Kunst und Krieg — Schön und verstörend Was Menschen einander antun, wie sie darauf reagieren und wie Künstler:innen für sich und andere darauf antworten: Darum geht es in der Ausstellung ‹Kunst und Krieg›, die ausgewählte Werke aus fünf Jahrhunderten zeigt – realistisch, apokalyptisch, allegorisch, aufwühlend und anklagend. Winterthur — Es gibt Augenblicke, da vergisst man für kurze Zeit, dass man sich in einer Schau zum Thema Krieg befindet. Etwa vor Gerhard Richters wunderbar leuchtenden und bewegten Lack-hinter-Glas-Bildern mit dem unschuldigen Titel ‹Bagdad›, 2010: bildschöne Momente, die nichts ausser sich selbst abbilden. Doch man traut ihnen nicht so recht, nicht im Kontext dieser Ausstellung, die gerade durch den Krieg in der Ukraine traurige Aktualität erlangt hat. Und weil man sich bei Richter, diesem geschichtsbewussten Künstler, oft auf dünnem Eis bewegt. Das grosse Gemälde ‹Bomber›, 1963, eines von Richters ersten nach Fotos entstandenen Werken, zeigt es in seiner ganzen malerisch aktualisierten Realität. ‹Kunst und Krieg› hätte eine riesige Ausstellung werden können, aber Kurator David Schmidhauser beschränkt sich klug auf «einen Streifzug von der Renaissance bis zur Gegenwart». Der beginnt beim Grossmeister Dürer und seiner genialen, ebenso abgründigen wie prägenden Interpretation der ‹Apokalypse des Johannes›, 1511, und endet bei den verstörenden ‹Ernsten Spielen›, 2010, des deutschen Experimentalfilmers Harun Farocki. Gegen 90 Exponate, vorwiegend Druckgrafiken, Bekanntes und selten zu Sehendes von 13 Künstlern und einer Künstlerin, von denen viele Augenzeugen der Ereignisse waren: Das ist sehr anregend und ruft in jeder Betrachterin, jedem Betrachter eine Fülle weiterer Bilder wach. Bei Käthe Kollwitz etwa, nicht nur Zeugin, sondern auch Leidtragende zweier Kriege, die unter anderem mit ihrer berühmten letzten Lithografie von 1941 vertreten ist, denkt man an ihren Bauernkrieg- Zyklus, bei Otto Dix an sein Mappenwerk ‹Der Krieg›. Bei Frans Masereel, hier mit einem eindringlichen meterlangen Rollbild präsent, das dramatische Ereignisse von Invasion und Flucht im Frankreich von 1940 erzählt, fällt mir ‹Lagerkunst› aus Gurs und anderen KZs ein. Wären die Künstler:innen nicht so grossartige Gestalter der dunklen Themen, ‹Kunst und Krieg› wäre eine schreckliche Ausstellung. So aber sind, auch wenn der Anblick schaudern macht, die kleinen, unglaublich fein ausgeführten Radierungen von Callot, die 1633, gegen Ende seines Lebens, entstanden und das Elend des Dreissigjährigen Krieges spiegeln, noch erträglich. Fantastische Fabulierkunst – man greift mit leichtem Schamgefühl zur Lupe, um die klein-grossen Miniatur-Tableaus genau zu lesen. Auch Goya bewunderte sie. Auch er bringt in den ‹Desastres de la guerra› Täter und Opfer ins Bild, fokussiert auf exemplarische Einzelmomente. Eine Anklage so brisant wie eh und je. Angelika Maass → ‹Kunst und Krieg – Von Goya bis Richter›, Kunst Museum | Reinhart am Stadtgarten, bis 12.2. ↗ www.kmw.ch 102 <strong>Kunstbulletin</strong> 1-2/<strong>2023</strong>
Gerhard Richter · Bomber, 1963, Öl auf Leinwand, 130,6 x 180,6 x 2,5 cm, Städtische Galerie Wolfsburg Félix Vallotton · Paysage de ruines et d’incendies, 1915, Öl auf Leinwand, 115,2 x 147 cm, Kunstmuseum Bern, Schenkung der Stiftung Gemäldesammlung Emil Bretschger, 1983 BESPRECHUNGEN // WINTERTHUR 103
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