Literatur machen
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Sebastian Stelzer<br />
Fremd im eigenen Land<br />
Ein junger Stuttgarter absolviert seinen Zivildienst in Sarajevo –<br />
und begibt sich damit auf die Suche nach der eigenen Identität.<br />
Ein Jahr ist vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Ein<br />
Jahr, das Spuren in seinem Gesicht hinterlassen hat. Der Bart ist<br />
länger und der Gesichtsausdruck ernster geworden. An einem<br />
Fensterplatz im Café, zwischen Familien mit quengelnden<br />
Kindern und Latte Macchiato trinkenden Szenemenschen,<br />
sprechen wir über dieses zurückliegende Jahr.<br />
Nenad Subat hat sich nach dem Abitur dafür entschieden, seinen<br />
Zivildienst in Sarajevo, der Heimat seiner Eltern zu leisten.<br />
„Ein Stück Heimat kennen lernen“, wollte er, „den Bosnier im<br />
Deutschen entdecken.“<br />
Durch Zufall ist Nenad im Internet auf die Organisation „Schüler<br />
helfen Leben“ gestoßen. Seit 1992 fördert diese Organisation<br />
gemeinnützige Projekte auf dem Balkan, hilft beim Aufbau von<br />
Strukturen und unterstützt zahlreiche kleinere Jugendprojekte<br />
in Sarajevo. Sie verteilt Spendengelder an junge Menschen,<br />
die etwas Positives auf die Beine stellen wollen: Musikfestivals,<br />
Basketballturniere oder Filmvorführungen.<br />
Ob diese Arbeit vor Ort erfolgreich ist, will ich wissen.<br />
„Teilweise“, sagt Nenad nach langem Zögern. Vorankommen<br />
könne man in Bosnien, das immer noch unter den Folgen des<br />
Balkankrieges zu leiden hat, nur schwer. Grund dafür seien<br />
die unterschiedlichen nationalistischen Interessen, die überbordende<br />
Bürokratie und die weit verbreitete Korruption.<br />
„TÜV kostet ’nen Zehner“, so Nenad. „Ein zugedrücktes Auge<br />
bei einer polizeilichen Alkoholkontrolle einen doppelten<br />
Kaffee, also ungefähr 50 Cent.“<br />
Diese Missstände ziehen sich durch alle Schichten der Gesellschaft.<br />
„Nationale Interessen sind oft nur der Deckmantel, um<br />
sich persönlich zu bereichern“, sagt Nenad. Und merkt an,<br />
wie reich die Gegend im Stuttgarter Westen, in der er aufgewachsen<br />
ist, nun wirkt. Sie ist ihm vertraut, aber nach einem<br />
Jahr Abwesenheit auch sehr fremd. Wie sauber die Straßen<br />
hier doch sind, wie neu die Autos. In Sarajevo seien die Spuren<br />
des Krieges noch deutlich sichtbar. Nenad beschreibt ein<br />
leerstehendes, baufälliges Haus ohne Dach, aber mit Einschusslöchern.<br />
Und direkt daneben die neu eröffnete Filiale der<br />
Deutschen Bank.<br />
06<br />
38<br />
„Die Amerikanische Botschaft ist ein riesiges<br />
blütenweißes Gebäude auf einem<br />
großen, parkähnlichen Gelände. Drum<br />
herum eine drei Meter hohe Mauer und<br />
Stacheldraht. Sie wird 24 Stunden von<br />
bewaffneten Soldaten bewacht“, erzählt<br />
Nenad.<br />
In dem Plattenbau, in dem er wohnt,<br />
wiederum ein ganz anderes Bild. Hier<br />
funktioniert der Aufzug nur, wenn man<br />
sich gegen die Tür lehnt, die Heizung<br />
wird zentral für den ganzen Häuserblock<br />
gesteuert. In Sarajevo heizt man im Kollektiv.<br />
Allgegenwärtig sind die verschiedenen<br />
Militärs. Soldaten aus aller Welt<br />
sind in Bosnien stationiert und kontrollieren<br />
den brüchigen Frieden.<br />
„Die UNO-Leute nennt man im Volksmund<br />
die Schlümpfe, wegen ihrer blauen<br />
Helme und wahrscheinlich auch deshalb,<br />
weil man sie nicht richtig ernst nimmt“,<br />
sagt Nenad mit einem Lächeln. Deutsche<br />
werden „Schwabs“ genannt, da die meisten<br />
Flüchtlinge während des Krieges in<br />
Baden-Württemberg lebten. So auch<br />
Nenads Eltern.<br />
Ob er den Bosnier im Deutschen gefunden<br />
hat, frage ich. „Ja, aber ich weiß jetzt<br />
auch, dass ich dort nicht leben will ... und<br />
wie gut es mir hier ging“, antwortet er.<br />
„Was für ein Privileg es ist, in Deutschland<br />
aufzuwachsen.“<br />
Am nächsten Tag fährt Nenad zurück<br />
nach Sarajevo, für die letzten drei Monate<br />
seiner Dienstzeit. Zum Abschied schenkt<br />
er mir einen Aufkleber. „Dosta.ba“ steht<br />
da. Das kann man in etwa mit „Genug<br />
jetzt“ übersetzen.<br />
Das ist Nenad aus Stuttgart.<br />
Er leistet derzeit in Bosnien<br />
seinen Zivildienst.<br />
Schicke Markenklamotten und der neueste Klatsch<br />
