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MAGAZIN 18./19. Mai 2013 / Nr. 20<br />

Alle Etappen des Jakobswegs:<br />

GLAUBE<br />

Eine realistische Lebenskunst<br />

Pater Ludger Schulte: vom Selbst-Machen zum Gewähren-Lassen<br />

Kapuzinerpater Ludger Schulte<br />

beschäftigt sich in seinem Buch<br />

„Weil Leben mehr als machen ist“<br />

mit den Grenzen, an die menschliches<br />

Handeln stößt. Dabei öffnet<br />

er den Blick für die Kraft des Glaubens.<br />

Schulte lehrt an der Philosophisch-Theologischen<br />

Hochschule<br />

der Kapuziner in Münster.<br />

Pater Ludger, in Ihrem Buch empfehlen<br />

Sie, die gängige Entwicklung<br />

dieser Zeit, alles selbst realisieren<br />

zu wollen, die „Machermentalität“,<br />

in Frage zu stellen. Was veranlasst<br />

Sie dazu?<br />

Glaube sucht immer Anschluss<br />

zum Leben. Und viele Menschen<br />

machen sich im Leben etwas vor.<br />

Sie legen sich Karriere, Familie und<br />

Altwerden zurecht als ein Konstruieren<br />

und Dekonstruieren, das allein<br />

von ihnen ausgeht. Sie wollen alles<br />

händeln und machen dabei die Erfahrung,<br />

viel davon tatsächlich selbst<br />

meistern zu können. Letztlich aber<br />

bleibt es eine Illusion, zu meinen,<br />

dass alles von einem selbst ausgeht<br />

und geregelt werden kann. Das Buch<br />

soll aufzeigen, wie man sich der Mühe<br />

unterziehen kann, zu erkennen, dass<br />

man Leben nicht einfach so für sich<br />

organisieren kann. Gerade aus dieser<br />

ernüchternden Einsicht erwächst eine<br />

heute oft so angepriesene, realistische<br />

Lebenskunst.<br />

Kann man das als Warnung vor<br />

dem persönlichen Zusammenbruch<br />

verstehen?<br />

Ich will die Menschen nicht aufscheuchen<br />

und sie vor einem „falschen<br />

Blick“ warnen. Denn das Leben<br />

selbst scheucht sie schon genug<br />

auf. Und wenn sie ehrlich sind, dann<br />

merken sie das selbst in vielen Momenten<br />

der Erschöpfung und der<br />

Hilflosigkeit. Natürlich hat jeder das<br />

Recht, seine Form des Lebens zu finden,<br />

die ihn trägt. Und er muss das<br />

auch nicht ständig in Frage stellen.<br />

Was dabei aber grundsätzlich nicht<br />

verloren gehen darf, ist die Offenheit<br />

für mehr als die eigenen Konstrukte.<br />

Ich kenne aus der geistlichen Begleitung<br />

vieler Menschen diese Schnittstelle,<br />

an der man wechseln muss:<br />

von dem eigenen Machen zum Gewähren-Lassen.<br />

Kann das jeder?<br />

Es soll sich nicht eine Elite-Abteilung<br />

religiöser Art entwickeln. Als<br />

eine Art Rangliste, wer es am besten<br />

schafft, innezuhalten, wem es gelingt,<br />

Innehalten und offen sein für eine neue Energie: Pilgerpause bei Santiago de Compostela.<br />

