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Literatur machen

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Samuel Teixeira<br />

Frivole Ängstlichkeiten (Ausschnitt)<br />

[…] Nichts entgeht mir, ich beobachte<br />

alles mit Adlersaugen, um jene abstoßenden<br />

Deserteure für, dich, Mami, im<br />

Hinterkopf zu behalten, damit, wenn es<br />

früher oder später gelingt, dich von den<br />

erdrückenden Teufelstatzen eigenhändig<br />

zu befreien, wir beide, stolz auf den<br />

Triumph, uns über die Jammerlappen<br />

lustig <strong>machen</strong>, welche tugendlos vor der<br />

Tortur fliehen, dem Terror nicht ins<br />

Auge blicken wollen! Und derer gibt es<br />

hier viele! In der Tat kommt es mir in<br />

zunehmendem Maße so vor, als sei es für<br />

den Vermieter eine ungeheure Genugtuung,<br />

die ihn beruhigt, zu wissen, dass<br />

in diesem seinem Haus voller kahler<br />

Appartements, denen jegliche Farbe<br />

fehlt, nur Irre wohnen und ihren Unfug<br />

treiben!<br />

Ja, mir scheint, es sei für ihn von essentieller<br />

Bedeutung, diesen gehetzten<br />

Seelen in seinem Park, der im Gegensatz<br />

zu dem öden oder gänzlich fehlenden<br />

Mobiliar in den Korridoren seines Geisterschlosses<br />

(so kalkweiß ist es, den Gesichtern<br />

der Bewohner glänzend angepasst)<br />

wunderschön anzusehen ist, wie ich<br />

zugeben muss, Zuflucht zu gewähren…<br />

(Ein Zufluchtsort, der sich für Herrn Zauberberg<br />

jedoch als Ort des Schreckens<br />

und des Grauens erweist.)<br />

Ja, so scheint es mir… Und… Genau<br />

deswegen… Ja, genau aufgrund dieser<br />

grotesken Tatsache, die ich leid bin,<br />

habe ich heute kurzerhand beschlossen,<br />

mir eine andere Bleibe zu suchen! Weg<br />

von dem ganzen Gesindel, weg von<br />

Herrn Zauberberg, weg von den kahlen<br />

Wänden, hinaus Mami aufzusuchen,<br />

deren zarte Lippen ich so misse, deren<br />

06<br />

06<br />

grazilen Duft ich wieder einzuatmen<br />

brauche, deren anmutige Stimme ich<br />

erneut vernehmen muss! Ich werde ihr<br />

bei der Vertreibung der Dämonen, die<br />

Engel Gabriel, der Himmelsbote, ihr<br />

hoffnungsvoll, in Erwartung einer tapferen<br />

Konfrontation, zukommen ließ<br />

(der arme Gottesverkünder, für den die<br />

teuflischen Schemen Überhand nahmen…),<br />

tatkräftig zur Seite stehen, denn<br />

auch mir flüstert er, nun anstelle des<br />

Windes, heilige Mysterien zu, denen zu<br />

folgen ist… Und mache dir keine Sorgen,<br />

Mami: Die Deserteure kriegen wir noch!<br />

Nun denn… „Bloß keine Angst“, „bloß<br />

keine Angst“… Die Koffer sind gepackt,<br />

alle Reisevorbereitungen bereits zu<br />

früher Morgenstund’ mit pedantischer<br />

Sorgfalt und großer Mühe getroffen…<br />

Man muss bereit sein, neu zu beginnen,<br />

sich Neuem ohne Wenn und Aber zu<br />

stellen… So will es die unendlich gerechte<br />

Königin, der man Gehorsam zollen<br />

muss… So will es der Himmelsbote,<br />

dessen endlose Weisheit nie dem<br />

menschlichen Verstand je zugänglich<br />

sein wird… Auch wenn es oftmals<br />

Komplikationen mit den Stimmen und<br />

den weißen Männern (alles Hirngespinste,<br />

alles unecht…) gab, dieses Mal muss<br />

es klappen, dieses selige Mal! Langsam…<br />

Behutsamen Schrittes… Nur noch wenige<br />

Meter bis zur Wohnungstür… Was?…<br />

Nein, es ist nichts… Nein, nicht beirren<br />

lassen… Weiter, nur weiter!… Du Narr,<br />

lasse sie dich nicht für blöd verkaufen! Sie<br />

werden dich nicht kriegen, dieses eine<br />

Mal nichtl Doch… wenn sie es dennoch<br />

schaffen? Wenn sie stärker sind?…<br />

Stärker?! Wertlose Gedanken, wirres<br />

Zeug, angesammelt in den schlaflosen<br />

