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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

inwieweit diese Art, das Experiment zu nutzen, um 1830 wirklich innovativ ist. Erste<br />

Analysen zeigen die Argumentationen Wilhelm Ritters in Teilbereichen in einer ganz<br />

ähnlichen Weise ans Experiment gebunden; wobei sich Ritter aber nur in Phasen seiner<br />

Argumentation aus seinem ihn insgesamt leitenden <strong>the</strong>oretischen Grundkontext ausblendet.<br />

107 Damit wird insbesondere die Frage nach der Konsequenz der methodisch am<br />

Experiment entlang geführten Argumentationslinie Müllers bedeutsam. In der vorliegenden<br />

Studie wurde aufgewiesen, in welcher Konsequenz – sowohl im Detail wie auch in<br />

der Gesamtkonzeption seiner Gedankenführung – Müller in seinem Lehrbuch dieser Art<br />

des Argumentierens treu bleibt. Dass Müller in dieser Art der Darstellung auf eine explizite<br />

<strong>the</strong>oretische Ausein<strong>and</strong>ersetzung verzichten kann, seine Argumentation vielmehr auf<br />

die Möglichkeiten des im Experiment Darstellbaren beschränkt, bildet die Stärke dieser<br />

Argumentation, die damit dann allerdings auch an ihre methodischen Einschränkungen<br />

gebunden bleibt. Im Vergleich zu dem nahezu zeitgleichen Lehrbuch des Botanikers<br />

Schleiden, der ebenfalls eine große Bedeutung für die Konsolidierung des experimentell<br />

geleiteten naturwissenschaftlichen Denkansatzes im deutschen Sprachraum gewann, wird<br />

dies noch einmal besonders deutlich. 108 Schleiden setzt in seinem Lehrbuch dezidiert<br />

wissenschafts<strong>the</strong>oretisch an. Seine induktiv analytische Perspektive gewinnt er ausgehend<br />

von einem deduktiven Ansatz. 109 Müller ist hier in der Konsequenz seines Vorgehens<br />

zumindest für den Deutschen Sprachraum um 1840 singulär. Eine Müller folgende Ideengeschichte<br />

der Physiologie würde in dem skizzierten Sinne zu einer Experimentalgeschichte.<br />

Dies geschieht damit in einer Phase der Physiologieentwicklung, in der das<br />

Experiment im Wesentlichen noch qualitativ beschrieben wird. Nicht erst die Messung,<br />

sondern vielmehr diese hier skizzierte konsequente Umschichtung einer Argumentation<br />

von der Theorie auf das Experiment verhilft der neuen naturwissenschaftlichen Sichtweise<br />

in den Biowissenschaften zum Durchbruch. 110 Das quantifizierende Experiment<br />

steht nicht am Beginn der neuen sich induktiv verstehenden Wissenschaftskonzeption.<br />

Eine durch das Experiment geführten Wissenschaftskonzeption entwickelt sich in den<br />

Biowissenschaften schon vor Etablierung einer quantifizierenden Messung.<br />

107 Weber, Heiko: J. W. Ritter und J. Webers Zeitschrift „Der Galvanismus“. In: Naturwissenschaften um<br />

1800. Wissenschaftskultur in Jena-Weimar. Hg. O. Breidbach, P. Ziche. Weimar 2001, S. 216-247.<br />

108 Vgl. Breidbach, Olaf: Zur Anwendung der Friesschen Philosophie in der Botanik Schleidens. In: Jakob<br />

Friedrich Fries. Philosoph, Naturwissenschaftler und Ma<strong>the</strong>matiker. Studia Philosophica et Historia 25. Hg.<br />

W. Hogrebe, K. Herrmann. Frankfurt 1999, S. 221-242; Breidbach, Olaf. Einleitung. In: Schleiden, Matthias<br />

Jacob: Grundzüge der Wissenschaftlichen Botanik. Hildesheim 1998, S. 1*-27*.<br />

109 Schleiden selbst tituliert sein Lehrbuch im Untertitel als Einführung in eine induktive Botanik, diese<br />

induktive Botanik arbeitet mit dem Mikroskop und setzt die Detailsicht, die in diesem Sinne rein deskriptiv<br />

zu verstehende Analysis gegen die spekulativ ansetzende Naturgeschichte. So führt denn auch diese induktive<br />

Botanik nach Schleiden das Mikroskop im Wappen. Die eingehendere wissenschaftshistorische Analyse<br />

muss diesen Begriffsgebrauch selbst wieder eingehender verorten. Von diesem Problem sehe ich in der<br />

vorliegenden Studie zunächst aber ab.<br />

110 Vgl. Hentschel, Klaus: Historiographische Anmerkungen zum Verhältnis von Experiment, Instrumentation<br />

und Theorie. In: Instrument – Experiment. Historische Studien. Hg. C. Meinel. Berlin 2000, S. 13-51.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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