2012-03
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DER NEUE RASEN<br />
Manchmal träume ich in den Tag...<br />
Ich höre Vogelgezwitscher. Rieche milde Frühlingsluft.<br />
Genieße die Sonnenstrahlen die durch frisches Laub gefiltert<br />
werden und ein angenehmes Licht auf die Terrasse<br />
bringen. Ich sehe den liebevoll gedeckten Kaffeetisch, an<br />
dem mein Sohn schon wartet und den Kuchen aufschneidet,<br />
während ich mit einem frischen Blumenstrauß durch die<br />
Türe trete. Mein Mann, der noch kleine Schönheitsreparaturen<br />
an unserem Holzzaun vornimmt, signalisiert mir, das<br />
der Kaffeeduft bei ihm angekommen ist und er augenblicklich<br />
zu Tische kommt.....<br />
Den Tisch auf unserer Terrasse gibt es tatsächlich. Dort<br />
sitze ich vor einem Stapel Zeitungen. Trotz unseres Supersonnenschirmes<br />
brauche ich noch eine Sonnenbrille, um<br />
mich vor dem grellen Licht zu schützen. Vielleicht hätte<br />
man doch eine dunklere Farbe für den Bezugsstoff wählen<br />
sollen. Unser Umzug ins neue Haus am Rande der Stadt ist<br />
erst wenige Monate her. Die neu gepflanzten Baumsetzlinge<br />
werden noch Jahrzehnte brauchen, bis sie Schatten<br />
spenden.<br />
Meinen Kaffee habe ich ausgetrunken. Die Tassen von<br />
Johannes, meinem Mann, und Jannik, unserem Sohn, sind<br />
noch unberührt. Selbst der Himbeerkuchen steht noch unangetastet<br />
auf dem Tisch. Jannik sitzt abgewandt auf der<br />
Stuhlkante und tippt unermüdlich Nachrichten in sein Handy.<br />
Johannes sitzt im Arbeitszimmer und tippt in seinen<br />
neuen Laptop. Manchmal komme ich mir hoffnungslos<br />
altmodisch vor. Ich habe nur das Blätterrascheln meiner<br />
Zeitungen als Geräusch anzubieten.<br />
Johannes kommt aus dem Haus und sagt mir, dass er eine<br />
e-mail empfangen hat, die uns mitteilt, das wir morgen den<br />
neuen Rollrasen geliefert bekommen.<br />
„Ich dachte immer, wir säen Grassaat.“ Für einen Moment<br />
sehe ich vor meinem inneren Auge einen sonnengebräunten<br />
Johannes mit einer altmodischen Saattasche, der<br />
das Saatgut auswirft, während ich mit einem Holzrechen....<br />
„Das hat man vielleicht vor vielen Jahren so gemacht. Nein,<br />
morgen kommt ein Lastwagen und liefert die Grasrollen.“<br />
Und genau so ist es. Ich bin wie meistens allein zu Hause<br />
und habe mich gerade an dieAbwesenheit von Klimpern und<br />
Piepsen und die dadurch entstandene Ruhe gewöhnt. Ja, ich<br />
glaube sogar, das ich für einen Moment Vogelgezwitscher<br />
höre, als die Rasenfirma anrollt.<br />
Die Männer verlegen die Rasenbahnen so, dass amAbend<br />
alle Erdfläche im Garten dem makellosen grünen Belag<br />
gewichen ist. Neugierig nehme ich alles in Augenschein.<br />
Saubere Arbeit, man sieht kaum Nahtstellen. Nur am Rand<br />
kann man die Bahnen noch mühelos anheben. Der Bauleiter<br />
erklärt mir, dass sich das alles verwächst, wenn der Rasen<br />
ordentlich feucht gehalten wird.<br />
Johannes kommt wie meistens spät aus der Firma nach<br />
Hause, wirft einen kurzen Blick auf die Rasenfläche und<br />
verschwindet im Bad. Jannik betritt grußlos die Küche,<br />
schnuppert mit angewiderter Miene am inzwischen stundenlang<br />
warmgehaltenen Essen und teilt mir mit, dass er<br />
gleich wieder los müsse. Auf meine Frage nach dem Wohin<br />
bekomme ich keine Antwort, weil er schon wieder am<br />
SMSen ist. Ich schaue über seine Schulter und lese gerade<br />
noch, bevor er „Senden“ drückt: „Mama nervt!“ Dann ist<br />
er verschwunden.<br />
Mitten in der Nacht wache ich auf. Im Traum sah ich das<br />
Mondlicht, das wunderschöne Schatten der Bäume auf unseren<br />
Rasen warf. Tatsächlich aber ist es bei uns im Schlafzimmer<br />
stockdunkel, weil die Jalousien alles Außenlicht<br />
abhalten. Nur die rote LED-Anzeige des Weckers leuchtet<br />
im Dunkeln: 1:56 Uhr.<br />
Unten knallt die Haustüre. Jannik ist nach Hause gekommen.<br />
Ich kann nicht wieder einschlafen, weil irgendwo<br />
im Haus höre ich ein durchdringendes Piepsen. Sicher muss<br />
irgend ein Akku aufgeladen werden. Ich schubse Johannes<br />
an, doch der dreht sich nur auf die andere Seite und murmelt:<br />
„Nerv mich nicht!“<br />
Später stehe ich auf und gehe in Janniks Zimmer. Er<br />
schläft tief und fest. Auf dem Boden vor dem Bett liegt sein<br />
Handy. Im Wohnzimmer auf der Couch finde ich Johannes'<br />
Laptop. Das Piepsen ist leiser geworden und kommt in größeren<br />
Abständen.<br />
Draußen ist der Garten in Mondlicht getaucht. Die Terrassenmöbel<br />
werfen harte Schatten. Unter meinen Füßen<br />
spüre ich den kühlen Rollrasen. Die Ränder sind immer<br />
noch leicht anzuheben.<br />
Am nächsten Morgen sitze ich mit einem frisch aufgebrühten<br />
Kaffee auf der Terrasse. Ich bin schon früh aufgestanden<br />
und habe die wenigen Blumenkübel gegossen und<br />
ein frisches Kuchenbrot gebacken. Gerade blättere ich in<br />
einem Gartenkatalog und stelle fest, man kann sich auch<br />
erwachsene Bäume liefern lassen. Schon zehn Meter hoch,<br />
mit breiten, schattenspendenden Ästen.<br />
Johannes kommt zu mir. „Hast du meinen Laptop gesehen?<br />
Ich hatte ihn doch im Wohnzimmer stehen.“ Von oben<br />
brüllt Jannik dazwischen: „Wo ist mein Handy? Das war<br />
doch hier in meinem …“<br />
Ich lasse mich nicht stören. „Sieht der Rasen nicht wunderschön<br />
aus? So eine schöne grüne glatte Fläche.“<br />
Doch niemand reagiert auf meine Bemerkung.<br />
Ich genieße den Frühsommertag. In den Büschen auf<br />
dem schon länger bepflanzten Nachbargrundstück zwitschern<br />
die Vögel. Die Rasenbewässerung zischt gleichmäßig<br />
und fast beruhigend. Niemand kommt auf die Idee, sein<br />
Ohr auf den nassen Rasen zu pressen. Was sollte er auch<br />
hören. Höchstens, vielleicht ganz gedämpft, ein allerletztes,<br />
ganz schwaches „Piepsen“.<br />
Ulla D' Amico, Freudenberg<br />
durchblick 3/<strong>2012</strong> 29