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Bolesław Prus über Preußen und Deutschland 223<br />

in der gesamten Zeit ihrer nicht immer harmonischen Koexistenz. Die Gegenüberstellung<br />

der nachahmungswürdigen deutschen Tugenden und der negativen<br />

Eigenschaften des polnischen Nationalcharakters war ein wiederkehrendes Element<br />

in den Bilanzen sowohl von polnischen Kritikern der eigenen Mentalität als auch<br />

von Außenstehenden. Schon im 18. Jahrhundert kamen negative Vorstellungen<br />

von Deutschen über die Polen in Umlauf: Die Polen wurden als „halbbarbarisches“<br />

Volk bezeichnet und der Zügellosigkeit und moralischen Verdorbenheit bezichtigt.<br />

Neben ausgesprochen dunklen Bildern tauchten in der deutschen Geschichtsschreibung<br />

aber auch Aussagen auf, die die Vaterlandlandsliebe und den Mut der Polen<br />

rühmten. Heinrich Sybel schrieb den Polen Mut sowie ein ausgeprägtes Gefühl der<br />

eigenen Würde zu; zugleich jedoch hob er ihre übermäßige Emotionalität und ihren<br />

Hang zu geistiger wie sinnlicher Wollust hervor. Die Zeiten der Polen-Begeisterung,<br />

da der edle und ritterliche Pole die deutschen Vorstellungen beherrschte, gingen<br />

langsam dem Ende zu – um so unaufhaltsamer, je weiter der November-Aufstand<br />

in die Vergangenheit rückte. Wenn die Deutschen sich nach dem Jahr 1871 mit<br />

der polnischen Nation verglichen, bedienten sie sich eines Sets von charakteristischen<br />

Gegensatzpaaren. Auf der einen Seite standen Zuschreibungen des Typs:<br />

Sittlichkeit, Disziplin, eine hohe Kultur, eine humanistisch geprägte Zivilisation,<br />

begründeter Stolz, Stärke, Fleiß; auf der anderen Seite fanden sich, mit Blick<br />

auf die Polen, die negativen Entsprechungen: sittlicher Verfall, Anarchie, niedere<br />

Kultur, Barbarei, Armut, Schmutz, Zerstrittenheit. Dieses sich langsam verdunkelnde<br />

Bild, das am Ende zu einem vollkommen negativen wurde, rührte aus der<br />

Fokussierung auf die problematischen Seiten des polnischen Charakters. Ähnlicher<br />

Gegensatzpaare bediente sich Prus, der in seinen Kroniki bis zuletzt die positiven<br />

Eigenschaften der Deutschen rühmte und darin ausgesprochen konsequent war.<br />

Dementsprechend stimmte er schon im Jahr 1874 dem Verfasser eines Artikels<br />

zu, der in der Zeitschrift der russischen Liberalen, Vestnik Evropy, den deutschen<br />

Unternehmergeist lobte. Prus bemühte sich zwar um Aufhellung des dunklen<br />

Bildes, das der Publizist des Vestnik von den Polen entworfen hatte; in seinen<br />

späteren Feuilletons lieferte er jedoch eine ähnliche Charakteristik. Dabei ging<br />

es ihm weniger um die Brandmarkung der polnischen Schwächen als um das<br />

erzieherische Anliegen, die Vorzüge aufzuzeigen, an denen es dem polnischen Volk<br />

mangelte und die es von den Deutschen lernen könnte. Wenn er die „ziellose Verausgabung<br />

von Muskel- und Geisteskraft für nichts“ (Kroniki, Bd. 13, S. 28) geißelte,<br />

wenn er über die mangelnde Sparsamkeit, die Fixierung auf Äußerlichkeiten wie<br />

Kleidung spottete, dann gab er nebenbei denen Recht, die das polnische Volk<br />

auf ebensolche Weise wahrnahmen. Fasziniert von den Erfolgen der Deutschen,<br />

suchte er deren Geheimnis aufzudecken, das für ihn in guter Wirtschaftsführung,<br />

Bildung und ökonomischem Talent lag. Von den entgegengesetzten Eigenschaften<br />

war sein wenig lichtes Bild des Polen gekennzeichnet. Die wichtigsten Fragen<br />

fielen im November 1883 und lauteten: „Was sind die Deutschen und was sind<br />

die Polen?“ Ohne Ironie schrieb Prus über die Deutschen: „Sie sind ein großes<br />

Volk, einer der Anführer der Zivilisation. Dieses Volk ist fleißig, sparsam, ruhig,

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