28.06.2013 Views

Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2003 - Ljudmila

Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2003 - Ljudmila

Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2003 - Ljudmila

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Mit den Wölfen heulen<br />

Endlich hatte er von der Bierdose ein Stück Blech abgerissen und stach sich damit in die<br />

Adern. Mit dem Bier wollten sie ihn am Anfang gar nicht ins Theater lassen, aber er ging<br />

trotzdem hinein, drinnen standen die Sitze wie Ausrufezeichen, er setzte sich irgendwo<br />

in die Mitte und saß nur still da, die Lider wie auf den unteren Rand der Augen gestützt<br />

und die inger in einem komplizierten Geflecht um die Bierdose gewickelt, er<br />

betrachtete den Vorhang und schluckte gierig sein Bier, das langsam durch den ganzen<br />

kleinen Saal zu riechen begann, es war tatsächlich nur ein winziger Saal in einem kleinen<br />

Provinztheater, mit weich gepolsterten Wänden - wenn du so eine Polsterung anfaßt,<br />

weicht sie zurück, saugt sich am Untergrund fest, wölbt sich nach innen, glatt wie eine<br />

Scheide, aber nich schlüpfrig, nicht der Rede wert.<br />

Ach, Theater! Er war hineingegangen, denn er fühlte in sich den Amateurschauspieler,<br />

den Laiendarsteller, ewig in einer winzigen dummen Nebenrolle, so ein ungeschickter,<br />

plumper, manchmal gar noch begeisterter, so ein miserabler Tölpel, Trottel, wie viel<br />

Anstrengung ihn das gekostet hatte, wie viel Entsagung, wie viel Schweiß und Tränen,<br />

und wofür das alles? Wie viele Posen! Wie viele innere Monologe, signalisiert durch ein<br />

Stirnrunzeln! Wozu? Es lohnt wahrlich nicht, darüber Worte zu verlieren.<br />

Ein verliebtes Pärchen nicht weit von ihm berührte mit den Händen leicht die<br />

majestätischen lügel eines sehr alten Herrn, der laut schnarchte, gefährlich rückwärts<br />

geneigt, der Kopf hing ihm hintenüber wie eine überreife rucht, und sein Mund stand<br />

offen. Der Vorhang wollte und wollte sich nicht heben, bis jetzt konnte niemand seinen<br />

Blick über die Bühne schweifen lassen, die Einrichtung und die Kulissen begutachten.<br />

Das Schauspiel sollte nun aber doch langsam anfangen. Er blinzelte auf sein Zifferblatt<br />

und schlürfte sein Bier, bis er die Dose leer hatte.<br />

Im Zuschauerraum war fast kein Sitz mehr frei. Die Leute nahmen Platz, die Damen<br />

kamen sogar dazu, sich mit vorsichtigen Bewegungen ihrer inger die Haare<br />

zurechtzuzupfen, sie kamen sogar dazu, mit gedämpfter Stimme oder im lüsterton<br />

einige scheinbar wissende Bemerkungen vorzubringen.<br />

Im Grosen und Ganzen überall Ruhe. Der sehr alte Herr war aufgewacht und begann,<br />

den Verliebten etwas über lügel und über das liegen zu erzählen, während er die<br />

Schärfe des Blechs am Nachbarsitz testete. Dieser Sitz war nicht besetzt, nun, er störte<br />

keinen, er wollte wirklich niemanden stören oder belästigen, ihm war nicht gut, aber er<br />

wollte das niemandem unter die Nase reiben, ziehen, es war ein furchtbarer Abend, aber<br />

er schwieg, störte niemanden in dem still gewordenen, ehrwürdigen Theater, in dem<br />

Saal, der lang erschien, weil er eng war und an eine kanadische Eisbahn erinnerte, und<br />

an gepolsterte Eishokkeyspieler: er sah sie an die Wände, an die Banden stoßen und<br />

Pucks in den Vorhang feuern; er mußte lachen und die Bierdose fiel ihm hinunter. Sie<br />

schepperte auf den Boden: alle Köpfe drehten sich in seine Richtung. Das war schlimm...<br />

Es herrschte allerdings Halbdunkel, nun, sie sahen ihn nicht deutlich, ungenaue<br />

Konturen, sonst nichts, ja, sie konnten sich nicht einmal im Klaren darüber sein, was da<br />

gescheppert hatte - vielleicht ein Messer, Leute? Hm? Möglicherweise entstand in<br />

diesem Moment irgendwo tief drin in den Leuten Angest, oder in ihnen starb gerade<br />

etwas. Dann hob sich der Vorhang.<br />

Als die Zuschauer ein üppig eingerichtetes Zimmer erblickten, luxuriöse Sessel,<br />

Wandschmuck, Gemälde, und die Schauspieler in ihren noblen Kostümen gewahr<br />

wurden, die die Verse einer klassischen Tragödie deklamierten, Verse voll von Schönheit<br />

und einem gewissen Pomp und Gedanken über den klar verständlichen Unterschied<br />

zwischen Gut und Böse, als nun von der Bühne diese Perlen vor die Säue geworfen<br />

