Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2003 - Ljudmila
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Exkursion in die Kasematten<br />
Auszug aus dem Roman<br />
In allen Zeitungen des Landes erschienen Nekrologe, in denen mit tiefer Trauer<br />
gemeldet wurde, dass Kaštone verstorben sei. Auf den Radiostationen wurde immer<br />
traurigere Musik ausgestrahlt. Einer speziell zusammengesetzten medizinischen<br />
Kommission folgend, die der habilitierte Veterinärmediziner Professor Ignaz Hofer<br />
leitete, wurde verlautbart, dass der Grund für den plötzlichen Tod des heiligen Tieres<br />
Herzinsuffizienz und ein emphysematisches Karbunkel sei, das Anaeroben des Bazillus<br />
Clostridium chauvoei hervorgerufen hätten, die sich in der Erde 20-25 Jahre halten<br />
könnten. Es kam, wie es kommen musste, doch die Gebildeten der Stadt, die schon<br />
einige Zeit ein überraschendes Unglück erwartet hatten, konnten sich mit dem<br />
eingetretenen aktum nicht abfinden. Alle liefen umher wie verrückt und unterhielten<br />
sich im lüsterton miteinander. Im Land wurde Staatstrauer verkündet. Die Verwalter<br />
und Besitzer von Gebäuden wurden durch strenge lnstruktionen verpflichtet, die<br />
Staatsflaggen, versehen mit einem schwarzen Trauerband, zu hissen.<br />
Zuwiderhandelnden drohten Geldstrafen und andere Unannehmlichkeiten, darunter<br />
sogar die Möglichkeit, wegen Vaterlandsverrats bestraft zu werden. Die Stadt versank in<br />
einem ahnenmeer. Ein naiver Ausländer hätte glauben können, es handle sich um eine<br />
nationale eierlichkeit, obgleich die Trauermusik und das Sirenengeheul augenblicklich<br />
derartige falsche und natürlich blasphemische Gedanken korrigiert hätten.<br />
Ihrem letzten Willen zufolge wollte Kaštone in der Heimat, die sie immer vor Augen<br />
hatte, begraben werden, das heisst in der Provinzstadt mit den berühmten wunderbaren<br />
Barockheiligtümern, der gotischen Kirche, die ungeprüften Quellen zufolge der<br />
französische Imperator nach Paris transportieren wollte, obwohl er selbst ja aus Korsika<br />
stammte, das später mit terroristischen Mitteln um seine Unabhängigkeit kämpfte. Bald<br />
also begannen alle Bewohner der Stadt mit Unruhe und innerem Schauer die feierliche<br />
Bestattung zu erwarten. Sie wurde eilends vorbereitet: Schnell wurden Strassen<br />
gepflastert, Häuserfassaden gestrichen, und die Städter wagten es nicht, in<br />
anspruchsloser Kleidung auszugehen; sie putzten sich schön heraus. Die ahnen, die<br />
bereits angeführten Einzelheiten der Vorgänge und andere, weniger bedeutsame<br />
Erscheinungen des Wartens auf die Bestattung zeugten davon, dass die Stadt, wie es<br />
sich gebührt, Kaštones Leichnam und den ihn begleitenden offiziellen Persönlichkeiten<br />
bis an die Grenze der Hauptstadt entgegenkommen würde. Schnell verbreitete sich die<br />
Kunde, diese Bestattung werde sogar feierlicher sein als jene, an die sich schon niemand<br />
mehr erinnern konnte: die Bestattung der Königin, des heiligen Prinzen, des<br />
Grossfürsten usw. Es verbreiteten sich Gerüchte, der Marschall selbst werde von der<br />
Hauptstadt bis in den letzten Erholungsort Kaštones Sarg zu uss begleiten. Doch wenig<br />
später wurden diese Gerüchte von anderen abgelöst-sie besagten, Kaštone werde mit<br />
dem Zug transportiert, der Marschall jedoch komme mit dem Auto, später hiess es, der<br />
Marschall komme mit dem Zug, Kaštone mit dem Auto, noch später, dass beide mit dem<br />
Zug kämen usw. Kein einziges Gerücht bewahrheitete sich. Aber derartige<br />
metaphysische Hypothesen zerstreute der Marschall selbst, als er sich eines Morgens<br />
per Radio und Presse an das Volk wandte. Bei dieser Gelegenheit gab er bekannt, was<br />
für ein schwerer Verlust das Volk und die nationale Minderheit getroffen hätte, welches<br />
Unglück das für den Staat sowie für seine Nachbarn bedeute und Ähnliches. Nach einer<br />
halben Stunde der Rührung sprach der Marschall klar aus, dass Kaštone sozusagen in<br />
ihrer Geburtsstadt begraben werde, er aber aus gesundheitlichen und anderen Gründen<br />
