2012-03
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Unterhaltung<br />
NO RISK NO FUN.<br />
Glücksspiele seien Teufelswerk, sagte meine Oma, und<br />
sicher waren sie noch zu ihrer Zeit sehr verpönt. Inwieweit<br />
man dies heute unter diesem Gesichtspunkt sieht, mag dahingestellt<br />
sein. Glück im Spiel. Welche Gedanken lassen sich<br />
damit verbinden. Es eröffnen sich in vielfacher Weise Hoffnungen,<br />
Sehnsüchte, positive Erwartungen. Ja, es veranlasst<br />
zum Bau von irgendwelchen Luftschlössern. Per Postwurfsendungen<br />
flattern uns Chancen aller Arten ins Haus, die auf<br />
Verlockungen, Treffer, profitable Spekulationen oder enorme<br />
Erlöse hinweisen. Nicht nur Haushaltsgeräte, Weine aus vortrefflichen<br />
Anbaugebieten,<br />
Fahrzeuge der Luxusklasse,<br />
Reisen zu fernen Zielen<br />
werden genannt; dasAngebot<br />
der zu erwartenden Gewinne<br />
kennt keine Grenzen<br />
mehr. Man bietet etwas<br />
Nervenkitzel, appelliert an<br />
die Bereitschaft zum Risiko<br />
nach dem Schema, dass<br />
nur der gewinnt, der auch<br />
etwas wagt. No risk no fun!<br />
Wer kennt diesen Spruch<br />
nicht. Nun ja, es wird auch<br />
gewarnt, dass es rein vom<br />
Verstand her gar nicht klappen<br />
kann. Trotzdem lieben viele unserer Mitmenschen diese<br />
Glücksmomente. Wahrscheinlich ist die Freude am Spielen<br />
und Gewinnen zu groß, denn kaum eine Zeitschrift erscheint<br />
ohne ein Versprechen. Ebenso bieten Rundfunk-, Fernsehsender<br />
zusätzlich teils dämliche Fragen, die man nur innerhalb<br />
einer ewig-langen Hotline-Verbindung beantworten kann.<br />
Woche für Woche flimmern nicht nur am Mittwoch, sondern<br />
auch an jedem Sonnabend irgendwelche Glückszahlen über<br />
unsere Bildschirme im Vorabendprogramm. Früher hörte<br />
man öfter von neuen Lotto- oder Lotteriemillionären. Heute<br />
hält man die glücklichen Gewinner hoher Summen geheim.<br />
Sicher weil die Gefahren zu groß geworden sind, dass sich<br />
böse Gesellen ebenfalls bereichern wollen.<br />
Einen zusätzlichen Reiz bietet oft der Wert des mit einer<br />
unglaublichen Summe angesetzten Jackpots. Für dieses<br />
spektakuläre Gewinnglück überschreiten zuweilen wirkliche<br />
Spielernaturen die Landesgrenzen, um mit dabei zu<br />
sein. Mit jedem Lotterielos erleben sie wahrscheinlich einen<br />
großen hoffnungsvollen Taumel der zu erhoffenden Gunst<br />
der Stunde oder des Schicksals. Jeder sehnt sich danach,<br />
einmal der Gewinner zu sein, einmal das Rennen zu machen,<br />
einmal das Gefühl zu haben, im Gelde baden oder gar<br />
schwimmen zu können! Es war in meiner Kindheit, als ich<br />
diesen Rausch des Glückes auch bei meinem Vater erlebte.<br />
Damals gab es an einem Abend, ich weiß nicht mehr, war es<br />
am Sonnabend oder am Sonntagabend, die Gewinnzahlen<br />
im Totoblock. In diesen wenigen Minuten, in der die Ziehungszahlen<br />
im Radio ausgestrahlt wurden, herrschte bei<br />
uns ein familiärer Ausnahmezustand, eine grundsätzliche<br />
Ruhe. Meistens spitzte unser Vater dafür zunächst einmal<br />
einen Bleistift mit einem Küchenmesser an, nahm dann seinen<br />
Stammplatz am Küchentisch ein und zum Mitschreiben<br />
der Gewinnreihe lag stets und ständig eine zusammengefaltete<br />
Zeitung parat. Alle im Raume anwesenden Personen<br />
verhielten sich gedämpft stille, denn: Vati wartete gespannt<br />
auf die freundliche<br />
Stimme aus dem<br />
Äther. Es muss eine<br />
nette junge Dame<br />
gewesen sein,<br />
jedenfalls klang<br />
die fremde Stimme<br />
melodisch freundlich<br />
und einfühlsam.<br />
Fein säuberlich<br />
schrieb unser<br />
Vater alle Zahlen<br />
untereinander auf<br />
den Zeitungsrand.<br />
Dann kam der<br />
spannende Augenblick.<br />
Er erhob sich, schritt zum Küchenschrank. Mit einem<br />
Griff hinter den blechernen, blau-weiß emaillierten Brotkasten<br />
holte er den Tippschein. Bevor er sich wieder hinsetzte,<br />
überzeugte er sich, dass es sich auch um den richtigen, dem<br />
Datum entsprechenden Glücksschein handelte. Allerdings<br />
endete es überwiegend in einer enttäuschten Mine und den<br />
ernüchternden Worten „wieder nichts“! Alle Hoffnungen<br />
waren dahin! Wieder wurde erneut dafür gespart. Eben weniger<br />
Tabak für die Pfeife, dafür aber neue Erwartungen für<br />
die nächste Runde mit dem wöchentlichen Tippschein. Die<br />
gespannte Erwartung, Ungeduld und wohl auch eine erneute<br />
Vorfreude auf das: Wenn es denn mal klappt mit dem<br />
Gewinn! Es gab dem tristen und eintönigen Arbeitsablauf<br />
einer Woche einen hoffnungsvollen Sinn. Unser Vati tippte<br />
Woche für Woche stetig und unermüdlich weiter.<br />
Irgendwann im Verlaufe der Zeit verlagerte er seine<br />
Passion von Fußball-Toto auf die Chancen im Lottoglück.<br />
Die Stimme im Radio sagte dann am Sonnabendabend: „Im<br />
deutschen Lottoblock wurden folgende Gewinnzahlen gezogen“.<br />
Für die Ziehung hatte man damals Waisenkinder<br />
ausgesucht. Ich muss so etwa zehn-elf Jahre alt gewesen<br />
sein, und in unserer Küche spielte sich das Ritual einer<br />
Glückserwartung wieder ab. Die friedvolle Wochenend-<br />
Stimmung schwand, in der es zur Gewohnheit geworden<br />
war, dass Vati zuvor das Neueste aus aller Welt aus der<br />
Foto: Agnes Spar<br />
46 durchblick 3/<strong>2012</strong>