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Literatur machen

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Larissa Bellina<br />

Zwischen uns das Leben<br />

Die langen Beine unter die Tischplatte<br />

aus Plastik gequetscht, thronten wir über<br />

dem Hinterhof – zwei Eiserne Jungfrauen<br />

– und nippten an billigem Roten. Ihr<br />

noch feuchtes Haar durchsetzte die Luft<br />

mit Eukalyptusaroma. Erschöpft klebten<br />

müde gewaschene Strähnen an ihrer hellen<br />

Kopfhaut, ruhten sich schwarze Haarspitzen<br />

auf dem baumwollenen Stück<br />

Stoff aus, das ihre knochigen Schultern<br />

verdeckte. Verstohlen beobachtete ich,<br />

wie ihre stecknadelkopfgroßen Pupillen<br />

sich Fluchtwege bahnten, über den rissigen<br />

Rost des Balkongeländers hin zu den<br />

vereinzelten Wolkentupfern am Himmel.<br />

Zwei Etagen tiefer wurden gemästete<br />

Mülltonnen über Kopfsteinpflaster zum<br />

Müllwagen gerüttelt. Kotzten dort, eine<br />

nach der anderen, ihre Innereien heraus<br />

und ließen sich mit ekelhaft leeren Mägen<br />

zurückschleifen, begleitet vom von<br />

den Hofwänden emporgeschleudertem,<br />

dumpfen Poltern. Plötzlich das Telefon!<br />

Schrilles Aufbegehren. Bis auf ein nervöses<br />

Zucken des linken Mundwinkels<br />

ignorierte sie es regungslos. Mit dem<br />

vierten Klingeln stand ich auf, sah im Vorbeigehen<br />

wie ihre Hand sich erhob, innehielt<br />

und mit erschlafften Fingern zurückkehrte<br />

an den Bauch ihres lippenstiftgeküssten<br />

Glases. In der Mitte des sechsten<br />

Klingeins hob ich den Hörer und<br />

drückte sanft die Telefongabel nieder.<br />

Als ich ihr die mit Leitungswasser gefüllte<br />

Mehrwegflasche reichte, stellte ich zu<br />

meiner Erleichterung fest, dass die metallenen<br />

Kiefer des Müllwagens bereits in<br />

einiger Entfernung malmten. Als<br />

Schulkind war ich den grellorange belatz-<br />

06<br />

14<br />

hosten Männern gerne ein Stück weit<br />

gefolgt. Eines Tages lief ein Junge aus<br />

meiner Klasse mir dabei hinterher. Ich<br />

hatte ihn nicht bemerkt, bis er mit mir auf<br />

gleicher Höhe war. Höhnisch grinste er<br />

mich an und sagte gerade laut genug,<br />

dass es gegen den Lärm ankam: „Das<br />

nächste Mal stecken wir dich da rein!“<br />

Grässlich lachend rannte er fort, ließ mich<br />

stehen, während die Welt vor meinen<br />

ängstlichen Augen verschwomm und ich<br />

mich um Hilfe schreiend an den<br />

Innenwänden einer stinkenden Tonne<br />

kratzen sah, übertönt vom Getöse der<br />

Maschinerie.<br />

Fassungslos stierte ich auf die rotbraune<br />

Flüssigkeit, die in kleinen Rinnsalen zu<br />

beiden Seiten des Müllautos hinunterlief<br />

und rannte los. Die zu Boden getropfte<br />

Blutspur des Wagens entlang, in dieselbe<br />

Richtung, aus der ich gekommen war.<br />

Der Schatten eines Vogels huschte über<br />

das von Hausdächern umrahmte Stück<br />

Himmel, aktivierte irgendwo über unseren<br />

Köpfen wildes Durcheinanderkreischen<br />

winziger Vogelkelchen. Ihre<br />

schmalen Lippen, so oft nur jener harte<br />

blutleere Strich über einem spitzen Kinn,<br />

entspannten sich ein wenig und erlaubten<br />

ihren Mundwinkeln den scheuen<br />

Blick nach oben. Manchmal hatte ich<br />

mich abends vor dem Schlafengehen im<br />

Badezimmerspiegel betrachtet und nach<br />

den Spuren meines Vaters hinter dem<br />

Abbild meiner Mutter gesucht. Im<br />

Nachthemd, auf den Zehenspitzen stehend,<br />

hatte ich ihre Mimiken kopiert,<br />

mich auf der Zahnbürste kauend gefragt,<br />

ob auch er aus arktisblauen Augen zu mir<br />

herabgeblickt hätte, bevor ich zusammen<br />

mit Zahnpastaschaum und Essensresten<br />

jedes Wort seiner Existenz aus<br />

