Kunstbulletin Januar/Februar 2023
Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.
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Lubaina Himid — Die Welt als Theaterbühne<br />
Wie präsentiert man vierzig Jahre intensiver künstlerischer Tätigkeit?<br />
Dieser Herausforderung stellt sich das Musée cantonal<br />
des Beaux-Arts de Lausanne mit der ersten Schweizer Retrospektive<br />
der Britin Lubaina Himid. Und es tut dies mit einer<br />
Reihe von offenen Fragen.<br />
Lausanne — Die Ausstellung beginnt bereits in der Empfangshalle. Dort erwarten<br />
uns die ersten Fragen, die auf grosse, von Kangas (ostafrikanische Textilien) inspirierte<br />
Fahnen gedruckt sind: «How do you spell Change?», steht auf einer. Angelehnt<br />
an die breite Palette an Themen, die Lubaina Himid (*1954, Sansibar) regelmässig<br />
aufgreift, hat die Kuratorin Nicole Schweizer im MCBA eine spannende Überblicksschau<br />
zur Künstlerin in Zusammenarbeit mit der Tate London konzipiert. Über siebzig<br />
Werke – Gemälde, poetische Texte und Klanginstallationen – werfen endlos Fragen<br />
über den Aufbau der Umwelt, Geschichte, Beziehungen und Konflikte auf.<br />
«Welchen Plan hast du für dein intensives und kostbares Leben?» Für das Schaffen<br />
der britischen Künstlerin, die 2017 mit dem Turner Prize ausgezeichnet wurde<br />
und für ihr Engagement im Black Arts Movement der 1980er-Jahre bekannt ist, ist<br />
diese Verszeile von Mary Oliver zentral. «Es ist keine Frage, die eine Antwort erfordert»,<br />
fügt Himid hinzu. «Es geht darum, das eigene Leben als veränderbar zu betrachten.»<br />
‹Freedom and Change› heisst übrigens eines von Himids bekanntesten<br />
Werken: Die von Picasso inspirierte Wandinstallation zeigt zwei dunkelhäutige Frauen,<br />
die barfuss einen Strand entlanglaufen, von vier Hunden gezogen werden und<br />
das Siegeszeichen machen, wobei sie Männerköpfe im Sand zurücklassen – Zeichen<br />
dafür, dass sie ihr Schicksal selbst bestimmen. Weiter erinnert uns die Installation<br />
‹A Fashionable Marriage› an eine Theaterbühne: Himid behält die Originalkomposition<br />
von ‹Mariage à la Mode›, 1743–1745, des britischen Malers William Hogarth,<br />
ersetzt die Figuren jedoch durch Politiker der 1980er wie Ronald Reagan und Margaret<br />
Thatcher oder durch Figurentypen. Diese Parodie des Welttheaters wird von zwei<br />
schwarzen Frauenfiguren dominiert.<br />
Inspiriert durch die Theaterausbildung der Künstlerin und ihr Interesse für die<br />
Oper, ist die Ausstellung als Abfolge von Szenen konzipiert. Auf den ersten Blick<br />
entdeckt man eine bunte und fröhliche Welt – eine Explosion von Farben, die mit<br />
vielen geometrisierenden Elementen an afrikanische Kunst erinnert. Eine Welt, in<br />
der wir uns wohl, willkommen und sicher fühlen. Doch je schärfer unser Blick wird,<br />
desto grös ser wird das Unbehagen. Was sich hinter diesen einfachen Szenen versteckt,<br />
sind Sklaverei, Rassismus, Intoleranz. Durch Himids Kunst fühlt sich die<br />
Zuschauer:in zerrissen – zwischen Schrecken und Hoffnung, Dunkelheit und Licht.<br />
Ein endloses Hin und Her wie zwischen Leben und Theater. Ingrid Dubach-Lemainque<br />
→ ‹Lubaina Himid – So Many Dreams›, Musée cantonal des Beaux-Arts, bis 5.2. ↗ www.mcba.ch<br />
90 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>