Literatur machen
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Fast alles taugt zum Thema<br />
Die Karriere eines fast jeden Journalisten<br />
beginnt mit einem herben Rückschlag.<br />
Mit der Erkenntnis nämlich, dass sich<br />
das Vorhaben, der Menschheit nun<br />
endlich die Wahrheit zu bringen, so gut<br />
wie nicht umsetzen lässt. Selbst wenn es<br />
DIE Wahrheit gäbe, hätte der angehende<br />
Journalist seine liebe Not damit, sie in<br />
einen griffigen Artikel zu packen.<br />
Alles fängt also eine Nummer kleiner an.<br />
Mit der Aneignung des grundlegenden<br />
Handwerkszeugs etwa. Wie funktioniert<br />
Recherche? Mit welchen Techniken und<br />
Tricks erziele ich beim Interview die<br />
besten Ergebnisse? Was zeichnet eine<br />
gute Reportage aus? Welchen formalen<br />
Ansprüchen muss ein journalistischer<br />
Text genügen?<br />
Nebenbei macht man sich schon mal<br />
Gedanken über die Themen, die man<br />
zum Gegenstand der Berichterstattung<br />
<strong>machen</strong> könnte. Spätestens hier folgt die<br />
zweite, vielleicht viel überraschendere<br />
Erkenntnis: Fast alles taugt zum Thema.<br />
Man muss es nur unter der entsprechenden<br />
Fragestellung betrachten und in<br />
der entsprechenden Weise verpacken.<br />
Die eigene Welt, der eigene Alltag<br />
steckt voller Geschichten und Themen:<br />
Freunde, die etwas Besonderes <strong>machen</strong>,<br />
außergewöhnliche Reisen, die typischen<br />
Verhaltensweisen und Vorlieben der<br />
Altersgenossen... Wer einmal entdeckt<br />
hat, wie unerschöpflich der Fundus<br />
schon im eigenen Umkreis ist, kommt<br />
aus dem Schreiben nicht mehr heraus.<br />
Die ganz großen Fragen muss man<br />
dabei ja nicht unbedingt aus den Augen<br />
verlieren.<br />
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Journalistisches Schreiben bewegt sich<br />
immer im Spannungsfeld zwischen<br />
Möglichkeit und Begrenzung. Der Rahmen,<br />
in dem der Autor (oder Reporter)<br />
arbeitet, besteht aus der wie auch immer<br />
gearteten Realität, über die er berichtet,<br />
sowie dem Medium, für das er schreibt.<br />
So weit, so begrenzt. Innerhalb dieses<br />
Raumes herrscht jedoch meist noch<br />
genügend Freiheit, um ein eigenes<br />
Profil, einen individuellen Stil entwickeln<br />
zu können.<br />
Die Reportage-Werkstatt versucht, die<br />
Teilnehmer auf der Suche nach ihrem<br />
Profil zu unterstützen. Dazu gehört<br />
natürlich eine Portion Theorie, die eigentliche<br />
Arbeit findet jedoch an den entstandenen<br />
Texten statt. Nur in der Praxis<br />
kann man schließlich erkennen, wo die<br />
eigenen Interessen und Stärken liegen.<br />
Besonders erfreulich ist, dass der Workshop<br />
im zurückliegenden Semester nicht<br />
mehr nur ein Ort für Trockenübungen<br />
war, sondern den Charakter einer wirklichen<br />
Redaktion angenommen hat. Zu<br />
verdanken ist das der Zusammenarbeit<br />
mit der Baden-Württemberg-Ausgabe<br />
der Russischsprachigen Monatszeitung<br />
Izvestia. Von Mai an gestalteten die<br />
Schüler der Reportage-Werkstatt jeweils<br />
eine oder zwei Seiten der Zeitung mit<br />
ihren Artikeln und ihren Themen, auf<br />
Deutsch und teilweise auch auf Russisch.<br />
Eine einmalige und gute Chance für<br />
junge Journalisten, sich zu bewähren.<br />
Es gibt eben nicht nur herbe Rückschläge,<br />
sondern manchmal auch große<br />
Sprünge nach vorn.<br />
Tilman Rau, Werkstattleiter