meinem Mund den Abfluss hinabspülte.<br />

Sie verschwand nach drinnen, während<br />

mein Blick den Himmelsquader nach<br />

Wolken abtastete. Zu der Zeit, als ich mit<br />

ihr in dieser Wohnung gelebt hatte, stand<br />

auf dem<br />

Balkon ein Hocker. Kein Tisch, keine<br />

Stühle. Ein Hocker. Auf dem ich saß und<br />

Wolken zählte und sie über unser<br />

Zuhause wachsam sein ließ: mächtige<br />

Drachen, die ihren Feueratem über die<br />

Stadt spien, sich unaufhörlich wandelnde<br />

Hexenmeister, deren fremdländische<br />

Zaubersprüche mich in einer magischen<br />

Glashülle bargen.<br />

Die Wolken waren verschwunden. Ich<br />

fischte nach den Gläsern und trug sie<br />

zur Spüle. Als mein Finger behutsam<br />

ihre Lippenstiftreste ins Wasser schob,<br />

spuckte der Wasserhahn noch immer<br />

einen Strahl kochend heißer Worte aus,<br />

deren Dampf aus dem Becken emporstieg.<br />

Die rötlich schimmernden Glasbauchschiffe<br />

wankten zwischen den<br />

Seifenschlieren dahin, bis meine Hände<br />

sie vorsichtig in die Tiefe drückten. Mir<br />

war, als hörte ich die Toilettenspülung<br />

und drehte dem Wasserhahn den Atem<br />

ab. Draußen schrieen die Vogelkinder<br />

gierig nach ihrer Mutter, während gelbgerauchte<br />

Filterkörper, vom Schoße des<br />

Aschenbechers gestoßen, ihre Aschewolke<br />

durchfielen und verstimmt ins<br />

Plastik des Müllbeutels flatschten. Ich<br />

behielt den Aschenbecher gleich in der<br />

Hand und drehte nachdenklich die<br />

Aschefetzen meiner Mentholzigarette<br />

hinein. Früher hatte mir meine Mutter ab<br />

und zu Schokoladenzigaretten aus dem<br />

kleinen Laden an der Ecke mitgebracht.<br />

Wahrscheinlich, damit ich nicht auf die<br />

dumme Idee kam, mir heimlich welche<br />

aus ihrer Schachtel zu nehmen. Auf<br />

dem Hocker sitzend, hatte ich sie damit<br />

nachgeahmt, unsichtbare Schokoladen-<br />

rauchwolken durch wie zu einem<br />

Kussmund gespitzte Lippen in die Welt<br />

hinausgeschickt. Später dann hatte ich<br />

es doch gewagt und ihrer Schachtel<br />

ein ums andere Mal die Einwohner entzogen.<br />

Ich trieb die grauen Nebelschwaden über<br />

den Geländerrost. Hörte gedämpft das<br />

Toilettenwasser rauschen und wunderte<br />

mich, wo sie blieb. Unersättlich fraß sich<br />

die Glut mittlerweile in die winzigen<br />

Schriftzeichen am Kopfende des Filters,<br />

bis ich den ausgedienten Stummel in die<br />

offenen Arme des Aschenbechers presste.<br />

Es schien merkwürdig ruhig. Das<br />

Kreischen der Vogelkinder begleitete<br />

mich nach drinnen und entnervt stellte<br />

ich ihren Stimmen das unüberwindbare<br />

Glas der Balkontüre in den Weg. Hinter<br />

dem blau gestrichenen Holz der Badezimmertüre<br />

füllte der Wassertank polternd<br />

nach. Ich klopfte leise. Einmal.<br />

Zweimal. Drückte die Klinke und erwartete<br />

Widerstand. Im nächsten Moment<br />

schon stand ich hinter ihr, umgeben vom<br />

Wellenmuster der Wandfliesen. Sie saß<br />

mit dem Rücken zu mir vor der Toilette,<br />

das Kinn auf die Knie gestützt. Um sie<br />

herum zahllose Schnipsel, nein, Zeitungsartikel.<br />

Ich tat einen wackeligen Schritt<br />

neben sie.<br />

„Ma-“, glaubte ich zu sagen. Doch ich<br />

hörte es nicht. Nur das Knacken meiner<br />

Gelenke, als ich neben sie kniete. Ohne<br />

hinzusehen, langte sie nach einem der<br />

Zeitungsartikel, ließ ihn unter teilnahmslosem<br />

Blick durch die Klobrille ins Wasser<br />

flattern und zog die Spülstrippe. Die<br />

Ahnung eines traurigen Lächelns lag auf<br />

ihren Zügen, als wir gemeinsam zusahen,<br />

wie eine Nachricht um die andere im<br />

Strudel verschwand…<br />

06<br />

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