2012-03

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Buchbesprechung AUS GROßMUTTERS ZEITEN Momente des Erinnerns Unter dem Titel „Aus Großmutters Zeiten“ hat Horst Beckmann Geschichten aufgeschrieben als Erinnerungen an die „gute alte Zeit“, wie er sie (Jahrgang 1926) als Kind und Jugendlicher in Stargard im damaligen Pommern erlebt hat. Dabei spielte die „alte“ Großmutter – zur Unterscheidung zur „jungen“ Großmutter mütterlicherseits – eine wesentliche Rolle. Wie ein roter Faden zieht sich Großmutters der Kaiserzeit verhaftete Ansicht zu allem Neuen durch viele Geschichten. „Dat is Düwelstüch!“ (Das ist Teufelszeug!) war dann ihr Kommentar. Elektrischer Strom, Radio, Telefon und Automobil waren „Düwelstüch“ und wurden deshalb in Frage gestellt oder ganz abgelehnt. In „Pust dat Licht ut!“ lehnt sie den Einzug der Elektrizität in ihre Wohnung ab. Selbst als die Leitungen längst gelegt sind, behält sie ihre alte Petroleumlampe. Wenn es Abend wurde, wurde diese mit einem Fidibus angezündet und vor dem Schlafengehen ausgepustet. Sie wies dann den Letzten, der aus dem Wohnzimmer kam, an: „Pust dat Licht ut!“ Einen guten Einblick in die Zeit der Weimarer Republik und der Inflation gibt die Geschichte „Das Konfirmationsgeschenk“. Darin wird von einem Jungen erzählt, der im Jahr 1919 einen großzügigen Patenonkel hatte. Nach seiner Einsegnung stellte er sich vor dem Konfirmand auf, gab ihm gute Ratschläge fürs Leben und überreichte ihm dann ein Kuvert. Der Junge traute seinen Augen nicht: Es enthielt einen Hundertmarkschein! „Dafür, lieber Helmut, kaufst du dir ein Fahrrad!“, sagte der Patenonkel. Ein richtiges Fahrrad? Das war natürlich zu der damaligen Zeit etwas ganz Besonderes. Gangschaltung gab es noch nicht und die älteren unter unseren Lesern erinnern sich vielleicht noch, dass die ersten Räder noch Vollgummireifen hatten. Aber diese Geschichte geht weiter, denn der Vater sagt ihm, dass er das Geld erst mal zur Bank geben solle, damit es Zinsen bringe. Und so wird ein Sparbuch angelegt. Aber dann kam es zur Inflation, das Geld verlor immer mehr an Wert und die Ersparnisse schrumpften täglich mehr zusammen. Für ein Fahrrad reichte die Geldanlage schon nicht mehr. So wollte die Mutter das Geld abheben, um wenigstens noch ein Oberhemd zu kaufen. Aber der Vater meinte: „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Die Zeit kam und guter Rat wurde teuer Aber lassen wir den Betroffenen einmal selbst erzählen: „Als ich dann sah, wie Vater täglich Berge von Geldscheinen nach Hause brachte, um sie am selben Tag noch in wenige Lebensmittel umzusetzen, damit wir am nächsten Tag zu essen hatten, bestand auch ich auf meinem Geld. Ich ging mit dem Sparbuch zur Bank. Man zahlte mir meine Spareinlagen nebst Zinsen aus. Nun hatte ich mein großzügiges Konfirmationsgeschenk wieder als Bargeld in der Hand. Etwa 108 Mark waren mit Zinsen daraus geworden….Doch was würde ich dafür überhaupt erwerben können?“ Er geht dann in das nebenan liegende Kolonialwarengeschäft. Als er den Laden betrat, fragte ihn die Nachbarin: „Na, Helmut, was hast du auf dem Herzen?“ Er legte seine Ersparnisse auf den Tresen. Die Kaufmannsfrau überblickte schnell die Lage. Jeden Tag bekamen die Banken damals neu gedruckte Geldscheine mit immer höheren, abenteuerlichen Werten. Jeden Tag eilten die Menschen in die Läden, um das Nötigste zum Leben zu kaufen. Da meinte die Kaufmannsfrau: „Du isst doch gerne Hering?“ Er nickte und schon griff sie nach der Holzzange, die über dem Fassrand hing und packte ihm einen Bismarckhering ein. Er erzählt weiter: „Den habe ich dann zu Hause mit Genuss gegessen, denn schließlich hatte ich ihn von meinem ersten gesparten Geld gekauft. Das großzügige Geschenk meines Patenonkels, gedacht für den Kauf eines Fahrrads, war zum Wert eines Bismarckherings zusammengeschrumpft!“ Die Lebenserinnerungen aus der „guten alten Zeit“ enden mit Geschichten nach dem Tod der geliebten Großmutter 1940. Da fragt sich der Autor: Was hätte Großmutter wohl dazu gesagt, dass er zum Beispiel im April 1945 vor seiner Exekution bewahrt wurde und Erschienen im Zeitgut Verlag zum Dank dafür Gott versprach, ihm 125 Seiten 12,90 € sein Leben zu schenken und Pfarrer zu werden? Großmutter hätte es vermutlich gefallen, dass er sein Wort einhielt. Das Buch enthält Familienfotos und historische Abbildungen von Gebäuden und anderen Zeitzeugen, die das Erzählte lebendig werden lassen. Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen; es ist meines Erachtens ein Buch nicht nur für uns Ältere sondern für alle Generationen – zum Erinnern, Staunen und Schmunzeln. Horst Mahle 26 durchblick 3/2012
