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2012-03

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Historisches<br />

Bahnhof Siegen: Abfahrt – Gleis Frankfurt.<br />

BAHNFAHRT NACH ZWANZIG JAHREN<br />

Da stand ich im Frühjahr 1994, wollte nach Mainz,<br />

war seit zwanzig Jahren nicht mehr bahngefahren<br />

und wartete nun gespannt auf die Einfahrt des<br />

Zuges. „Ist doch kein Problem!”, dachte ich, „einmal in<br />

Frankfurt umsteigen in die Stadtbahn nach Mainz!“<br />

Der Zug brauste heran, ich spürte den Fahrtwind und<br />

schaute der Lok bis zum Haltepunkt nach. Türen öffneten<br />

sich, Fahrgäste stiegen aus, und die, die mitfahren wollten,<br />

verteilten sich zügig auf die einzelnen Wagen. Ich ging zu<br />

dem Einstieg, wo die wenigsten Personen standen, fand bald<br />

ein leeres Abteil und dachte: „Die Bahn hat sich aber in den<br />

letzten zwanzig Jahren gemausert, so schöne bequeme Sitze”,<br />

nahm den Fensterplatz mit dem Rücken in Fahrtrichtung,<br />

fühlte mich wohl und sah gelassen meinem Ziel entgegen.<br />

In Dillenburg bekam ich Gesellschaft. Ein freundlich<br />

aussehender Herr mittleren Alters nahm den Fensterplatz<br />

in Fahrtrichtung. Ich musste zwar meine langen Beine etwas<br />

zurücknehmen, doch hatte ich immer noch eine angenehm<br />

bequeme Sitzposition. Ab Haiger kamen wir ins Gespräch.<br />

Mein Gegenüber fragte interessiert, ob ich gerne mit der<br />

Bahn reise? „Oh”, dachte ich, „man sieht sogar, dass du dich<br />

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wohlfühlst.”<br />

Meine Antwort,<br />

dass ich seit<br />

zwanzig Jahren<br />

das erste<br />

Mal wieder<br />

mit der Bahn<br />

fahre und es<br />

auch weiterhin<br />

vorhabe, wurde<br />

mit einem gütigen<br />

Lächeln<br />

bedacht und<br />

mir noch viele<br />

angenehme<br />

Bahnfahrten<br />

gewünscht.<br />

In Gießen kam der Kontrolleur: „Ihre Fahrkarte bitte!”<br />

Ich wurde zuerst angesprochen und reichte ihm fröhlich meinen<br />

Fahrschein. Nach einem anfänglichen Zögern sagte der<br />

Bahnbeamte: „Möchten Sie nachzahlen?” Ich schaute diesen<br />

netten Schaffner reichlich verdutzt an und fragte: „Warum?”<br />

„Sie befinden sich hier im Erste-Klasse-Abteil, Ihr Fahrschein<br />

ist nur für die Zweite Klasse gültig”, erklärte er mir<br />

in einer überaus höflichen Art. Nun hatte ich ein Problem!<br />

Ich muss sehr unglücklich ausgesehen haben, fühlte<br />

mich wie im Kindergarten und wäre am liebsten vor lauter<br />

Scham und ganz besonders wegen meiner Schusseligkeit,<br />

wie Rumpelstilzchen im Erdboden verschwunden. Und<br />

dann war ja da auch noch dieser nette Herr im Abteil! Es<br />

war beschämend und mein Spruch mit den zwanzig Jahren<br />

kam nochmals zur Anwendung. Eingeschüchtert wie ich<br />

nun war, fragte ich vorsichtig nach der Höhe des Zuzahlungspreises<br />

und erwähnte dabei ganz kleinlaut, dass ich<br />

nicht mit Absicht das falsche Abteil gewählt hätte. Nachgezahlt<br />

habe ich nicht, denn Erste Klasse zu reisen konnte<br />

ich mir nicht erlauben. Und das alles war mir ja so etwas<br />

von unangenehm.<br />

Der nette Kontrolleur begleitete mich dann zu dem Zweite-Klasse-Wagen.<br />

Alle Abteile waren besetzt, es war die Zeit<br />

des Berufsverkehrs, und ich musste wie viele andere Reisende<br />

im Durchgang stehenderweise meine Reise fortsetzen.<br />

Der Bahnbeamte flüsterte mir noch auf eine mitfühlende Art<br />

und Weise zu: „Von mir aus hätten Sie im Erste-Klasse-Abteil<br />

bleiben können, doch das war mein Chef, der mit Ihnen<br />

im Abteil saß.” Er wünschte mir einen angenehmen Tag und<br />

gute Weiterreise, und das war genauso ehrlich gemeint wie<br />

meine Zwanzig-Jahre-Version, dazu, die Bahn hätte sich<br />

wirklich in der Zeit gemausert und mein irriger Glaube, ich<br />

säße im falschen Abteil.<br />

Gerda Greis<br />

56 durchblick 3/<strong>2012</strong>

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