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Literatur machen

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06<br />

12<br />

Olga Gleyzer<br />

Stille<br />

HÖRT AUF zu sprechen, das macht keinen Sinn. Ich habe das Interesse an euch<br />

verloren, aber ihr, ihr versucht immer noch mich mit diesem stumpfen Gerede zurükkzuholen.<br />

WOZU, frag ich euch, wollt ihr mich aus diesem warmen Nebel des Vergessens<br />

herausreißen, um mich dann in der Kälte rauer Wirklichkeit alleine zu lassen!<br />

HÖRT BITTE AUF, aus mir etwas zu <strong>machen</strong>, was ich nicht mehr bin<br />

und nie mehr sein werde!<br />

VERSTEHT es doch!<br />

Ich bin ein verletzter Vogel, der sich nie mehr in die Lüfte emporschwingen wird.<br />

Ich bin es müde zu reden, deswegen habe ich schon vor langer Zeit aufgehört<br />

euch anzuklagen.<br />

Ich habe keine Kraft mehr zu weinen, denn ich hatte sie schon vor langer Zeit<br />

verbraucht, als ihr damit beschäftigt ward, es nicht zu bemerken.<br />

Meine Augen sind trocken und ich kann nichts mehr fühlen, ich bin<br />

ganz stumpf geworden und lebe nur noch in meiner Vergangenheit,<br />

ohne mich um die Zukunft zu scheren.<br />

Ich KANN gehen, aber ich mache keine Schritte vorwärts.<br />

Ich KÖNNTE schlafen, doch die Schreie meines Herzens halten mich nachts wach.<br />

Ich BIN gut, aber ich habe noch nie jemanden etwas Gutes getan.<br />

ICH BIN WEG.<br />

Im Grunde bin ich schon lange nicht mehr da.<br />

In mir wohnt seit langem nichts mehr Lebendiges.<br />

Die Gleichgültigkeit hat sich bei mir wie ein Geschwür ausgebreitet<br />

und ich sehne mich nach nichts anderem mehr, als STILLE.<br />

SCHRITTE<br />

Ich höre meine Schritte, die sich leise von mir davonstehlen<br />

in eine weite, fremde, unbekannte Richtung.<br />

Und nun? Jetzt ist nichts mehr zu hören. Gar nichts mehr!<br />

STILLE<br />

Larissa Bellina<br />

Takane<br />

Mein Name ist Takane. Das ist ein japanischer Mädchenname. Außer diesem<br />

Namen aber und einem Haufen vergilbter Erinnerungen ist nichts geblieben<br />

von Japan. Meine Großmutter hinterließ sie mir, gelbstichig, geborgen zwischen<br />

dem Ächzen des Schaukelstuhls im Wind, wenn ich die Verandatüre öffne,<br />

und der blauen Seide zweier platt gesessener Kissen. Ihren Platz, am Fenster<br />

habe ich nicht angerührt seit ihrem Tod vor nunmehr drei Jahren. Wie auch,<br />

scheint es doch ganz so, als kehre sie jede Sekunde mit jener schwerfälligen<br />

Langsamkeit alter Menschen an ihren Platz zurück, gerade rechtzeitig, bevor<br />

die Abdrücke verschwinden, die Seide sich glättet. So zerbrechlich ihr kleiner<br />

Körper, so durchscheinend ihre faltige Haut, so undurchschaubar sie.<br />

Wenn der Wind ihren Platz beseelt, überkommt mich manchmal ein Frösteln,<br />

denn nicht selten glaube ich ihre Stimme in mir zu spüren, die von den Hängen<br />

meines Herzens zurückgeworfen wird, wie ein Echo und weil es niemanden<br />

gibt, zu dem es zurück kehren kann, verweilt es in mir. Das geheimnisvolle<br />

Vibrieren einer Stimmgabel im Flüsterton ihrer Stimme. Dann blitzen sie auf,<br />

die Bilder ihrer Erinnerungen vor meinem inneren Auge, das Antlitz ihrer<br />

Wirklichkeit nichts weiter mehr als Bilder meiner Fantasie.<br />

Ein Kind, das durch schmale Gassen tobt mit Straßenkötern, lachend glänzende<br />

Pfützenwasserspiegel in spritzenden Splitterregen verwandelt, mit dem<br />

Nachbarsjungen um die Wette spuckt hinter der Strohhütte am Bach. Wie an<br />

der Hand ihrer Mama sie den Markt beschreitet, stolze Schönheiten im Lärm des<br />

Gedränges, der fette Verkäufer mit dem Goldzahn, der ihr eine Orange schenkt.<br />

Die großen dunklen Augen nach oben gerichtet zum Vater, atemlos vor<br />

Spannung: ein Geschenk, was denn, was? Das verräterische Winseln des neuen<br />

Spielkameraden in seiner Hand hinterm Rücken. Der Geruch, als die Mutter den<br />

Deckel hebt vom Reistopf und sie hereinruft, schon da, sie sind ja schon da.<br />

Nein, sie sind nicht da, nicht an meinem Tisch. Draußen ein paar wilde Vögel,<br />

Ostwind, die Fingerspitzen der Abendsonne im krausen Haar der bewaldeten<br />

Hänge. Drinnen die funkelnde Sehnsucht in den Augen einer Frau, Sehnsucht<br />

nach einer unbekannten Heimat hinter Lippen, die sich nach der Vergangenheit<br />

staunend verschlossen, um deren Reinheit zu bewahren.<br />

„Die Wahrheit bedarf keiner Worte mehr“, sagte sie einmal,<br />

„weshalb die wahren Gefühle die stillsten sind.“<br />

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