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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

schaftsgeschichtlicher Vereinnahmungen zweifellos als Ironie der Geschichte anzusehen,<br />

daß derjenige, der seine Dissertation dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel<br />

(1770-1831) widmete und der noch in Berlin regelmäßig bei Hegels Witwe zum Kaffee<br />

erschien, der Begründer der Schule wurde, in der zwei Welten, die einer sich physiologisch<br />

verstehenden Naturwissenschaft und die einer spekulativen Philosophie, als definitiv<br />

von ein<strong>and</strong>er geschieden erachtet wurden. 22 Noch Karl Friedrich Burdach (1776-<br />

1847), der Müller noch zur Mitarbeit an dem vierten 1832 erschienenen B<strong>and</strong> seines<br />

Lehrbuchs der Physiologie gewann, 23 entwickelte seine Physiologie in einem naturphilosophischen<br />

Rahmen. Für Burdach blieb auch nach 1830 die Analogie die zentrale Methode<br />

der physiologischen Analyse. Die Analogie w<strong>and</strong>elte sich für ihn dabei allerdings<br />

zu einem Verfahren, Erfahrungen unterein<strong>and</strong>er in einen Bezug zu bringen, 24 blieb aber<br />

dennoch bis in die letzten Jahre der ersten Jahrhunderthälfte in einem naturphilosophisch<br />

und damit spekulativ gesicherten Begründungsgefüge verankert. 25 Müller ging in<br />

seinem Ansatz über diese, zeitgleich vertretene und um 1830 breit rezipierte Auffassung<br />

einer physiologischen Wissenschaft einen wesentlichen Schritt hinaus. 26<br />

Das H<strong>and</strong>buch<br />

Müllers „Physiologie des Menschen“ ist das zentrale Werk der Physiologie des 19. Jahrhunderts.<br />

27 Es ist keineswegs eine bloße Kompilation des Wissensst<strong>and</strong>es seiner Zeit,<br />

vielmehr expliziert dieses H<strong>and</strong>buch, in dem von Müller eine Fülle von eigenen Forschungsresultaten<br />

eingearbeitet wurden, eine eigene und eben neuartige Methode der<br />

Forschung. Neu sind hierbei weder der Gegenst<strong>and</strong>sbereich noch die Geräte, die Müller<br />

nutzte; hierin war er auf dem St<strong>and</strong> seiner Zeit, er überblickte und referierte die relevante<br />

Literatur des beginnenden 19., aber auch des 18. Jahrhunderts. Innovativ war dabei allerdings<br />

seine Art der Gedankenführung, die die Beobachtung und das Experiment in einer<br />

neuartigen, in sich konsistenten Weise in einen Argumentationsgang einb<strong>and</strong>.<br />

22 Vgl. Gregory, Frederic: Hat Müller die Naturphilosophie wirklich aufgegeben? In: Johannes Müller und die<br />

Physiologie. Hg. M. Hagner, B. Wahrig-Schmidt. Berlin 1992, S. 143-154.<br />

23 Burdach, Karl Friedrich: Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft 4. Bd. Leipzig 1832.<br />

24 Burdach, Karl Friedrich: Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft 1. Bd. Leipzig 1826, S. 15.<br />

25 Burdach, Karl Friedrich: Anthropologie für das gebildete Publikum. 2. Aufl. Stuttgart 1847; vgl. Poggi,<br />

Steffano: Neurology <strong>and</strong> <strong>Biology</strong> in <strong>the</strong> Romantik Age in Germany: Carus, Burdach, Gall, von Baer. In:<br />

Romanticism in Science. Science in Europe, 1790-1840. Hg. S. Poggi, M. Bossi. Dordrecht 1994, S. 143-160.<br />

26 Lenoir, Timothy: The Strategy <strong>of</strong> Life: Teleology <strong>and</strong> Mechanics in Nineteenth Century German <strong>Biology</strong>.<br />

Dordrecht, Boston 1982; Lammel, Heinz-Ulrich: Nosologische und <strong>the</strong>rapeutische Konzeptionen in der<br />

romantischen Medizin. Husum 1990; wobei hier auch die explizit naturphilosophischen Konzeptionen von<br />

einer funktionellen Organisation des Lebendigen keineswegs durchweg als gegen die Empirie und alternativ<br />

zu der Entwicklung der Erfahrungswissenschaften zu verorten sind, vgl.: Breidbach, Olaf, Engelhardt, Dietrich<br />

v. (Hg.): Hegel und die Lebenswissenschaften. Berlin 2002; Bach, Thomas, Breidbach, Olaf (Hg.): Naturphilosophie<br />

nach Schelling. Stuttgart-Bad Cannstatt. Im Druck.<br />

27 Lohff, Brigitte: Die Suche nach der Wissenschaftlichkeit der Physiologie in der Zeit der Romantik. Stuttgart<br />

1990.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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