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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

sprechenden Befunde zur Organisation der Ganglien und des Nervus sympathicus bei<br />

Wirbeltieren werden eingehender skizziert. 60<br />

Darauf folgen Beschreibungen von Versuchen, die die Reizbarkeit der Nerven demonstrieren.<br />

Hierbei zeigt sich im Vergleich der verschiedenen Versuche eine grundsätzliche<br />

Gemeinsamkeit in den betrachteten Reaktionen: Die verschiedenen Reizursachen –<br />

so führt er aus – „haben gleiche Wirkung, weil das, worauf sie wirken, nur einerlei reizbare<br />

Kraft besitzt, und weil die verschiedensten Dinge nur in der gleichen Eigenschaft als<br />

Reize einwirken.“ 61 Damit hat er eine prinzipielle Eigenart der funktionellen Organisation<br />

der Nerven benannt. Der Vergleich hat ein Reaktionsprinzip erschlossen. Er sucht<br />

dieses Prinzip nun eingehender zu charakterisieren; hierzu werden verschiedene Reiztypen<br />

und die Effekte von Reizungen an verschiedenen Orten im Nervengewebe beschrieben.<br />

Müller verweist hierbei ausdrücklich auf die Bedeutung von Mikroläsionsstudien, in<br />

denen einzelne Gewebebereiche gezielt zerstört werden, worauf der damit induzierte<br />

Effekt für die Reizweiterleitung in diesem speziellen Gewebe beschrieben wird. 62 Müllers<br />

Prinzip ist demnach kein Reaktionsschema, unter dem die Vielfalt von Teilreaktionen zu<br />

verorten ist. Sein Prinzip ist vielmehr die allen Teilreaktionen gemeinsame Grundreaktion,<br />

die über eine minutiöse experimentelle Untersuchung möglichst detailliert darzustellen<br />

ist.<br />

Besprochen wird der Effekt einer durch Elektrizität produzierende Metallplatten induzierten<br />

Erregung. In seiner ausführlichen Darstellung beschreibt Müller dabei nicht<br />

einfach ein Experiment und illustriert an diesem eben nicht nur die Möglichkeit über ein<br />

entsprechend angesetztes Prinzip verschiedene nervenphysiologische Reaktionen zu<br />

klassifizieren. Genau hierin unterscheidet er sich von einem Vorgänger wie Burdach.<br />

Auch dieser skizziert eine Fülle von Teilbefunden, <strong>of</strong>feriert dann aber ein deduktiv erschlossenes<br />

Erklärungsschema, über das eine Reaktionsvielfalt zu klassifizieren ist. Für<br />

Müller ist es vielmehr wichtig, dass er in seinem Erklärungsansatz die in Rede stehende<br />

Erscheinung komplett abbildet. Es geht also nicht allein darum, die physiologischen<br />

Erscheinungen zu klassifizieren. Es geht darum, im Vergleich die Grundmechanismen zu<br />

entschlüsseln, über die die Vielfalt der Reaktionen als Variationen einer ‚im Prinzip’ charakterisierten<br />

Reaktionstypik zu entschlüsseln sind. Dabei beschreibt er möglichst einfache<br />

Reaktionsmuster, die es insoweit erlauben, auch komplexe Phänomene als Resultat<br />

einer Interaktion der eingangs aufgewiesenen Grundelemente zu beschreiben: Die Elemente<br />

des Nervengewebes stellen, so schreibt Müller, „hier auf gleiche Art das Elektrometer,<br />

wie unter ähnlichen Umständen ein nicht thierisches Elektrometer, z. B. ein magnetischer<br />

Multiplikator“ dar. 63 Die experimentelle Charakterisierung hat es ihm erlaubt,<br />

60 Müller (1844) 531f.<br />

61 Müller (1844) 534; Müller umreißt hierin seine These der spezifischen Sinnesenergie, die in diesem Kontext<br />

aber nicht weiter verfolgt wird, siehe hierzu: Poggi, Stefano: Goe<strong>the</strong>, Müller, Hering und das Problem<br />

der Empfindung. In: Johannes Müller und die Philosophie. Hg. M. Hagner, B. Wahrig-Schmidt. Berlin 1992,<br />

S. 191-206; Lenoir, Timothy: Helmholtz, Müller und die Erziehung der Sinne. In: Johannes Müller und die<br />

Philosophie. Hg. M. Hagner, B. Wahrig-Schmidt. Berlin 1992, S. 207-222.<br />

62 Müller (1844) 536; ausführlich besprochen werden die Autoren Galvani, Humboldt, Pfaff und Matteucci.<br />

63 Müller (1844) 540.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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