Kunstbulletin Januar/Februar 2023
Unsere Januar/Februar Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Claudia Kübler, CCS On Tour, Hands-on, Gina Proenza, uvm.
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von Mimmo Jodice oder Maskeraden von Luigi<br />
Ontani: Immer wird dem Verschwinden im Bild<br />
etwas entgegengesetzt. Politischer Einsatz<br />
in einem Umfeld, das bis heute Fotografie als<br />
spiegelgleiche Repräsentation des Wirklichen<br />
propagiert. Mit so viel Aktualität dürften Quentin<br />
Bajarc und Diane Dufour nicht gerechnet<br />
haben, als sie die umfangreiche Retrospektive<br />
planten. Nun macht der politische Rechtsruck<br />
im italienischen Stiefel die Wiederbegegnung<br />
mit Fotografien, Filmen, Videos der Arte Povera<br />
und deren Resonanzen tagesaktuell. JES<br />
Luigi Ontani · Montovolo, 1969, Super-8-Film,<br />
s/w, 4’57’’, GAM Torino, Courtesy Fondazione<br />
Torino Musei. Foto: Studio Fotografico Gonella<br />
Luigi Ontani · Svolgere la propria pelle, 1970,<br />
(Detail), 607 seleniumvirierte Fotoabzüge, s/w,<br />
Barytpapier auf 18 Tafeln, je 53,5 x 73,5 cm<br />
© ProLitteris. Foto: Archivio Penone<br />
→ Le Bal und Jeu de Paume, bis 29.1.; ab<br />
Frühjahr im Triennale Milano, mit Katalog<br />
↗ www.jeudepaume.org<br />
↗ www.le-bal.fr. ↗ www.triennale.org.<br />
→ Zeichnungen Giuseppe Penones im Centre<br />
Pompidou, bis 6.3. ↗ www.centrepompidou.fr<br />
doing family<br />
Pfäffikon SZ — «Eine Familie wie aus dem Bilderbuch»,<br />
heisst es oft, wenn alles so aussieht,<br />
wie das gesellschaftliche Ideal es vorschreibt:<br />
Vater, Mutter, zwei Kinder, Wohnung tiptop<br />
aufgeräumt, Waschküchenschlüssel korrekt<br />
weitergegeben, Ruhezeiten eingehalten. Nur<br />
das Kellerabteil birgt ein Geheimnis, welches<br />
lieber dort geblieben wäre. Schicht für Schicht<br />
wird der Begriff – oder Mythos? – Familie im<br />
Vögele Kulturzentrum in ‹doing family› mit<br />
sechs Themenbereichen und 55 Exponaten<br />
aufgefächert. Vier Hörstationen mit Geschichten<br />
der Familie Baldenweg bilden den zentralen<br />
Handlungsstrang, bei dem besagtes Kellerabteil<br />
eine wichtige Rolle spielt, weil dort eine<br />
Flasche herumkullert. Es stellt sich hier eine<br />
der zentralen Fragen: Was geben wir im engen<br />
Familienverbund preis, und was möchten wir<br />
lieber für uns behalten? Nebst interaktiven<br />
Installationen und Videos mit Fachgesprächen<br />
befassen sich auch ein Dutzend Künstler:innen<br />
mit dem Universum ‹Familie›. So beobachten<br />
uns Hanna Nitsch (*1974, Freiburg/B) und ihre<br />
Kinder aus ihren grossformatigen Zeichnungen,<br />
und Johan Bävman (*1982) porträtierte<br />
‹Swedish Dads›, die sich mehr in die Familie<br />
einbringen, als das tradierte Rollenbild es<br />
vorsieht. Nesa Geschwend (1960–2022) legte<br />
mit ‹Gefaltete Erinnerungen› einen Steingarten<br />
textiler Skulpturen aus, für die sie die Bettwäsche<br />
ihrer von zu Hause ausgezogenen Kinder<br />
verwendete; Isabelle Krieg (*1971, Fribourg)<br />
baute Jacken aus ihrem Leben zu einem Hügel<br />
auf, der uns einem aufgeschnittenen Gugelhopf<br />
gleich in sein Innerstes blicken lässt. Zwei<br />
Sofas bilden Leseinseln, und ein grosser Tisch<br />
lädt zum Spielen ein. Wie viele Familien spielen<br />
heute noch am Stubentisch, würfeln drei Mal<br />
die Sechs und müssen alle Figuren wieder nach<br />
Hause bringen? In jenes Zuhause, das eigentlich<br />
Geborgenheit schenken sollte und es doch<br />
so oft nicht tut – viele Beziehungen zerbrechen<br />
in den ersten vier Lebensjahren des Kindes.<br />
Der Weg vom werbetechnischen Idyll zur realen<br />
Hölle in den eigenen vier Wänden ist manchmal<br />
kurz und beginnt unmerklich mit einer zu<br />
HINWEISE // MÜNCHEN / PARIS / PFÄFFIKON SZ<br />
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