Zbornik Mednarodnega literarnega srečanja Vilenica 2003 - Ljudmila
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Mit den Wölfen heulen<br />
Endlich hatte er von der Bierdose ein Stück Blech abgerissen und stach sich damit in die<br />
Adern. Mit dem Bier wollten sie ihn am Anfang gar nicht ins Theater lassen, aber er ging<br />
trotzdem hinein, drinnen standen die Sitze wie Ausrufezeichen, er setzte sich irgendwo<br />
in die Mitte und saß nur still da, die Lider wie auf den unteren Rand der Augen gestützt<br />
und die inger in einem komplizierten Geflecht um die Bierdose gewickelt, er<br />
betrachtete den Vorhang und schluckte gierig sein Bier, das langsam durch den ganzen<br />
kleinen Saal zu riechen begann, es war tatsächlich nur ein winziger Saal in einem kleinen<br />
Provinztheater, mit weich gepolsterten Wänden - wenn du so eine Polsterung anfaßt,<br />
weicht sie zurück, saugt sich am Untergrund fest, wölbt sich nach innen, glatt wie eine<br />
Scheide, aber nich schlüpfrig, nicht der Rede wert.<br />
Ach, Theater! Er war hineingegangen, denn er fühlte in sich den Amateurschauspieler,<br />
den Laiendarsteller, ewig in einer winzigen dummen Nebenrolle, so ein ungeschickter,<br />
plumper, manchmal gar noch begeisterter, so ein miserabler Tölpel, Trottel, wie viel<br />
Anstrengung ihn das gekostet hatte, wie viel Entsagung, wie viel Schweiß und Tränen,<br />
und wofür das alles? Wie viele Posen! Wie viele innere Monologe, signalisiert durch ein<br />
Stirnrunzeln! Wozu? Es lohnt wahrlich nicht, darüber Worte zu verlieren.<br />
Ein verliebtes Pärchen nicht weit von ihm berührte mit den Händen leicht die<br />
majestätischen lügel eines sehr alten Herrn, der laut schnarchte, gefährlich rückwärts<br />
geneigt, der Kopf hing ihm hintenüber wie eine überreife rucht, und sein Mund stand<br />
offen. Der Vorhang wollte und wollte sich nicht heben, bis jetzt konnte niemand seinen<br />
Blick über die Bühne schweifen lassen, die Einrichtung und die Kulissen begutachten.<br />
Das Schauspiel sollte nun aber doch langsam anfangen. Er blinzelte auf sein Zifferblatt<br />
und schlürfte sein Bier, bis er die Dose leer hatte.<br />
Im Zuschauerraum war fast kein Sitz mehr frei. Die Leute nahmen Platz, die Damen<br />
kamen sogar dazu, sich mit vorsichtigen Bewegungen ihrer inger die Haare<br />
zurechtzuzupfen, sie kamen sogar dazu, mit gedämpfter Stimme oder im lüsterton<br />
einige scheinbar wissende Bemerkungen vorzubringen.<br />
Im Grosen und Ganzen überall Ruhe. Der sehr alte Herr war aufgewacht und begann,<br />
den Verliebten etwas über lügel und über das liegen zu erzählen, während er die<br />
Schärfe des Blechs am Nachbarsitz testete. Dieser Sitz war nicht besetzt, nun, er störte<br />
keinen, er wollte wirklich niemanden stören oder belästigen, ihm war nicht gut, aber er<br />
wollte das niemandem unter die Nase reiben, ziehen, es war ein furchtbarer Abend, aber<br />
er schwieg, störte niemanden in dem still gewordenen, ehrwürdigen Theater, in dem<br />
Saal, der lang erschien, weil er eng war und an eine kanadische Eisbahn erinnerte, und<br />
an gepolsterte Eishokkeyspieler: er sah sie an die Wände, an die Banden stoßen und<br />
Pucks in den Vorhang feuern; er mußte lachen und die Bierdose fiel ihm hinunter. Sie<br />
schepperte auf den Boden: alle Köpfe drehten sich in seine Richtung. Das war schlimm...<br />
Es herrschte allerdings Halbdunkel, nun, sie sahen ihn nicht deutlich, ungenaue<br />
Konturen, sonst nichts, ja, sie konnten sich nicht einmal im Klaren darüber sein, was da<br />
gescheppert hatte - vielleicht ein Messer, Leute? Hm? Möglicherweise entstand in<br />
diesem Moment irgendwo tief drin in den Leuten Angest, oder in ihnen starb gerade<br />
etwas. Dann hob sich der Vorhang.<br />
Als die Zuschauer ein üppig eingerichtetes Zimmer erblickten, luxuriöse Sessel,<br />
Wandschmuck, Gemälde, und die Schauspieler in ihren noblen Kostümen gewahr<br />
wurden, die die Verse einer klassischen Tragödie deklamierten, Verse voll von Schönheit<br />
und einem gewissen Pomp und Gedanken über den klar verständlichen Unterschied<br />
zwischen Gut und Böse, als nun von der Bühne diese Perlen vor die Säue geworfen<br />
