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Kunstbulletin Januar/Februar 2023

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

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Roee Rosen — Das obszöne Gesetz der reinen Form<br />

Der israelische Künstler Roee Rosen verführt uns im Kunstmuseum<br />

Luzern in eine abgründige Welt, in der nichts ist, wie es<br />

scheint, und die Bilder und Buchstaben uns ständig verraten.<br />

Selbst seine Identität löst sich in einem Spiel der Masken auf,<br />

sodass man am Ende fragt: Wer ist Roee Rosen?<br />

Luzern — Der Ausstellungstitel ‹Kafka for Kids & Other Troubling Tales› deutet es<br />

bereits an: Aus dem grossem Œuvre von Roee Rosen (*1963) wählten Gastkurator<br />

Sergio Edelsztein und Fanni Fetzer, Direktorin am Kunstmuseum Luzern, Werke aus,<br />

in denen Erzählungen eine Hauptrolle spielen. Romane, Dramen, Historien, aber auch<br />

Märchen, Witze und Wahnvorstellungen im Medium von Gouache, Malerei, Schrift<br />

und Film. Diese Hybridisierung ist für den israelischen Künstler zentrales Gestaltungsprinzip.<br />

Die Verschmelzung von Realität und Fiktion enthüllt das Reale im Fiktiven<br />

und entlarvt das Fiktionale in der Realität. Nicht als postmodernes «L’art pour<br />

l’art», sondern mit politischer Pointe. Denn Ethik und Ästhetik sind für Rosen eins.<br />

Seine Vorliebe für die «unreine» Form rührt auch von einem Misstrauen gegenüber<br />

Bildern. Wie Gott im 2. Gebot, «Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt<br />

von irgendetwas», verbot auch Kafka Bilder seines Ungeziefers. ‹Kafka for Kids›, 2022,<br />

ist eine Nacherzählung von ‹Die Verwandlung› in Form einer Fernseh-Märchenstunde<br />

mit Animationen, für welche Rosens Gouachen als Vorlage dienten. Das Märchen verwandelt<br />

sich in den Monolog einer Juristin, die beschreibt, wie unterschiedlich israelische<br />

und palästinensische Kinder unter das israelische Gesetz fallen.<br />

Das Thema der Putzfrau, die das unhygienische Ungeziefer entsorgt, taucht bereits<br />

im Film ‹Dust Channel›, 2016, auf, der an der documenta 14 in Kassel Premiere<br />

hatte. In der Operette mit russischem Libretto besingt ein Paar mit obsessivem<br />

Ordnungssinn den Staubsauger Dyson DC07. Die Wohnung ist eine Wunschmaschine,<br />

welche Lüste weckt und befriedigt, und spiegelt als System der Dinge die soziale<br />

Struktur und die Werte einer Gesellschaft. Draussen sehen wir ein reales Flüchtlingslager,<br />

welches das spektakuläre Innere von unerwünschten Personen «rein» hält.<br />

Um den verfemten Teil geht es auch in den surrealistischen Blättern ‹The Stained<br />

Portfolio›, 1927/28, der fiktiven belgisch-jüdischen Malerin Justine Frank (1900–1943).<br />

Das obszöne Werk verneint – wie der Witz – das Gesetz, das es als Verdrängtes<br />

zugleich zur Kenntnis nimmt, denn es muss es bejahen, um bei der bewussten Überschreitung<br />

Lust daraus gewinnen zu können. Die Form des Obszönen verrät das<br />

Obszöne des Gesetzes. Franks ebenfalls erdachte Biografin Joanna Führer-Has’fari,<br />

von Rosen gemimt, bezichtigt in ‹Two Women and a Man›, 2005, Roee Rosen der Appropriation<br />

und des Plagiats. Am Ende stellt sich die Frage: Wer steckt hinter all den<br />

Masken? Wer ist Roee Rosen? Oder ist die Frage die Antwort? Michel Rebosura<br />

→ ‹Roee Rosen – Kafka for Kids & Other Troubling Tales›, Kunstmuseum, bis 5.2.<br />

↗ www.kunstmuseumluzern.ch<br />

94 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>

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