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Annals of the History and Philosophy of Biology

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Argumentations- und Vermittlungsstrategie in Müllers H<strong>and</strong>buch der Physiologie<br />

auf Bewegungsfasern zu wirken; gleichwie die Elektricität auch den kürzesten Weg von einem<br />

zum <strong>and</strong>ern der genäherten Poldrä<strong>the</strong> nimmt.…Richtiger ausgedrückt und in die Sprache der<br />

Nervenphysik übersetzt, heisst dies jedoch so, dass bei heftiger Erregung der motorischen Eigenschaft<br />

des Rückenmarkes durch einen Empfindungsnerv zunächst nur derjenige Teil des Rückenmarks<br />

erregt wird, und wieder Zuckungen erregt, welcher dem Empfindungsnerven den<br />

Ursprung giebt, und dass die Erregung <strong>and</strong>erer Teile des Rückenmarkes und der davon entspringenden<br />

motorischen Nerven in dem Maasse abnimmt, als sie sich von der durch den Empfindungsnerven<br />

erregten Stelle entfernen. Dasselbe gilt auch von den Hirnnerven. 91<br />

Die von ihm eingeführte Sprache der Nervenphysik ist die Sprache des Experimentators.<br />

Diese Sprache ist die einer minutiösen Darstellung der Regelmäßigkeiten in den<br />

einzelnen genau definierten Experimentalszenarien. Sein Experiment führt ihn nicht zu<br />

einem abstrakten Modell, sondern zu einer präzisen Beschreibung, in der die Reaktionen<br />

auch in ihrer relativen Intensität dargestellt werden. Variationen in den Reaktionen der<br />

Gewebe werden auf hinsichtlich Reizort und Reizart präzise beschriebene Eingriffe bezogen.<br />

Damit kommt Müller – wie auch schon in der vorab skizzierten – Darstellung der<br />

am Muskel zu studierenden galvanischen Effekte zu detaillierten Aussagen über die Effekte<br />

von Variationen in der im Experiment aufgebauten Reaktionsschichtung. Die Gesetzmäßigkeiten,<br />

die er aufweist, benennen die Regularitäten, die sich in diesen Variationen<br />

darstellen lassen. Damit identifiziert Müller die physiologisch effektiven Momente<br />

im Reaktionsgefüge der ihn interessierenden Gewebe.<br />

Die Grenzen der Physik<br />

Wieweit trägt aber nun eine entsprechende Argumentationsstrategie? Wie eingangs referiert,<br />

sind für Müller auch Geistesfunktionen physiologisch darstellbar. Sind also auch die<br />

Seelentätigkeiten – um Müllers Begriff zu nutzen – derart in einer physikalisch-chemisch<br />

zu explizierenden Darstellungsschichtung zu orten? Es mag dabei schon überraschen,<br />

dass 40 Jahre nach dem vermeintlichen Ende der Suche vom Seelenorgan überhaupt ein<br />

solcher Begriff wieder auftaucht. 92 So schreibt Müller Von den Kräften des Gehirns und<br />

von den Seelenthätigkeiten im Allgemeinen:<br />

„Das Gehirn der Thiere vergrößert sich von den Fischen bis zum Menschen, nach<br />

der Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten mehr und mehr.“ 93 Dabei verweist Müller<br />

auf Unterschiede in verschiedenen Hirnteilen, stellt die sich damit <strong>and</strong>eutende Frage<br />

nach der „Kraft der verschiedenen Hirn<strong>the</strong>ile“ aber zunächst zurück, um „das Verhältniss<br />

der Seelenthätigkeit zu dem Gehirn überhaupt“ zu betrachten. 94 Er spricht nun ex-<br />

91 Müller (1844) 619.<br />

92 Hagner, Michael: Das Ende vom Seelenorgan: Über Einige Beziehungen von Philosophie und Anatomie<br />

im frühen 19. Jahrhundert, In: Das Gehirn – Organ der Seele? Hg. E. Florey, O. Breidbach. Berlin 1993, S.<br />

9-22.<br />

93 Müller (1844) 708f.; vgl. hierzu die in romantischer Tradition stehende Arbeit Carus, Carl Gustav: Vergleichende<br />

Psychologie oder Geschichte der Seele in der Reihenfolge der Thierwelt. Wien 1866.<br />

94 Müller (1844) 709.<br />

<strong>Annals</strong> <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>History</strong> <strong>and</strong> <strong>Philosophy</strong> <strong>of</strong> <strong>Biology</strong>, Vol. 10 (2005)<br />

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