Literatur machen
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Olga Gleyzer<br />
Stille<br />
HÖRT AUF zu sprechen, das macht keinen Sinn. Ich habe das Interesse an euch<br />
verloren, aber ihr, ihr versucht immer noch mich mit diesem stumpfen Gerede zurükkzuholen.<br />
WOZU, frag ich euch, wollt ihr mich aus diesem warmen Nebel des Vergessens<br />
herausreißen, um mich dann in der Kälte rauer Wirklichkeit alleine zu lassen!<br />
HÖRT BITTE AUF, aus mir etwas zu <strong>machen</strong>, was ich nicht mehr bin<br />
und nie mehr sein werde!<br />
VERSTEHT es doch!<br />
Ich bin ein verletzter Vogel, der sich nie mehr in die Lüfte emporschwingen wird.<br />
Ich bin es müde zu reden, deswegen habe ich schon vor langer Zeit aufgehört<br />
euch anzuklagen.<br />
Ich habe keine Kraft mehr zu weinen, denn ich hatte sie schon vor langer Zeit<br />
verbraucht, als ihr damit beschäftigt ward, es nicht zu bemerken.<br />
Meine Augen sind trocken und ich kann nichts mehr fühlen, ich bin<br />
ganz stumpf geworden und lebe nur noch in meiner Vergangenheit,<br />
ohne mich um die Zukunft zu scheren.<br />
Ich KANN gehen, aber ich mache keine Schritte vorwärts.<br />
Ich KÖNNTE schlafen, doch die Schreie meines Herzens halten mich nachts wach.<br />
Ich BIN gut, aber ich habe noch nie jemanden etwas Gutes getan.<br />
ICH BIN WEG.<br />
Im Grunde bin ich schon lange nicht mehr da.<br />
In mir wohnt seit langem nichts mehr Lebendiges.<br />
Die Gleichgültigkeit hat sich bei mir wie ein Geschwür ausgebreitet<br />
und ich sehne mich nach nichts anderem mehr, als STILLE.<br />
SCHRITTE<br />
Ich höre meine Schritte, die sich leise von mir davonstehlen<br />
in eine weite, fremde, unbekannte Richtung.<br />
Und nun? Jetzt ist nichts mehr zu hören. Gar nichts mehr!<br />
STILLE<br />
Larissa Bellina<br />
Takane<br />
Mein Name ist Takane. Das ist ein japanischer Mädchenname. Außer diesem<br />
Namen aber und einem Haufen vergilbter Erinnerungen ist nichts geblieben<br />
von Japan. Meine Großmutter hinterließ sie mir, gelbstichig, geborgen zwischen<br />
dem Ächzen des Schaukelstuhls im Wind, wenn ich die Verandatüre öffne,<br />
und der blauen Seide zweier platt gesessener Kissen. Ihren Platz, am Fenster<br />
habe ich nicht angerührt seit ihrem Tod vor nunmehr drei Jahren. Wie auch,<br />
scheint es doch ganz so, als kehre sie jede Sekunde mit jener schwerfälligen<br />
Langsamkeit alter Menschen an ihren Platz zurück, gerade rechtzeitig, bevor<br />
die Abdrücke verschwinden, die Seide sich glättet. So zerbrechlich ihr kleiner<br />
Körper, so durchscheinend ihre faltige Haut, so undurchschaubar sie.<br />
Wenn der Wind ihren Platz beseelt, überkommt mich manchmal ein Frösteln,<br />
denn nicht selten glaube ich ihre Stimme in mir zu spüren, die von den Hängen<br />
meines Herzens zurückgeworfen wird, wie ein Echo und weil es niemanden<br />
gibt, zu dem es zurück kehren kann, verweilt es in mir. Das geheimnisvolle<br />
Vibrieren einer Stimmgabel im Flüsterton ihrer Stimme. Dann blitzen sie auf,<br />
die Bilder ihrer Erinnerungen vor meinem inneren Auge, das Antlitz ihrer<br />
Wirklichkeit nichts weiter mehr als Bilder meiner Fantasie.<br />
Ein Kind, das durch schmale Gassen tobt mit Straßenkötern, lachend glänzende<br />
Pfützenwasserspiegel in spritzenden Splitterregen verwandelt, mit dem<br />
Nachbarsjungen um die Wette spuckt hinter der Strohhütte am Bach. Wie an<br />
der Hand ihrer Mama sie den Markt beschreitet, stolze Schönheiten im Lärm des<br />
Gedränges, der fette Verkäufer mit dem Goldzahn, der ihr eine Orange schenkt.<br />
Die großen dunklen Augen nach oben gerichtet zum Vater, atemlos vor<br />
Spannung: ein Geschenk, was denn, was? Das verräterische Winseln des neuen<br />
Spielkameraden in seiner Hand hinterm Rücken. Der Geruch, als die Mutter den<br />
Deckel hebt vom Reistopf und sie hereinruft, schon da, sie sind ja schon da.<br />
Nein, sie sind nicht da, nicht an meinem Tisch. Draußen ein paar wilde Vögel,<br />
Ostwind, die Fingerspitzen der Abendsonne im krausen Haar der bewaldeten<br />
Hänge. Drinnen die funkelnde Sehnsucht in den Augen einer Frau, Sehnsucht<br />
nach einer unbekannten Heimat hinter Lippen, die sich nach der Vergangenheit<br />
staunend verschlossen, um deren Reinheit zu bewahren.<br />
„Die Wahrheit bedarf keiner Worte mehr“, sagte sie einmal,<br />
„weshalb die wahren Gefühle die stillsten sind.“<br />
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