78<br />

wurden, begannen die Zuschauer zuerst zu murren, dann laut herumzuschreien, viele<br />

von ihnen standen auf, gestikulierten heftig und riefen verschiedene<br />

Niederträchtigkeiten, bis sie sich tatsächlich ans Beschießen der Schauspieler mit<br />

fauligen Nahrungsresten machten, ich erinnere mich zum Beispiel an den Griebs eines<br />

längst abgenagten Apfels. Die Schauspieler begriffen, was die Stunde geschlagen hatte<br />

- es waren ja wahrlich auch nur Menschen - sie wußten, was getan werden mußte, sie<br />

wußten, wie die in Wallung Geratenen einzulullen waren: sie trugen Stück um Stück die<br />

herrlichen Möbel hinter die Bühne, zerfetzten mit heftigen austschlägen die Leinwände<br />

der kostbaren Bilder und zerschlugen die Vasen. Dann begannen sie, Stühle auf die<br />

Bühne zu tragen. Die Leute halfen ihnen. Ich gebe niemandem die Schuld.<br />

Er beugte sich hinunter, tastete auf dem Boden herum: er suchte die Bierdose.<br />

Inzwischen herrschte im Theater Stille, lediglich gestört durch das Klappern von Holz<br />

auf Holz - die Stuhlbeine stießen auf die Bretter - und durch das üßescharren der<br />

Protagonisten. Die Bühne war nun mit Sitzgelegenheiten angefühlt, ausgerichtet in Reih<br />

und Glied, und die Schauspieler setzten sich auf die Stühle,schön einer neben den<br />

anderen, mit dem Rücken zum Publikum. Und die Bühne sah auf einmal aus... Es war so,<br />

als... als wäre die Bühne zur ortzetzung des Zuschauerraums und die Schauspieler<br />

wiederum zu weiteren Zuschauern geworden. Applaus brandete auf. Die Leute<br />

klatschten und warteten darauf, daß sich der Vorhang heben würde, der jetzt die<br />

Rückwand der ehemaligen Bühne bildete.<br />

Endlich ertastete er irgendwo unter dem Nachbarstuhl die klebrige, nach Bier riechende<br />

Dose. Schließen wir dieses Kapitel ab, sagte er zu sich. Er umschloß die Bierdose mit<br />

seiner aust und stand von seinem Sitz auf. Niemand achtete auf ihn, ale schauten<br />

verzückt auf den neuen Vorhang, auf die neuen Zuschauerreihen, warteten auf einen<br />

neuen Anfang, der ihnen vielleicht genehm sein würde, debattierten erregt, nickten mit<br />

dem Kopf, und deshalb gelang es ihm, unbeobachtet in den kleinen Gang neben den<br />

Sitzen hinauszuschlüpfen, und mit dem Rücken an die gepolsterte Wand gepreßt, schob<br />

er sich ganz still zum Ausgang vor, doch da erbebte dieser Ausgang auf einmal wie die<br />

lanken der Geliebten, die Wand erzitterte, zog sich zurück, stieg mitsamt dem Ausgang<br />

in die Höhe und war verschwunden, und er erblickte mehrere gewaltige Lagerfeuer, und<br />

in die Nasenlöcher drang ihm beißender Rauch. Die lammen beleuchteten Grüppchen<br />

von Neandertalern, bekleidet mit um die Hüften gewickelten armseligen etzen: In den<br />

Gesichtern der Urahnen spiegelte sich Erwartung, die sich jedoch in dem Moment, als<br />

sie der Leute im Saal gewahr wurden, in Verachtung und Abscheu verwandelte, sie<br />

begannen wild zu gestikulieren, irgend etwas zu schreien oder vielmehr unartikuliert zu<br />

brüllen, und dann überschütteten sie die Zuschauer im Saal mit Brocken noch nicht ganz<br />

durchgekaueten leisches und mit aus halb gebratenen Schweinen herausgefetzten<br />

leischstücken. Ich möchte niemandem die Schuld geben.<br />

Die Leute im Saal wußten schon, was getan werden mußte. Sie zerhackten die Sitze,<br />

türmten das Holz auf, manche zogen euerzeuge hervor, und aus den so errichteten<br />

Scheiterhaufen schlugen bald die lammen bis an die wunderschön verzierte Decke.<br />

Dem sehr alten Herrn brannten die riesigen lügel wie bizarre ackeln, vergeblich<br />

bemühte er sich, mit ihnen zu schlagen. Viele Zuschauer begannen zu husten, aber die<br />

neue Situation ertrugen sie standhaft, die rasenden Hustenanfälle versuchten sie mit<br />

verlegenem Lächeln zu überspielen und mit dem Rändern ihrer Krawatten, die sie sich<br />

um den Mund wickelten.<br />

Er hatte sich inzwischen von der Bierdose ein Stück Blech abgerissen.<br />

79<br />

Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!