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wurden, begannen die Zuschauer zuerst zu murren, dann laut herumzuschreien, viele<br />
von ihnen standen auf, gestikulierten heftig und riefen verschiedene<br />
Niederträchtigkeiten, bis sie sich tatsächlich ans Beschießen der Schauspieler mit<br />
fauligen Nahrungsresten machten, ich erinnere mich zum Beispiel an den Griebs eines<br />
längst abgenagten Apfels. Die Schauspieler begriffen, was die Stunde geschlagen hatte<br />
- es waren ja wahrlich auch nur Menschen - sie wußten, was getan werden mußte, sie<br />
wußten, wie die in Wallung Geratenen einzulullen waren: sie trugen Stück um Stück die<br />
herrlichen Möbel hinter die Bühne, zerfetzten mit heftigen austschlägen die Leinwände<br />
der kostbaren Bilder und zerschlugen die Vasen. Dann begannen sie, Stühle auf die<br />
Bühne zu tragen. Die Leute halfen ihnen. Ich gebe niemandem die Schuld.<br />
Er beugte sich hinunter, tastete auf dem Boden herum: er suchte die Bierdose.<br />
Inzwischen herrschte im Theater Stille, lediglich gestört durch das Klappern von Holz<br />
auf Holz - die Stuhlbeine stießen auf die Bretter - und durch das üßescharren der<br />
Protagonisten. Die Bühne war nun mit Sitzgelegenheiten angefühlt, ausgerichtet in Reih<br />
und Glied, und die Schauspieler setzten sich auf die Stühle,schön einer neben den<br />
anderen, mit dem Rücken zum Publikum. Und die Bühne sah auf einmal aus... Es war so,<br />
als... als wäre die Bühne zur ortzetzung des Zuschauerraums und die Schauspieler<br />
wiederum zu weiteren Zuschauern geworden. Applaus brandete auf. Die Leute<br />
klatschten und warteten darauf, daß sich der Vorhang heben würde, der jetzt die<br />
Rückwand der ehemaligen Bühne bildete.<br />
Endlich ertastete er irgendwo unter dem Nachbarstuhl die klebrige, nach Bier riechende<br />
Dose. Schließen wir dieses Kapitel ab, sagte er zu sich. Er umschloß die Bierdose mit<br />
seiner aust und stand von seinem Sitz auf. Niemand achtete auf ihn, ale schauten<br />
verzückt auf den neuen Vorhang, auf die neuen Zuschauerreihen, warteten auf einen<br />
neuen Anfang, der ihnen vielleicht genehm sein würde, debattierten erregt, nickten mit<br />
dem Kopf, und deshalb gelang es ihm, unbeobachtet in den kleinen Gang neben den<br />
Sitzen hinauszuschlüpfen, und mit dem Rücken an die gepolsterte Wand gepreßt, schob<br />
er sich ganz still zum Ausgang vor, doch da erbebte dieser Ausgang auf einmal wie die<br />
lanken der Geliebten, die Wand erzitterte, zog sich zurück, stieg mitsamt dem Ausgang<br />
in die Höhe und war verschwunden, und er erblickte mehrere gewaltige Lagerfeuer, und<br />
in die Nasenlöcher drang ihm beißender Rauch. Die lammen beleuchteten Grüppchen<br />
von Neandertalern, bekleidet mit um die Hüften gewickelten armseligen etzen: In den<br />
Gesichtern der Urahnen spiegelte sich Erwartung, die sich jedoch in dem Moment, als<br />
sie der Leute im Saal gewahr wurden, in Verachtung und Abscheu verwandelte, sie<br />
begannen wild zu gestikulieren, irgend etwas zu schreien oder vielmehr unartikuliert zu<br />
brüllen, und dann überschütteten sie die Zuschauer im Saal mit Brocken noch nicht ganz<br />
durchgekaueten leisches und mit aus halb gebratenen Schweinen herausgefetzten<br />
leischstücken. Ich möchte niemandem die Schuld geben.<br />
Die Leute im Saal wußten schon, was getan werden mußte. Sie zerhackten die Sitze,<br />
türmten das Holz auf, manche zogen euerzeuge hervor, und aus den so errichteten<br />
Scheiterhaufen schlugen bald die lammen bis an die wunderschön verzierte Decke.<br />
Dem sehr alten Herrn brannten die riesigen lügel wie bizarre ackeln, vergeblich<br />
bemühte er sich, mit ihnen zu schlagen. Viele Zuschauer begannen zu husten, aber die<br />
neue Situation ertrugen sie standhaft, die rasenden Hustenanfälle versuchten sie mit<br />
verlegenem Lächeln zu überspielen und mit dem Rändern ihrer Krawatten, die sie sich<br />
um den Mund wickelten.<br />
Er hatte sich inzwischen von der Bierdose ein Stück Blech abgerissen.<br />
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Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch