Literatur machen
Literatur machen
Literatur machen
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Galyna Iwasjuk<br />
Was heißt Freundschaft?<br />
Foto: Ana Capsâzu<br />
Meine Freunde! Gibt's aber Freunde?<br />
(Aristoteles)<br />
Wenn man sich dieses Bild ansieht, so lächeln einander drei<br />
richtige Freundinnen zu. Diese Mädchen denken vielleicht, dass<br />
sie wirklich Freunde sind. Ich möchte daran gerne glauben.<br />
Trotzdem lässt sich an diesem Lächeln keine Treue, keine richtige<br />
Hingabe, sondern etwas Egoismus sehen. Sie beziehen alles auf<br />
ihr eigenes „Ich“. Jede ist die Beste, die Klügste, die Schönste in<br />
ihrer Familie. Und kann das alles in einer engen Freundschaft<br />
zusammenfallen? Was mich betrifft, habe ich noch niemals<br />
Freundschaft gesehen. In unserem Alter ist das einfach eine<br />
interessante Freizeitverbringung oder Protest gegen die Eltern,<br />
und wenn die Menschen älter sind, ist es meistens Heuchelei.<br />
Was ist dann Freundschaft? Vielleicht gibt es einfach keine<br />
Freundschaft? Vielleicht haben sie sich Schriftsteller und Dichter<br />
ausgedacht, damit das Leben nicht so grau aussieht?<br />
Lachen sie einander so ehrlich, um später zu verraten?<br />
Oder wenn es keine Freundschaft gibt, gibt es auch keinen Verrat?<br />
Wie dem auch sei, ich habe Freunde. Und was später wird, werden<br />
wir mal sehen, was Freundschaft heißt.<br />
Oksana Nakonentschna Jeder kommende Tag gleicht dem gestrigen. Ich warte mit<br />
Ungeduld auf etwas Neues, doch mit jedem Sonnenuntergang<br />
mache ich immer wieder die Entdeckung, dass alle meine<br />
Erwartungen sinnlos und vergeblich sind. Jeden Tag galoppiere<br />
ich durch die ganze Umgebung, esse frisches Gras und lasse mich<br />
bald von den Sonnenstrahlen, bald von Regentropfen berühren.<br />
Ich mag keinen Winter, weil das Gras seinen Geschmack verliert<br />
und mir die Sonne viel seltener ihre Wärme schenkt.<br />
Die Sonnenstrahlen sind viel kürzer und reichen nicht bis zur Erde.<br />
Alles ist mit einem weißen Teppich bedeckt und sogar der Abdruck<br />
jedes Lebe- und Nichtlebewesens ist weg. Man muss nur abwarten,<br />
bis die dicken Wolken der Sonne ihre Freiheit wiedergeben.<br />
Foto: Gregorii Cebanov<br />
Und dann fange ich wieder an, mich nicht so einsam und von der<br />
ganzen Welt verlassen zu fühlen, da mir ständig jemand auf dem<br />
Fuße folgt und wie kein anderer so nahe an mich herankommen<br />
kann. Das ist das Treuste was ich jemals besaß und was immer<br />
vertraut war. Ich kann zu beliebiger Zeit mit ihm reden, doch leider<br />
keine Antwort bekommen. Er ist genau so wie ich bin. Bald froh,<br />
bald traurig. Bald schnell, bald langsam. Bald satt, bald hungrig.<br />
Nicht immer, aber immer öfter.<br />
06<br />
78<br />
Mischa Kiliar<br />
Foto: Emilia Gutuleac<br />
06<br />
79<br />
Es war ein hübsches Wetter. Er war im Kindergarten. Die Kinder<br />
summten wie Bienen. Kleine, komische Gesichter... Hier. Dort. Und<br />
er fühlte sich natürlich wohl in so einer sogenannten Kinderclique.<br />
Morgen hatte er Geburtstag. „Oh“, dachte er, „ich bin schon groß<br />
genug geworden und die Mutti hat mir versprochen, ein Fahrrad<br />
zu kaufen. Also morgen! Ich freue mich wie ein Schneekönig!“<br />
So dachte er und stand am Fenster.<br />
„Zum Tisch, zum Tisch!“, schrie die Erzieherin und riss ihn damit<br />
aus seinen tollen Gedanken. Es war schon dunkel, aber niemand<br />
kam, um ihn vom Kindergarten abzuholen. „Merkwürdig“, dachte<br />
er und das Kinderherz war voller Angst...<br />
Tageszeitung<br />
... Heute früh in der Brückenstraße 11 wurde eine<br />
tote Frau gefunden, getötet von ihrem Mann<br />
mit zehn Messerstichen in der Brust.<br />
Es war ein hübsches Wetter. Er stand am Fenster in der Küche,<br />
wo ihm sein Mütterchen jeden Morgen Frühstück zubereitete.<br />
Das Glas in der Tür war weg. Auf dem Boden – Blut. Im Haus<br />
waren so viele Leute. Er fühlte sich aber allein. Auf der Straße<br />
fuhren die Kinder mit den Fahrrädern. Er dachte ans Fahrrad<br />
nicht mehr. Er war schon sechs Jahre alt. Er war groß genug<br />
geworden...groß genug, um in der Welt allein zu bleiben...<br />
Es war ein hübsches Wetter. Er stand am Fenster. Die Kinder<br />
summten wie Bienen. Morgen hat er Geburtstag. Er ist schon<br />
sieben Jahre alt. Im Kinderherzen glimmt die Hoffnung, ein<br />
beliebiges Geschenk zum Geburtstag zu bekommen. Es waren<br />
so viele Kinder draußen im Garten. Aber er wollte lieber allein am<br />
Fenster bleiben, obwohl es ein hübsches Wetter war. Ein hübsches<br />
Wetter hinter dem Fenster des Kindergartens für die Waisen...