Nächten!! Ja, gewiss bloß mangelnder<br />

Schlaf, der sie herbeiruft… Gewiss bloß<br />

die Macht der Suggestion… …Dass ich<br />

nicht lache! IHR, mir Angst <strong>machen</strong>!<br />

Macht der Suggestion, sag’ ich!! Hört ihr?!<br />

Macht der Suggestion, nichts weiter!!!<br />

LA-LA-LA!<br />

Ich höre nichts,<br />

du bist so fern!<br />

Und fängst du mich,<br />

entflieh’ ich gern!<br />

Ich höre nichts,<br />

du bist so fern!<br />

Und fängst du mich,<br />

entflieh’ ich gern!<br />

Ich höre nichts,<br />

du bist so…<br />

fern…<br />

und fängst…<br />

Nein, nicht fangen! Nein, nicht! Nicht<br />

jetzt! Befreien, entfliehen, wie tapfere<br />

Mutter in Todesstunde!… Ja, schwächer<br />

werden lassen… Entweichen lassen…<br />

„Bloß keine Furcht“… „Bloß keine<br />

Furcht“… Die Engel mit den schützenden<br />

Kampfesschilden, sie sind überall,<br />

nur schauen, nur hinblicken… Und<br />

„bloß keine Angst“… Hmm… Sind sie<br />

weg? … …<br />

Lächerlich! Ich hätte Schauspieler<br />

werden sollen, hab’s echt drauf! Gut zu<br />

wissen, dass man nie wie die endet!<br />

Also dann, die Freiheit ruft! Tü-ür… AUF!!!<br />

… Nein, nicht ihr! Nicht die weißen<br />

Männer! Teuflische Tatzen, hinfort mit<br />

euch! Voller Sünde seid ihr, da ihr<br />

die Königin entführt habt! Spucken<br />

sollte man auf euch, euch niederhauen!<br />

Schweine, verdammte Arschlöcher,<br />

Hurenböcke… ihr… Schwei-… -ne…<br />

seid… Engel… Monster… Ja, auch der<br />

Boden… wieder normal… Vögel weg…<br />

Tut gut… Jaa… Spitz, aber hilfreich, das<br />

Beruhigungsutensilium… Die Blumen<br />

wieder schön, der Boden fest… Ja, macht<br />

die Angst entweichen!… Weg… weil…<br />

ihr… Gehorsam gezollt… werden<br />

muss… Mami… …<br />

06<br />

07<br />

Juliane Reichert<br />

Stille. Dunkel.<br />

Stille. Dunkel. Wie ein Liebespaar, dass<br />

nicht ohneeinander existieren kann.<br />

Warum hast Du Angst im Dunkeln?<br />

Vielleicht ist es auch nur die Stille, die das<br />

Dunkel begleitet und die Angst mit sich<br />

bringt. Hast du Angst vor Stille? Sie ist<br />

eigentlich mindestens genauso beängstigend,<br />

und doch merkt es keiner.<br />

Und nur, weil die Augen auch bei Stille<br />

sehen können, heißt das noch lange nicht,<br />

dass sie auch wirklich etwas erfassen<br />

können. Vielleicht hast Du ja deswegen so<br />

viel Angst. Augen zu. Dunkel. Du schaust<br />

jetzt woanders hin. Denn blind bist du<br />

bei Dunkelheit bestimmt nicht, Du siehst<br />

nur Dinge, die das grelle Tageslicht nicht<br />

erreicht. Stille. Als sähest Du mit den Ohren.<br />

Siehst Du die Stille? Sommerstille. Die<br />

Sonne scheint und die Pflanzen bewegen<br />

sich im Wind. Kein Laut. Du aber kannst<br />

sie nicht genießen. Obgleich sie sehr schön<br />

sein kann, gereinigt vom Überfluss des<br />

Gesagten. Ruhe. Ohren auf. Hör in Dich<br />

hinein, bestimmt ist es da nicht so still wie<br />

draußen. Gibst Du also zu, dass Du Dich<br />

nur deswegen so sehr vor ihr fürchtest,<br />

weil es dann einmal wirklich anfängt,<br />

laut zu werden. Fürchtest Du Dich deshalb<br />

im Dunkeln, weil Du dann woanders<br />

hinsehen musst?<br />

Glaub’ nicht, dass Du auf diese Weise<br />

davonkommst, sie begegnen Dir überall<br />

und immer wieder. Sind mächtiger als Du.<br />

Herrschen wie ein Königspaar über uns<br />

Spielfiguren. Und keine Ablenkung wird<br />

Dir je helfen, Deine Augen und Ohren<br />

so sehr zu beschäftigen, dass es keine Stille<br />

gibt, bei der sie nicht hören und keine<br />

Dunkelheit, bei der sie nicht sehen<br />

könnten. Also stell’ dich!

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