Die Serie Gute Zeiten, schlechte Zeiten feiert Jubiläum<br />
Seit nun schon 3000 Folgen hassen und lieben sie sich. Sie<br />
streiten hemmungslos, um sich dann wieder miteinander zu<br />
vertragen, die Helden der beliebtesten Jugendserie im<br />
Deutschen Fernsehen: Gute Zeiten, schlechte Zeiten, die bei<br />
ihren Fans nur GZSZ heißt. Die Vielfältigkeit der Handlungen<br />
erstreckt sich von Intrigen, Freundschaft, Betrug und Tod über<br />
schulische, finanzielle und soziale Probleme.<br />
Selbstverständlich kommt bei solch einem Angebot auch die<br />
Liebe nicht zu kurz. Im Wochentakt werden die Partner gewechselt,<br />
die daraus entstehende Verwirrung füllt die Serie danach<br />
nämlich mindestens die ganze nächste Woche. Die besonders<br />
festen Beziehungen gehen erst nach heftigen Streitereien in die<br />
Brüche, andere werden mit einem Liebesgeständnis oder, wie in<br />
der Jubiläumsfolge, mit dem Ehegelübde besiegelt.<br />
Die Charaktereigenschaften der Darsteller sind leicht zu<br />
beschreiben, bei GZSZ sind nämlich alle entweder gut oder<br />
böse. Die Guten sind die Verkörperung reiner Perfektion;<br />
extrem attraktiv, nett, beliebt und dauergrinsend (warum muss<br />
ich hierbei nur an Garfield denken?), die Bösen dagegen kaltblütig,<br />
profitgierig, selbstsüchtig und zu jedem Verbrechen<br />
bereit. Viele der Bösen kommen meist nur einige Folgen lang<br />
vor, in denen sie ihre gesamte Freizeit darin investieren, die<br />
Guten vom rechten Weg abzubringen.<br />
Aber ansonsten haben sich in dieser Serie von der mordlustigen<br />
Schwester bis zur Liebeskummer geplagten besten Freundin<br />
alle ganz doll lieb! Die pubertierenden Teenager der Serie<br />
schmeißen mit Wörtern wie „voll krass“ und „fett geil“ um sich<br />
und <strong>machen</strong> damit selbst den letzten Neidern klar, wie „total<br />
cool“ sie doch alle sind. Erkan und Stefan lassen grüßen!<br />
Die an Geldmangel leidenden, aber immer noch in den schikksten<br />
Markenklamotten gekleideten Erwachsenen dagegen,<br />
treffen sich jeden Morgen in der Kaffeeecke der Werbeagentur,<br />
um sich gegenseitig ihre identitätszerfressenden Probleme vorzutragen<br />
und ganz nebenbei auch noch den neusten Klatsch<br />
auszutauschen, wobei die Männer den Frauen in dieser Hinsicht<br />
keinesfalls nachstehen.<br />
Ach ja, und dann gibt es da noch jene, die die ganze Serie lang<br />
Alexandra Rojkov damit beschäftigt sind, anderen aus ihren<br />
Depressionen zu helfen, sie aus ihrem<br />
schwarzen Loch der Verzweiflung zu ziehen.<br />
Dies geschieht dann mit einer gro-<br />
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ßen Portion Zuneigung, angereichert mit<br />
unverzichtbaren Lebensweisheiten wie<br />
zum Beispiel „Am Ende des Tunnels<br />
kommt immer wieder Licht“ oder „Gib<br />
nicht auf, kämpfe, überwinde deine Ängste“<br />
oder „Lass dir Zeit, eines Tages wirst<br />
d u<br />
darüber hinwegkommen.“ Sie haben sich<br />
ja, wie gesagt, alle so unglaublich gern.<br />
Mich persönlich rühren solche Verse<br />
immer zu Tränen. Darum sollten wir<br />
dankbar sein! Dankbar für das Anfangslied,<br />
in dem uns die Schwierigkeit<br />
deutscher Grammatik demonstriert wird,<br />
dankbar für die ach so aus dem Leben<br />
geschnittenen Geschichten, deren Inhalt<br />
zu 80% so realistisch ist wie die Existenz<br />
des Osterhasen. Und dankbar für die<br />
sinnvollen Dialoge, welche uns jede<br />
Folge aufs Neue zum Nachdenken anregen,<br />
wobei die Frage immer die selbe ist:<br />
„Wie viel Alkohol muss ein Mensch im<br />
wahren Leben wohl trinken, um solch<br />
einen Müll von sich zu geben?“<br />
Deswegen möchte ich an dieser Stelle<br />
Danke sagen. Danke an die Macher<br />
dieser Serie, die ein Wunder vollbracht<br />
haben. Sie haben etwas geschaffen, das<br />
schnulziger als Lovestories, dramatischer<br />
als Das Jugendgericht, anspruchsvoller als<br />
Dawson’s Creek und schwachsinniger als<br />
Die Simpsons ist.<br />
Somit hoffen wir also, dass es ihnen niemals<br />
an Ideen für neue gute und schlechte<br />
Zeiten mangeln wird und beten dafür,<br />
dass uns GZSZ noch mindestens bis ans<br />
Ende der Menschheit erhalten bleibt.<br />
Bis in alle Ewigkeit.<br />
Amen.