19.12.2022 Aufrufe

Kunstbulletin Januar/Februar 2023

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kunst und Krieg — Schön und verstörend<br />

Was Menschen einander antun, wie sie darauf reagieren und wie<br />

Künstler:innen für sich und andere darauf antworten: Darum<br />

geht es in der Ausstellung ‹Kunst und Krieg›, die ausgewählte<br />

Werke aus fünf Jahrhunderten zeigt – realistisch, apokalyptisch,<br />

allegorisch, aufwühlend und anklagend.<br />

Winterthur — Es gibt Augenblicke, da vergisst man für kurze Zeit, dass man sich in<br />

einer Schau zum Thema Krieg befindet. Etwa vor Gerhard Richters wunderbar leuchtenden<br />

und bewegten Lack-hinter-Glas-Bildern mit dem unschuldigen Titel ‹Bagdad›,<br />

2010: bildschöne Momente, die nichts ausser sich selbst abbilden. Doch man<br />

traut ihnen nicht so recht, nicht im Kontext dieser Ausstellung, die gerade durch den<br />

Krieg in der Ukraine traurige Aktualität erlangt hat. Und weil man sich bei Richter,<br />

diesem geschichtsbewussten Künstler, oft auf dünnem Eis bewegt. Das grosse Gemälde<br />

‹Bomber›, 1963, eines von Richters ersten nach Fotos entstandenen Werken,<br />

zeigt es in seiner ganzen malerisch aktualisierten Realität.<br />

‹Kunst und Krieg› hätte eine riesige Ausstellung werden können, aber Kurator David<br />

Schmidhauser beschränkt sich klug auf «einen Streifzug von der Renaissance bis<br />

zur Gegenwart». Der beginnt beim Grossmeister Dürer und seiner genialen, ebenso<br />

abgründigen wie prägenden Interpretation der ‹Apokalypse des Johannes›, 1511, und<br />

endet bei den verstörenden ‹Ernsten Spielen›, 2010, des deutschen Experimentalfilmers<br />

Harun Farocki. Gegen 90 Exponate, vorwiegend Druckgrafiken, Bekanntes und<br />

selten zu Sehendes von 13 Künstlern und einer Künstlerin, von denen viele Augenzeugen<br />

der Ereignisse waren: Das ist sehr anregend und ruft in jeder Betrachterin,<br />

jedem Betrachter eine Fülle weiterer Bilder wach. Bei Käthe Kollwitz etwa, nicht nur<br />

Zeugin, sondern auch Leidtragende zweier Kriege, die unter anderem mit ihrer berühmten<br />

letzten Lithografie von 1941 vertreten ist, denkt man an ihren Bauernkrieg-<br />

Zyklus, bei Otto Dix an sein Mappenwerk ‹Der Krieg›. Bei Frans Masereel, hier mit<br />

einem eindringlichen meterlangen Rollbild präsent, das dramatische Ereignisse von<br />

Invasion und Flucht im Frankreich von 1940 erzählt, fällt mir ‹Lagerkunst› aus Gurs<br />

und anderen KZs ein. Wären die Künstler:innen nicht so grossartige Gestalter der<br />

dunklen Themen, ‹Kunst und Krieg› wäre eine schreckliche Ausstellung. So aber sind,<br />

auch wenn der Anblick schaudern macht, die kleinen, unglaublich fein ausgeführten<br />

Radierungen von Callot, die 1633, gegen Ende seines Lebens, entstanden und<br />

das Elend des Dreissigjährigen Krieges spiegeln, noch erträglich. Fantastische Fabulierkunst<br />

– man greift mit leichtem Schamgefühl zur Lupe, um die klein-grossen<br />

Miniatur-Tableaus genau zu lesen. Auch Goya bewunderte sie. Auch er bringt in den<br />

‹Desastres de la guerra› Täter und Opfer ins Bild, fokussiert auf exemplarische Einzelmomente.<br />

Eine Anklage so brisant wie eh und je. Angelika Maass<br />

→ ‹Kunst und Krieg – Von Goya bis Richter›, Kunst Museum | Reinhart am Stadtgarten, bis 12.2.<br />

↗ www.kmw.ch<br />

102 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!