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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

wahrscheinlich, die Eingeweidewürmer als Zeugnis für die „freiwillige Entstehung lebender<br />

Wesen in organischer Materie“ deuten zu können. 40<br />

Dennoch gibt es strukturelle Voraussetzungen für einen organischen Prozess: Ein<br />

Organismus ist denn auch, soll sich seine Funktionalität erhalten, nicht ins Unendliche<br />

teilbar. Müller benennt Wirkeinheiten in der “Zusammensetzung der organischen Körper“.<br />

41 Diese sind nicht einfach auf der zellulären Ebene anzusetzen, vielmehr ist die<br />

Funktion eines Organismus an komplexere Wirkeinheiten und deren Abstimmung gebunden.<br />

Müller spricht mit explizitem Verweis auf Immanuel Kant (1724-1804) von der<br />

„aus ungleichartigen Gliedern eines Ganzen“ zusammengesetzten Organisation der Organismen,<br />

„die nach dem Gesetze der Zweckmässigkeit“ konstituiert seien. 42<br />

Symmetrien<br />

Diese Zweckmäßigkeit – so Müller – manifestiere sich in der Organisation, und d. h. in<br />

der Abstimmung der verschiedenen Teilbereiche der Gewebe. Ganz analog hatte Marie-<br />

Francois Xavier Bichat (1771-1802) etwa 40 Jahre zuvor seine Klassifikation der Funktionstypen<br />

des Neuronalen auf einer Darstellung der Symmetrie des Nervensystems aufgebaut.<br />

43 Müller greift diesen Gedanken auf, differenziert aber ein entsprechendes Vorgehen,<br />

denn schließlich sei die Organisation des Organismus nicht einfach in ein kristallographisches<br />

Schema zu bringen. 44 Der Grundunterschied zwischen Organismus und<br />

Kristall besteht – ihm zufolge – in der dynamischen Organisation des Organismus. In<br />

dieser Dynamik sind die der Physiologie zugänglichen Gesetzmäßigkeiten des Organischen<br />

zu beschreiben.<br />

Die Analyse der zweckmäßigen Organisation des Organismus führt Müller zu einem<br />

umfassenden Kraftbegriff:<br />

Allein diese Harmonie der zum Ganzen nothwendigen Glieder besteht doch nicht ohne Einfluss<br />

einer Kraft, die auch durch das Ganze hindurch wirkt, und nicht von einzelnen Teilen abhängt,<br />

und diese Kraft besteht früher, als die harmonischen Glieder des Ganzen vorh<strong>and</strong>en sind. 45<br />

Genau in dieser Hinsicht ist – ganz analog dem Denken des Entwicklungsbiologen Caspar<br />

Friedrich Wolff (1734-1794) – der „Embryo von der Kraft des Keimes geschaffen“.<br />

46 Schließlich gilt: „Diese vernünftige Schöpfungskraft äussert sich in jedem Thiere<br />

nach strengem Gesetz, wie es die Natur jedes Thieres erfordert: sie ist in dem Keim<br />

40 Müller (1844) 11.<br />

41 Müller (1844) 18.<br />

42 Müller (1844) 18f, vgl. hierzu auch Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, In: Kant, Immanuel: Werkausgabe<br />

Bd. X. Hg. Wilhelm Weischedel. Frankfurt 1977, S.319-326.<br />

43 Bichat, Xavier: Recherches Physiologiques sur la Vie et la Mort. Paris. 4. Aufl. 1822.<br />

44 Dies versucht später – Fries und Schleiden folgend – Ernst Haeckel in seiner 1866 erschienenen Generellen<br />

Morphologie der Organismen. Berlin.<br />

45 Müller (1844) 21.<br />

46 Müller (1844). 21.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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