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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

gang seiner Gedankenführung an eine Experimentalpraxis bindet. 82 Damit ist die Gedankenführung<br />

für diesen Physiologen vereinfacht. Seine Physiologie folgt dem Experiment.<br />

Argumente sind für die Physiologie in Experimentalbeschreibungen zu übersetzen.<br />

Nur auf deren Grundlage sind die Aussagen der Physiologie zu formulieren. Damit ist<br />

sein Begriff eines Reaktionsprinzips dargelegt. Ein Reaktionsprinzip ist die im Experiment<br />

<strong>of</strong>fen gelegte Reaktionseinheit, in der sich ein physiologischer Prozess darstellen<br />

lässt. Wie die Physik um 1850 nicht nach der Essenz des Lichtes fragt, sondern das Licht<br />

nur in seinen Erscheinungen studiert, sei auch eine Physiologie zu konzipieren. Es geht<br />

eben auch dieser Physik nicht um eine Wesenscharakteristik des Lichtes, ihre Zielstellung<br />

ist zunächst eine Optik, die Darstellung der Gesetzmäßigkeiten des ihr greifbaren Phänomenraums.<br />

Und genau in diesem Sinne wird dann auch für Müller die Physiologie zur<br />

„Optik“. Der Ansatz der Nervenphysiologie als Nervenphysik wird von Müller bis in<br />

den Aufbau seiner Argumentation umgesetzt. 83<br />

Reflex<br />

Dies sei an einem zweiten Beispiel im Aufweis eines, wie Müller noch 1844 schreibt, „der<br />

wichtigsten Probleme der Physiologie“ dargestellt. Wieder beginnt er mit einer Darstellung<br />

des Forschungsst<strong>and</strong>es der Reflexlehre, in der über eine Analyse der Leitungscharakteristika<br />

des Nervengewebes dessen funktionelle Organisation entschlüsselt werden<br />

sollte: 84 „Charles Bell“, so skizziert er, “hatte zuerst den ingeniösen Gedanken, dass die<br />

hinteren, mit einem Ganglion versehenen Wurzeln der Spinalnerven der Empfindung<br />

allein, die vorderen Wurzeln der Bewegung vorstehen ... Allein Magendie hat das Verdienst,<br />

diesen Gegenst<strong>and</strong> hinsichts der Rückenmarksnerven in die Experimentalphysiologie<br />

eingeführt zu haben.“ 85 Müller leitet nun seine Argumentation über zu eigenen<br />

Experimenten. Allein in solch einer experimentellen Darstellung kann für ihn die Frage<br />

nach den physiologischen Grundlagen der Reflexfunktionen entschlüsselt werden: So „...<br />

trieb mich die Begierde nach Wahrheit an, eine Reihe neuer Versuche nach einem veränderten<br />

Plane an Kaninchen anzustellen.“ 86<br />

Problematisch ist, seiner Bewertung zufolge, dass die in der Literatur beschriebenen<br />

Präparationen sehr kompliziert waren. Entsprechend undurchsichtig war damit die Interpretation<br />

einzelner Versuche, in denen nicht völlig klar wurde, welche Teile des Gewebes<br />

in der Versuchsanordnung gereizt wurden und welche genauen Effekte die Reizung<br />

82 Die damit eingegangenen methodologischen Vorgaben wären vor dem Hintergrund dieser zunächst nur<br />

beschreibenden Darlegung des Argumentationsganges von Müller separat zu diskutieren.<br />

83 Vgl. Mendelsohn, Everett: Physical Models <strong>and</strong> Physiological Concepts. Explanation in Nineteenth Century<br />

<strong>Biology</strong>. Brit. J. Hist. Sci. 2 (1965) 201-219.<br />

84 Die Darstellung folgt hier nur der Gedankenführung Müllers zu dem Problemkontext der Reflexlehre sei<br />

nur folgende Texte verwiesen, die weiterführende Literatur erschließen Brazier, Mary A. B. A <strong>History</strong> <strong>of</strong><br />

Neurophysiology in <strong>the</strong> 19th Century New York 1988; Clarke, Edwin, Jacyna, L.S.: Nine<strong>the</strong>enth-Century<br />

Origins <strong>of</strong> Neuroscientific Concepts. Berkeley 1987.<br />

85 Müller (1844) 558f.<br />

86 Müller (1844) 560.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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