04.06.2016 Views

Dannhauer - 2013 - Deutscher Reishandel 1850 bis 1914 die zentrale R

Dannhauer - 2013 - Deutscher Reishandel 1850 bis 1914 die zentrale R

Dannhauer - 2013 - Deutscher Reishandel 1850 bis 1914 die zentrale R

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

1<br />

sierte sich heraus, dass <strong>die</strong> bremisch dominierte<br />

deutsche Reisindustrie besonders einen Artikel<br />

des Handelsvertrages mit Österreich-Ungarn,<br />

Artikel 3, monierte. Dieser besagte, dass Reis<br />

aus Deutschland nur dann in dem für <strong>die</strong> Industrie<br />

vorteilhaften Vertragstarif bei der Einfuhr<br />

nach Österreich-Ungarn verzollt wird, wenn der<br />

Reis aus dem freien Verkehr stammt. Da der<br />

Reis in Deutschland schon unter der Aufsicht<br />

eines Zollinspektors stand und unter Berücksichtigung<br />

des geltenden Schälregulativs zum<br />

Teil zollerleichtert war, konnte der deutsche Exportreis<br />

<strong>die</strong>ses Kriterium gar nicht erfüllen. Zumeist,<br />

so <strong>die</strong> Kritiker der angewendeten Vertragsklausel,<br />

sei aber nur <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> Ware<br />

aus einem meistbegünstigten Land stammt oder<br />

dort bearbeitet wurde, für <strong>die</strong> Gewährung des<br />

Vertragstarifs maßgeblich. Im Verlauf der Veröffentlichungen<br />

wies <strong>die</strong> Weser-Zeitung Anfang<br />

November 1893 daraufhin, dass der umstrittene<br />

Artikel 3 des Handelsvertrags erstmals elf Monate<br />

nach Inkrafttreten des Abkommens angewendet<br />

wurde. „Thatsächlich hat denn auch<br />

Österreich-Ungarn <strong>die</strong> deutschen Reiseinfuhren<br />

<strong>bis</strong> zum 1. Januar d. J. als meistbegünstigt behandelt,<br />

also noch elf Monate nach dem Inkrafttreten<br />

des Vertrages.““ '<br />

Die Erklärung dafür hatte schon zwei Tage zuvor<br />

<strong>die</strong> Nationalzeitung unbemerkt geliefert. Der<br />

Verlust des wichtigsten europäischen Absatzmarktes<br />

für den in Deutschland verarbeiteten<br />

Reis, Österreich-Ungarn, lag zwar langfristig an<br />

der protektionistischen Zollpolitik zur Förderung<br />

des Aufbaus einer eigenen Reisindustrie, <strong>die</strong><br />

kurzfristige negative Auslegung des Artikels 3<br />

des Handelsabkommens hatte aber andere Gründe:<br />

„Ein ganz ähnlicher Fall liegt umgekehrt zum<br />

Nachtheil eines österreichisch-ungarischen<br />

Industriezweiges vor: Das Mehl, das im zollfreien<br />

Mahlverkehr in Österreich-Ungarn unter<br />

Verwendung fremden, nicht meistbegünstigten<br />

Getreides hergestellt ist, wird von<br />

Deutschland nicht als nationalisiert betrachtet<br />

und hat daher den Satz des allgemeinen Tarifs<br />

zu tragen, wodurch sich <strong>die</strong> dortige Mehlindustrie<br />

ebenso beschwert fühlt, wie unsere<br />

Reisindustrie.“<br />

Die deutsche Reisindustrie litt hier also nicht<br />

nur an der österreichisch-ungarischen Schutzzollpolitik<br />

im Interesse der mit Mühlen in Triest,<br />

Fiume und Pest entstehenden österreichisch-ungarischen<br />

Reisindustrie, sondern war Opfer da<br />

Handelskonflikte um Getreideeinfuhren zwischen<br />

Deutschland und Russland. Im Interesse<br />

der Agrar-Lobby war der Stopp der mssischen<br />

Getreideimporte naeh Deutschland eines der<br />

wichtigsten Ziele der Bismarck’schen Schutzzollpolitik<br />

gewesen. Während Reichskanzler von<br />

Caprivi <strong>die</strong>se Schutzzollpolitik in den Handelsverträgen<br />

ab 1891 zu lockern suchte und <strong>die</strong>s<br />

mit dem Vertrag mit Österreich-Ungarn auch<br />

umgesetzt hatte, schwelte der Handelskonflikt<br />

um Getreidezölle mit Russland 1893 noch. Da<br />

in Österreich-Ungarn auch Getreide aus Russland<br />

zu Mehl verarbeitet wurde, behandelten <strong>die</strong><br />

deutschen Zollbehörden es wie Mehl aus Russland<br />

und nicht - wie es im ähnlichen Fali <strong>die</strong><br />

deutsche Reisindustrie für sich reklamierte - als<br />

nationalisierte österreichisch-ungarische Ware,<br />

weil das Mehl dort produziert worden war. So<br />

erschließt sich, dass <strong>die</strong> Behandlung des deutschen<br />

Reises unter der Maßgabe des unfreien<br />

Verkehrs anstatt der Maßgabe der Herkunft nur<br />

eine Reaktion der Behörden in Österreich-Ungarn<br />

auf <strong>die</strong> deutsche Zollbehandlung des eigenen<br />

Mehls war.<br />

Der Handelskonflikt mit Russland wurde mit einem<br />

Vertrag von 1894 beendet. Damit fiel der<br />

unmittelbare Anlass für <strong>die</strong> Erschwerung des<br />

deutschen Reisabsatzes nach Österreich-Ungarn<br />

weg. An der Gesamtentwicklung, dass europäische<br />

Verbrauchermärkte immer schwerer zu beliefern<br />

waren, änderte sich jedoch nichts. Entweder<br />

hatten konkurrierende Länder keine Einfuhrzölle<br />

auf Rohreis und sparten dort im<br />

Vergleich zur deutschen Industrie Herstellungskosten,<br />

hatten bessere und damit günstigere Verkehrsanbindungen<br />

zu ihren Absatzmärkten, oder<br />

wurden durch den mit Zöllen geschützten Aufbau<br />

eigener Reisindustrien von früheren europäischen<br />

Reismärkten verdrängt. Daher stand<br />

174

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!