Literaturfestival DIE RÜCKKEHR DER BÜCHER VielSeitig – das europäische Literaturfestival Einladung zur literarischen Entdeckungsreise in die Siegener Innenstadt Menschen, die von einer Lesung zur anderen flanieren, zwischendurch im Buch einer englischen Dramatikerin blättern und dann abends mit viel Enthusiasmus am Kneipentresen mit dem eben gehörten Bestseller-Autor aus Irland diskutieren: Von Donnerstag, 25., bis Sonntag, 28. Oktober, heißt es wieder „The books are back in town“, denn zum zweiten Mal treffen mitten in Siegen Leser auf ihre Lieblingsautoren, Hörbuchfreunde auf Kultstimmen und die große europäische Literatur auf ein begeisterungsfähiges Publikum in kleinen Kneipen und Cafés. Der Startschuss für das Festival fällt bereits einen Tag früher als noch 2010: Moderiert von dem renommierten TV-Literaturkritiker Dennis Scheck, sorgen die preisgekrönten Wortakrobaten Marcus Jeroch, Christine Prayon und der legendäre Wolfgang Nitschke in der literarischkabarettistischen Eigenproduktion „Wortwechsel“ (25.10.) mit polemischem Bestsellerfressen und Neuinterpretationen populärer Klassiker für literarische Einsichten. Ein gefundenes Fressen für Freunde der schwarzhumorigen Weltliteratur kündigt sich dagegen eher wie eine Haushaltsfibel der ‘50er an: „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen“ (28.10.) des Isländers Hallgrímur Helgason mauserte sich direkt nach Erscheinen zum Dauerbrenner auf den internationalen Bestsellerlisten. Wie schon 2010 mit Rufus Beck für Mark Twains „Bummel durch Europa“, konnte vielSeitig auch 2012 wieder einen ganz besonderen Präsentator für das witzig-ironische Roadmovie gewinnen. Zusammen mit seiner Band „The Toxic Truth“ erläutert ausgerechnet Schauspieler-Ikone Uwe Ochsenknecht („Männer“) mögliche Motivationen, sich in die Hausarbeit zu stürzen. Dass Bücher aller Art auch im schnelllebigen Internetzeitalter ihre Faszination behalten und über Alters- und Genregrenzen hinweg begeistern, zeigen die von univer- sitärer Seite eingebrachten vielSeitig-Projekte: Ein „Dozenten-Duell“ (27.10.) demonstriert hautnah, welcher „Prof“ wirklich mit Texten umgehen kann, gleichzeitig gibt „All you can read“ (27.10.) nur wenige Meter entfernt orginalsprachliche Einblicke in die Lieblingsliteratur ausländischer Studierender. Dreh- und Angelpunkte des viertägigen Festivals sind zwar die großformatigen Literatur-Präsentationen im Lÿz, doch auch die atmosphärischen Café-Lesungen stoßen garantiert auf großes Publikumsinteresse. 2012 findet der irische Autor Ken Bruen mit seinem trinkfesten Ermittler Jack Taylor (26.10.12) im Irish Pub „The Shamrock“ einen ebenso angemessenen Vortragsplatz wie der exzentrische Österreicher Heinz Vegh mit seinem schräg-deftigen Roadmovie-Roman „Shopping Town 66“ (28.10.12) im „Naschwerk“, mitten im Shopping-Herzen von Siegen. Daneben setzen sich einige Lesungen auch mit aktuellen Fragen auseinander, wenn z.B. die Deutsch-Italienerin Petra Reski mit ihrem Buch „Von Kamen nach Corleone“ zeigt, wie gut sich die Mafia seit 40 Jahren in Deutschland eingerichtet hat oder Michael Ridpath mit seinem Thriller „Wut“ (28.10.) die internationale Finanzkrise thematisiert. Ein Leckerbissen steht am 27.10. im „Hackermann kücke & bar“ auf dem Programm, wenn der Slowake Michal Hvorecky, Auszüge aus seinem Abenteuerroman „Tod auf der Donau“ liest. Veranstaltet wird vielSeitig. Europäisches Literaturfestival Siegen in Kooperation zweier Institutionen, die fester Bestandteil der südwestfälischen Kulturlandschaft sind: Die Universität Siegen und das Kultur!Büro des Kreises Siegen-Wittgenstein ergänzen sich durch ihre Kenntnisse im Literaturbetrieb ebenso wie durch ihre Erfahrungen in Sachen Projekte und Veranstaltungen. Karten und ausführliche Informationen zum Programm gibt es im Internet auf www.vielseitig-festival.eu oder unter #. 0271/333-2448. Andreas Schmidt durchblick 3/2012 27
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