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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

Müllers Argumentationsstategie<br />

Die Strategie seiner Argumentation, d. h. die Form in der er seine Argumentationslinien<br />

darstellt, zeigt sich etwa in der Passage zu „dem wirksamen Prinzip der Nerven“: Müller<br />

beginnt mit einer kurzen Skizze der bisherigen Aussagen der Physiologie zu der Frage<br />

nach dem Mechanismus der Reizleitung im Nervengewebe. Die Alten, so referiert Müller,<br />

f<strong>and</strong>en die organisierten Teile beseelt, 69 neuere Vorstellungen faßten die Nerven als<br />

eine Art elektrischen Apparat. Schließlich vermochte Aless<strong>and</strong>ro Volta (1745-1827) dann<br />

die elektrische Natur der galvanischen Erscheinungen zu beweisen. Damit ist das Reaktionsprinzip<br />

benannt, das Müller nun in seiner experimentellen Analyse der Reaktionen<br />

des Nervensystems zu identifizieren hat, um entsprechend seine These, derart die Reaktionen<br />

des Nervensystems in einer Nervenphysik beschreiben zu können, auch zu belegen.<br />

Dazu gilt es, die Grundreaktionselemente im Nervensystem zu identifizieren und<br />

ihre Funktionalität aufzuweisen. Diese demonstriert Müller nun nicht in einer prinzipiellen<br />

Erörterung, sondern in einer minutiösen Darstellung der Befundsituation seiner experimentellen<br />

Wissenschaft. Hierzu werden die Teilbefunde in einer Abfolge von sich<br />

schlüssig anein<strong>and</strong>er reihenden Argumenten präsentiert. Es werden also Einzelphänomene<br />

beschrieben: „Die Nerven bleiben auch im gänzlich mortificirten Zust<strong>and</strong>e wie alle<br />

nassen thierischen Teile, Leiter des Galvanismus, während sie die Fähigkeit, Contractionen<br />

der Muskeln zu verursachen, verloren haben.“ 70 Dieser Befund zeigt, dass die Nervenfunktionen<br />

nicht einfach als Reaktionen von elektrischen Leitern zu verstehen sind.<br />

Sie zeigen galvanische Eigenschaften, diese Eigenschaften reichen aber nicht, die Nervenfunktion<br />

– Kontraktionen der Muskulatur zu induzieren – zu erklären. Müller führt<br />

nun eine Theorie an, die versucht, diese Diskrepanz zwischen der Wirkung eines galvanischen<br />

Leiters und eines Nerven zu erklären: Indessen würden auch diese Unterschiede<br />

bei der Hypo<strong>the</strong>se von der Identität der Elektricität und Nervenkraft erklärbar seyn,<br />

wenn man – wie Fechner (Biot´s, Experimentalphysik, Bd. III) die Nervenfäden als von<br />

isolierenden Hüllen umgeben ansieht ...“. 71 Im Anschluss an diese Bemerkung referiert<br />

Müller nun neue, eigene Experimente, die das Phänomen der Nervenleitung weiter konturieren:<br />

Mit Entdeckung des Elektromagnetismus habe man neue galvanische Instrumente<br />

entwickelt, mit denen bewiesen werden sollte, „daß Nadeln, welche man in die<br />

Nerven eines lebenden Thieres sticht, magnetisch werden ... Mir hat dies nie gelingen<br />

wollen. Dagegen wird die Nadel eines sehr empfindlichen Galvanometers durch Froschschenkelpräparate<br />

afficirt, wie die Versuche von Nobili[ 72] und Matteucci[ 73] zeigen ...“. 74<br />

Die Nerven produzieren also etwas, was der Reaktion eines galvanischen Elementes<br />

entspricht. Müller sucht nun dieses Phänomen eingehender zu charakterisieren, indem er<br />

die Experimentalbedingungen, unter denen dieses Phänomen produziert wurde, weiter<br />

69 Müller (1844) 553.<br />

70 Müller (1844) 555.<br />

71 Müller (1844) 555.<br />

72 Leopoldo Nobili (1784-1835).<br />

73 Carlo Matteucci (1811-1868).<br />

74 Müller (1844) 556.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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