Literatur machen
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Neulich abends sitz ich mit einigen Freunden auf einer Hollywoodschaukel vor<br />
unserer meistgemochten Kneipe. Wir unterhalten uns über dies und jenes, den<br />
verlebten Tag und dazwischen auch über Musik, die uns wichtig ist.<br />
Musik ist ein sehr weitgefächerter Begriff, sehr komplex und mitunter auch ausschlaggebend,<br />
was Freundschaften angeht.<br />
Eine gute Platte kann einen mitreißen, wie ein gutes Buch oder ein spannender Film.<br />
Und man kann sich damit identifizieren, wie mit dem Protagonisten in diesem guten<br />
Buch oder diesem guten Film.<br />
Im Hiphop ist das Ganze noch einmal intensiver, da sich diese Subkultur auch aus dem<br />
Wunsch heraus endlich mal etwas zum Identifizieren zu haben entwickelt hat.<br />
Damals, in den sechziger Jahren, als die Stadtväter New Yorks auf die Idee kamen<br />
eine Autobahn durch das bis dahin noch sozial intakte Viertel mit dem heute so<br />
weltbekannten Namen „Bronx“ zu ziehen.<br />
Nachdem diese gebaut war, zog, wer konnte, weg. Der Rest, besonders die Jungen<br />
dort hatten nicht wirklich Lust sich mit dieser Autobahn zu identifizieren.<br />
So entwickelten sie Eigensinn, trugen Ihre Trainingsanzüge mit dem Stolz und der<br />
Genugtuung, den man sonst von den Gesichtern derer kennt, die mit Ihrer Kleidung<br />
auch ihren hohen Status zum Ausdruck bringen und waren sich damals bestimmt<br />
nicht bewusst, dass diese Mode heute wieder für viele unbezahlbar geworden ist.<br />
Allerdings nicht für den Typen, der links von uns, auch auf einer der Hollywoodschaukeln<br />
vor unserer meistgemochten Kneipe sitzt, und das Gespräch sucht, nachdem<br />
er mitbekommt, dass wir was mit Rap zu tun haben.<br />
Er ist von oben bis unten Hiphop, zumindest von den Kleiderlabels.<br />
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Bevor ich noch Gelegenheit habe, mich zu gruseln, beginnt er<br />
eine Debatte über Hiphop, seine Ansichten, die Entstehung,<br />
den Style und all so Schwachsinn.<br />
Dummerweise weiß er nicht wirklich, was er da erzählt und<br />
gerät recht schnell ins Schleudern, das ist aber nicht ungewöhnlich,<br />
den in Deutschland wird in Sachen Rap zwar viel<br />
von den Wurzeln geredet, aber die wenigsten haben sich je die<br />
Zeit genommen, sich schlau oder gar Gedanken zu <strong>machen</strong>.<br />
Denn als diese Hiphop-Geschichte zu uns rüber schwappte,<br />
so etwa vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren, da ist man<br />
noch aufgefallen mit den Hosen unterm Allerwertesten, mit<br />
Sneakern, die damals noch Sportschuhe hießen.<br />
Die Jugendlichen, die mit Hiphop zu tun hatten, lebten nach<br />
dem Grundsatz, dass man aus dem, was man hat, das Beste<br />
macht, es rekombiniert und sich darüber reflektiert und<br />
repräsentiert. Man wollte Auffallen und das hatte damals noch<br />
nicht so viel mit Kaufkraft zu tun wie heute, sondern mit<br />
Kreativität und selbst erschaffenen Traditionen.<br />
Wenn man versucht, die damaligen Impulse bis zum heutigen<br />
Konsum- und Merchandisepaket zu verfolgen, so bemerkt man,<br />
dass die Situation, wie sie heute ist der Idee der Jugendlichen<br />
aus der Bronx von damals massiv wiederspricht. Denn heute<br />
sind die Trainingsanzüge teuer genug, um als echtes Statussymbol<br />
durch zu gehen und damals trug man sie mit diesem<br />
Stolz, der sagen sollte „Alter ich bin so cool und brauche nicht<br />
mal Geld dazu.“ So ändern sich die Zeiten und die alten Ideale<br />
<strong>machen</strong> Platz für ihr verklärtes Bild in Hochglanzmagazinen.<br />
Aber das alles nun diesem Kerl eine Hollywoodschaukel<br />
weiter zu erläutern, ist ebenso schwierig und ermüdend wie<br />
weiter guten Mutes gegen dieses Windmühlenheer von<br />
verkaufskräftigen Vermarktungshüllen mit dem Etikett „Rap“<br />
an zu kämpfen.<br />
Abgesehen davon kann er recht wenig für seine Sicht der<br />
Dinge, da es ihm so Tag für Tag medial vorgelebt wird.<br />
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In der <strong>Literatur</strong> ist es ja ähnlich. Bohlens intime Obszönitäten<br />
verkauften sich auch häufiger als die Gedichtbände von Erich<br />
Fried beispielsweise.<br />
Und dann eine Rap-Werkstatt zu leiten, in der man sich selbst<br />
gar nicht so sicher ist, ob einem das Ganze nicht zu nahe geht,<br />
ob man die Teilnehmer nicht etwas zu sehr zu beeinflussen<br />
versucht, ob Rap nicht doch zum größten Teil Dummgeschwätz<br />
ist, das ist mitunter gar nicht so einfach und führt einen oft<br />
an seine ideologischen Grenzen.<br />
Gerade, wenn man davon zu leben versucht, seinen Weg<br />
sucht wie Don Quichotte zwischen den Windmühlen, aber<br />
doch weiß, das dieser Weg kein Vorbild sein kann für den<br />
Großteil der Teilnehmer der Rapschmiede.<br />
Aber gerade um die geht es, und sie gewähren einem<br />
tiefen Einblick in das eigene Chaos, sind zwischen den<br />
Zeilen immer ehrlich und führen mich mit ihren Fragen oft<br />
genug aufs Glatteis.<br />
Zu Rap und Hiphop gehört auch darüber zu streiten, argumentieren<br />
zu lernen und die Ernsthaftigkeit zu begreifen, die<br />
mitschwingt, auch wenn man sie nicht immer auf den ersten<br />
Blick erkennen kann. Sich mit sich selbst und der Umwelt,<br />
dem was man hat, auseinander zu setzen, um es neu zu<br />
kombinieren. Eigentlich eine urnatürliche Sache.<br />
Tobias Borke, Werkstattleiter