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nicht hinter dem Pferd, das den Sarkophag von der Hauptstadt an ziehen werde,<br />
hergehen und an den Trauerfeierlichkeiten teilnehmen könne, es tue ihm leid, er sei<br />
dazu nicht in der Lage. Aber zum Trost gelobte der Marschall sein Herz, das Kaštone<br />
bis zu der auch ihm teuren Stadt begleiten werde, von deren Türmen er bis heute in den<br />
Nächten träume. Die Bewohner der Stadt enttäuschte diese Nachricht natürlich, doch sie<br />
verloren ihre assung nicht, denn es blieb nicht viel Zeit es galt, sich umso besser darauf<br />
vorzubereiten, die gefallene Kaštone zu empfangen, um später von den aus der<br />
Hauptstadt Eintreffenden nicht als Provinzler beschimpft zu werden. So wurde<br />
beschlossen, auch die nationale Minderheit in die Arbeit einzubeziehen, denn es<br />
bedurfte vieler Hände.<br />
Bald darauf wurde Kaštones Bestattung zu einer Prestigeangelegenheit für die Stadt.<br />
Kurz, aber sachlich wurde diskutiert und später entschieden, Kaštone auf dem<br />
christlichen riedhof zu bestatten, auf dem bereits mehr als eine berühmte<br />
Persönlichkeit dieses Landes ruhte. Der Platz war schön: am uss eines Hügels, neben<br />
einem Bäumchen, das aussah, als könne es eine mächtige Eiche werden, die künftige<br />
Generationen daran erinnern würde, welch mächtige Tiere, die von hier stammten, es<br />
doch einmal gegeben hatte. Der erwartete Tag rückte unerbittlich näher. Die Zeitungen<br />
meldeten täglich, in welcher Ortschaft Kaštone und die sie begleitende<br />
Trauerprozession jetzt sei. Als der "Kurier" veröffentlichte, am Morgen des kommenden<br />
Tages seien alle eingeladen, die entschlafene Heldin am Tor zu empfangen, flatterte so<br />
manchem unruhig das Herz (es kam zu Ohnmachtsund Schlaganfällen). Und dann brach<br />
dieser denkwürdige Tag an ...<br />
Der Tag war sonnig, doch es blies ein schwacher Wind. Am Tor wogte ein<br />
Menschenmeer. Es hatte den Anschein, dass sich die ganze Stadt versammelt hatte<br />
mitsamt den Kindern und Alten, um ihrer Verehrung Ausdruck zu verleihen und Kaštone<br />
das letzte Geleit zu geben. Schon war rédéric Chopins Trauermarsch zu hören, den das<br />
aus der Hauptstadt hergeholte Bläserensemble des Nationalen Symphonieorchesters<br />
blies. Vielen entströmten etliche Tränen.<br />
An erster Stelle schritten die Vertreter der ortsansässigen und nationalen Minderheiten<br />
in ihren Trachten durch das Tor. Sie gingen langsam, gesenkten Hauptes, und hielten<br />
rote Kissen in den Händen, auf denen Kaštones Auszeichnungen waren: Orden,<br />
Medaillen, die grossen und kleinen Abzeichen ihrer Verdienste, sogar die künstlichen<br />
Zuckerwürfel, die ihr der Marschall irgendwann für kleinere Verdienste ausgehändigt<br />
hatte. Viele Mädchen waren dabei: in ünferreihen, und Reihen waren es ... Die<br />
trauernde Menge wogte dahin ... Doch der Sarg war noch nicht zu sehen, so viele<br />
Auszeichnungen hatte Kaštone. Als die Mädchen vorbeigingen, tauchte hinter dem<br />
Stadttor eine schmucke Tragbahre auf, auf der Kaštones letzter Sattel lag. Dahinter<br />
folgte ein silberner Reliquienschrein, in dem hinter Glas Kaštones Mahne und<br />
Schweifhaare aufbewahrt wurden. Ihn trug, hoch erhoben, ein eleganter Ulan aus dem<br />
örtlichen Kavallerieregiment. In seinen Augen glänzte Traurigkeit, doch ein<br />
aufmerksamer Beobachter konnte darin einen unken von Ehrgeiz erblicken. Die Musik<br />
verstummte.<br />
Der Trompeter des Symphonieorchesters liess das Signal erklingen, das Kaštone immer<br />
ins Schlachtfeld gerufen hatte; der Sarg schob sich durch das Tor ...<br />
Das erste, was auffiel, war die ungewohnte orm des Sarges. Er war beinahe U-formig,<br />
und ein Behäter, der an das Wahrzeichen des fürstlichen Stadtgründers erinnerte.<br />
"Das ist symbolisch", sagte jemand aus der Menge beim Anblick der ungewohnten Kiste.<br />
Es war offensichtlich, dass Kaštone zur ewigen Ruhe auf den Rücken gebettet war. Das<br />
erregte die Menschen. Der Trompeter trompetete. "Man hätte sie doch auf die Seite<br />
drehen können", verhielt ein Städter, der nicht von hier war, seine Unzufriedenheit nicht.<br />
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