noch ein spirituelles Brikett nachzulegen.<br />

Es gibt ja durchaus Phasen im<br />

Leben, wo es in Ordnung ist, diesen<br />

Schritt zunächst hintan zu stellen.<br />

Aber die Bereitschaft, sich auf den<br />

Weg zu machen, wenn es dafür Zeit<br />

ist, muss vorhanden sein. Es gibt immer<br />

Einbrüche. Man sollte sie wahrnehmen<br />

können und daraus eine<br />

Bewegung entwickeln, die einem die<br />

Chance gibt, nicht alles selbst stemmen<br />

zu müssen. Dafür muss man<br />

zulassen, dass es eine Größe gibt, die<br />

ohne das eigene Zutun wirkt. Auch<br />

dabei geht es mir nicht um Perfektionierung.<br />

Die Frage ist nicht, wie<br />

weit ich den Raum für Gott öffne,<br />

sondern dass ich ihn öffne.<br />

Wie wird diese Größe erlebt?<br />

Es kommt ein Wort ins Spiel, das<br />

auch vielen Christen völlig entglitten<br />

zu sein scheint: die Gnade. Sie ist wie<br />

ein großer Versprechens-Überschuss.<br />

Eine Größe, mit der sich alles wandeln<br />

kann, weil es andere Vorzeichen<br />

bekommt. Das Leben ist fast immer<br />

davon abhängig, dass mir jemand die<br />

Hand hält, ohne dass ich ihn dafür<br />

entlohnen muss. Für einen Freund<br />

tue ich etwas, ohne dafür eine Gegenleistung<br />

von ihm einzufordern.<br />

Die Freundschaft wäre sonst schnell<br />

beendet. In der Gnade Gottes finden<br />

wir genau diese Freundschaft wieder.<br />

Er gibt mir etwas, ohne dass ich etwas<br />

dafür machen muss. Mein eigenes<br />

Handeln ist nicht mehr ausschlaggebend.<br />

Das macht den Unterschied.<br />

Ein Unterschied, der vielen fremd<br />

ist. Kann er vor einer solchen Erfahrung<br />

abschrecken?<br />

Es kommt eine konkrete Verwiesenheit<br />

ins Spiel, die erschrecken<br />

kann, weil wir ein solches Rufzeichen<br />

nicht gern zulassen. Wir beten heute<br />

vielmehr das Fragezeichen an und<br />

lassen dabei so viel offen, wie es nur<br />

geht. Der, der alles offen lässt, hat<br />

vermeintlich<br />

die totale Freiheit,<br />

alles selbst zu gestalten.<br />

Es muss<br />

aber an dem<br />

Punkt konkret<br />

werden, an dem<br />

ich nicht mehr<br />

in der Lage bin,<br />

selbst zu gestalten.<br />

Das<br />

menschliche<br />

auch<br />

Pater Ludger Schulte.<br />

Leben ist letztlich sehr konkret. Da<br />

kann ich nicht unkonkret bleiben.<br />

Was genau kann Angst machen?<br />

Der Gang der Dinge ändert sich<br />

komplett, wenn einem das Leben als<br />

Gabe bewusst wird. Man meint, das<br />

Steuer aus den Händen zu verlieren.<br />

Man erkennt die eigene Ergänzungsbedürftigkeit.<br />

Der Weg von der Vorstellung<br />

des „Selbst-Produzenten“<br />

zum Geschöpf ist kein kleiner. Er<br />

macht uns bewusst, dass wir nur<br />

die kleinen „Schlenker“ des Lebens<br />

selbst fahren, die großen Richtungsänderungen<br />

aber von Gott kommen.<br />

Werden Glaubende heute nicht<br />

schnell zu Außenseitern?<br />

Mir scheint manchmal ein seltsamer<br />

Druck auf uns zu lasten, dass<br />

wir immer unbedingt dazugehören<br />

wollen, aber auch etwas Eigenes sein<br />

wollen. Wir wollen in der großen<br />

Suppe schwimmen und das Salz der<br />

Erde sein. Beides geht, dann sind wir<br />

Fotos: Bönte<br />

eben das Salz in der Suppe. Wir haben<br />

Profil und sind profiliert im Kontakt<br />

mit anderen. Dabei kann man<br />

durchaus komisch oder versponnen<br />

wirken. Eine gewisse Widerstandsfähigkeit<br />

ist sicher angesagt, damit<br />

der Geschmack am Leben bleibt.<br />

Haben die Menschen überhaupt<br />

noch ein Ohr dafür?<br />

Ja, weil sie an etwas erinnert werden<br />

wollen, das sie sich zutiefst wünschen<br />

– die Gnade Gottes. Ein Beispiel: Die<br />

Sehnsucht nach unerschütterlicher<br />

Treue ist riesengroß. Aber sie setzt so<br />

viel an Konsequenz und Disziplin voraus,<br />

dass es nur wenige schaffen, sie<br />

zu verwirklichen. Die Gabe der Treue<br />

jedoch erwächst aus viel mehr als<br />

unserem Können. Sie ist Frucht der<br />

Übergabe an Gott. Sie ist Ausdruck<br />

des Glaubens, der aus Gottes Treue<br />

schöpft. Die wenigen treuen Freaks<br />

erinnern viele an ihre Sehnsucht und<br />

machen diese lebendig.<br />

Ist das die zentrale Chance, Glauben<br />

heute zu positio nieren?<br />

Ja! Und deshalb muss man es auch<br />

mal aushalten, als Narr gesehen zu<br />

werden. Das war im Urchristentum<br />

nicht anders. Die Menschen erlebten,<br />

wie weit weg die Christen mit<br />

ihren Ideen vom Herkömmlichen<br />

waren, und entdeckten darin ihre eigenen<br />

Ängste und Hoffnungen. Das<br />

hat sich bis heute nicht erledigt und<br />

wird sich auch nie erledigen.<br />

Interview: Michael Bönte<br />

Hinweis:<br />

Ludger Schulte: Weil Leben mehr als<br />

machen ist. Patmos Verlag (ISBN: 978-<br />

3-8436-0321-8); 14.99 Euro.

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