunstmuseum Luzern wird klar:<br />

Claudia Kübler versteht die Zeit als Werkstoff. Gianna Rovere<br />

Von links nach rechts, über drei der vier Fenster von Claudia Küblers Atelier hängt<br />

eine lange, schmale Papierbahn: «1750000000 yrs» steht darauf in oranger, krakeliger<br />

Schrift. Diese Zahl ist eine von zweien, die Kübler, wie sie sagt, «in die Ausstellung<br />

eingeladen» hat. Die Zahl wird als grosse Neonschrift im Kunstmuseum Luzern<br />

installiert und beschreibt, wie lange die Erde noch in einer habitablen, also einer<br />

lebensfreundlichen Zone sein wird. Eine abstrakte Grösse, deren Unfassbarkeit die<br />

Künstlerin durch die zeichnerische Unleserlichkeit und die angefügte, doppeldeutige<br />

Abkürzung noch weitertreibt: «yrs» steht einerseits für «years», andererseits für<br />

«yours». Wem gehört diese uns noch verbleibende Zeit?<br />

Wo wir in der Zeit stehen<br />

Die am Greifensee aufgewachsene Claudia Kübler befasst sich in ihren Arbeiten<br />

oft mit dem geologischen Konzept von «deep time» – also mit ultralangsamen Zeitprozessen,<br />

die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen. Von der Sichtbarmachung<br />

von solch abstrakten Zahlen und Zeitlichkeiten handelt auch der Titel ihrer<br />

Einzelausstellung, die sie als Gewinnerin des Manor Kunstpreis Zentralschweiz 2022<br />

im Kunstmuseum Luzern präsentiert: ‹Drei Sekunden vor Mitternacht› nimmt Bezug<br />

auf das Anschauungsmodell der Uhr, das herbeigezogen wird, um die Entstehung und<br />

Entwicklung des Lebens auf Erden fassbar zu machen. Erst ab 23 Uhr verdichten sich<br />

dabei die Ereignisse – bis drei Sekunden vor Mitternacht schliesslich der Mensch<br />

dazustösst. «Drei Sekunden vor Mitternacht» baut Spannung auf, klingt fast schon<br />

alarmierend. Wird es nach Mitternacht weitergehen? Kübler stellt implizit gleichzeitig<br />

die Frage in den Raum, ob wir mehr Respekt für Dinge hätten, die viel Zeit in ihrer Entstehung<br />

gebraucht haben, wenn diese Zeitspanne nicht so unbegreifbar für uns wäre.<br />

Mit dem Ursprung der Menschheit hat sich die Künstlerin erstmals in ihrer Arbeit<br />

‹hic et nunc›, 2021, auseinandergesetzt, die im Helmhaus Zürich gezeigt wurde. Die<br />

grossformatige Bodeninstallation, die begleitet wird von einer krakeligen Neonschrift,<br />

besteht aus einem fragilen, mit gemahlenem Sedimentgestein akkurat gestreuten<br />

Zeichen. Es ist das Icon von Online Maps, das uns im digitalen Zeitalter bestätigt:<br />

«You are here» – du bist da. Das verwendete, rote Gestein stammt aus der Region in<br />

Südafrika, die auch als die «Wiege der Menschheit» bezeichnet wird, da dort einige<br />

der ältesten menschlichen Fossilien gefunden wurden. Kübler hat das Rohmaterial<br />

während eines zweimonatigen Atelieraufenthalts in Johannesburg gesammelt und<br />

in langwieriger Sisyphusarbeit von Hand gemahlen. «Mir gefiel diese Vorstellung, so<br />

26 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!