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202 Annegret Middeke<br />

an der Peripherie“ steht, ausgespart (ebd., 65). Der Ich-Erzähler selbst ist es, der,<br />

nicht mehr träumend, beschreibt, wie Bulgarien sich den Fremden, die – wie einst<br />

Alexander Preis – mit dem Orient-Express nach Istanbul fahren, präsentiert:<br />

Бях прочел, че под прозорците висели опънати върлините за прането на<br />

живеещите тук със семействата си чиновници от железницата. Чужденците<br />

се забаляавали от Ориент-експреса да заничат по развяващите се долни гащи<br />

от най-различен калибър. (Vgl. Златанов 1992, 63)<br />

Dieses Bild knüpft an eine Szene aus Aleko Konstantinovs (1863-1897) Roman<br />

Бай Ганьо (Baj Ganjo) an, der, weil er die wichtigsten nationalen Symbole und<br />

traditionellen patriotischen Werte in Frage stellt, bis heute als das provokativste<br />

Werk der bulgarischen Literatur gilt. Dort fährt eine Gruppe von Bulgaren, stolz,<br />

in einem eigenen – bulgarischen – Zug zu sitzen, auf eine Ausstellung nach Prag:<br />

Нека да видят, казвахме си, европейците, че Българя не спи. Но най-вече се<br />

надувахме с новата, с модерната конструкция и с чистотата на вагоните.<br />

(Константинов 1971, 39)<br />

Doch was passiert bereits am zweiten Tag mit den schönen sauberen Waggons?<br />

(. . . ) клозетите бяха се превърнали и в перачници (. . . ), а коридорите на<br />

вагоните се превърнаха в сущилници за това пране: проточиха въжета и<br />

простряха не дотам изпраните гащички; те заменяваха флаговете, с които<br />

трябваще да украсим нащия трен; вместо трикольор – бяло, зелено и червено<br />

– у нас лъщяха на слънцето множество двукольори – бяло и жълто. (Ebd.,<br />

45)<br />

In beiden Romanen ergeben sich die negativen Eigenbilder aus dem Kontrast zum<br />

Fremdbild, dem Bild des aufgeklärten, zivilisierten und fortschrittlichen Europa,<br />

unterscheiden sich aber darin, dass es in Бай Ганьо eine narrative Instanz<br />

gibt, welche die Aufgabe der Scham und der ‚Bereinigung‘ des nationalen Makels<br />

übernimmt, wohingegen in Храмови сънища der Ich-Erzähler unbeteiligt,<br />

geradezu gleichgültig erscheint, was wieder auf das von Pentschev beschriebene<br />

poetologische Konzept der „Kritik der ‚großen Narrative‘“ (Pentschev 1999, 123)<br />

jener desillusionierten Dichter zurückzuführen ist, welche die Dichterin Miglena<br />

Nikolčina so treffend „die unterschlagene Generation der 80er Jahre“ nennt. (S.<br />

Gospodinov 1999, 33)<br />

Ins innere Plovdiv reisen<br />

Die Formulierung ist Fornoff (2006) entliehen, der in seinem Aufsatz Ins innere<br />

Bulgarien reisen sich auf psychoanalytischem Weg dem Fremden nähert und es in<br />

Anlehnung an Freud und Kristeva nicht als das Unbekannte, sondern als das fremd<br />

gewordene Bekannte, das verdrängte Eigene beschreibt. Plovdiv ist für Dimčo<br />

Debeljanov (1887-1916), der seine Kindheit dort verbracht hat, keineswegs ein<br />

unbekannter Ort, aber einer, den er aus seinem Gedächtnis verdrängen will – und<br />

nicht kann. In seinem Sonett Пловдив (Plovdiv), einem während eines Kurzbesuchs<br />

1910 entstandenen Kasualgedicht, erinnert er sich an die unglücklichen Kindertage

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