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FORTSETZUNGSROMAN 18./19. Mai 2013 / Nr. 20<br />
ich kann das“, antwortete<br />
Ursula zögerlich<br />
auf die Frage, ob 20„Ja,<br />
sie Feuer machen kann. Dass Gernot<br />
ihr etwas dermaßen Wertvolles<br />
gab, verwirrte sie. Sie spürte, wie die<br />
vor einigen Momenten noch vermutete<br />
Ablehnung aller sich auflöste<br />
und in ihr ein warmes Gefühl entstand,<br />
das ihr gleichzeitig aber auch<br />
die Tränen in die Augen trieb.<br />
„Sei aber auf der Hut. Mach nicht<br />
viel Rauch und verdecke den Schein<br />
der Flammen bei Dunkelheit. Sonst<br />
lockst du dir Gesindel an, und das<br />
kann gefährlich sein. Denk immer<br />
daran, keine Flammen bei Nacht,<br />
keinen Rauch am Tag.“ Er schloss<br />
ihr die Hand um sein Geschenk,<br />
drückte diese noch einmal kurz und<br />
ging wieder.<br />
Ursula folgte ihm kurz darauf ins<br />
Haus und begab sich ungesehen auf<br />
ihr Lager. Leise weinte sie und bekam<br />
nun doch Angst vor dem, was<br />
kommen mochte. Die Dunkelheit<br />
um sie herum schien sich zu verdichten,<br />
doch dann drängten die<br />
Geräusche der anderen und der Tiere,<br />
das Knarzen eines Balken sie wieder<br />
zurück. Wo werde ich morgen<br />
Nacht liegen? Der Gedanke war<br />
mächtig, die Frage nicht zu beantworten.<br />
Nur die Hoffnung auf das<br />
Dorf gab etwas Trost. So kam dann<br />
doch noch der Schlaf über sie, und<br />
sie schreckte erst wieder auf, als Ingrid<br />
und Ute bereits wieder am<br />
Herdfeuer die allmorgendlichen Geräusche<br />
verursachten.<br />
Ursula stand auf und beteiligte<br />
sich wortlos an den gewohnten Ritualen.<br />
Niemand sprach ein Wort,<br />
auch nicht, als sie alle am Tisch ihren<br />
Brei löffelten und das Brot kauten.<br />
Ursula beeilte sich mit ihrem<br />
Essen und stand als erste auf, um ein<br />
letztes Mal die Kuh zu melken. Sie<br />
hatte den Milcheimer schon in der<br />
Hand, da rief die Bäuerin sie an.<br />
„Lass das. Es ist besser, du packst<br />
jetzt dein Bündel.“<br />
Ursula stellte den Eimer ab, und<br />
wie betäubt folgte sie der Anweisung.<br />
Bei ihrem Lager breitete sie ihr<br />
Tuch aus und legte ihre paar Habseligkeiten,<br />
das zweite Kleid und die<br />
aussortierten Kräuter und Tiegel hinein.<br />
Nachdem sie die Enden des<br />
Tuches verknotet hatte, sah sie sich<br />
noch einmal um. Im Hintergrund<br />
hörte sie Magda weinen.<br />
„Warum geht sie weg? Warum?<br />
Ich will nicht, dass Ursula geht.“<br />
Ursula stand da, lauschte, und die<br />
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie<br />
konnte sich nicht entschließen, den<br />
Verschlag, in dem sie so oft mit Ester<br />
zusammen gesessen war, zu verlassen.<br />
Magdas Heulen verebbte,<br />
und auf einmal wurde es ganz still<br />
im Haus. Ursula drehte sich erschrocken<br />
um. Alle waren nach draußen<br />
geschlichen, nur der Bauer saß noch<br />
Ursula muss den Hof verlassen.<br />
Keiner der Bewohner<br />
hat sich für sie eingesetzt<br />
und die junge Frau<br />
fühlt sich so verlassen<br />
wie nie zuvor. Doch in<br />
einem unbeobachteten<br />
Moment macht ihr der<br />
Knecht Gernot ein wertvolles<br />
Geschenk: ein Feu ereisen,<br />
einen Stein und ein<br />
Stück Zunderschwamm.<br />
am Tisch. Er winkte Ursula zu sich<br />
heran. Ursula trat zum Tisch, auf<br />
dem jetzt ein Brot, ein Stück Käse,<br />
ihre Breischale und ein Löffel lagen.<br />
„Pack das ein“, sagte Matthes,<br />
stand auf und nahm eine ihrer Hände.<br />
„Hier.“ Er legte ihr zwei Münzen<br />
in die von ihm gehaltene Hand.<br />
„Niemand soll sagen, ich hätte dich<br />
ohne alles davongejagt. Du wirst es<br />
vielleicht brauchen.“<br />
Noch ehe Ursula etwas sagen<br />
konnte, ließ er sie stehen und war<br />
zur Tür heraus. Verwundert schaute<br />
Ursula auf die beiden Metallplättchen<br />
in ihrer Hand.<br />
„Jetzt besitze ich sogar Geld“,<br />
wunderte sie sich. Sie wollte die Sachen<br />
vom Tisch in ihr Bündel stopfen,<br />
doch wusste sie nicht wohin mit<br />
den Münzen. Zuerst wollte sie sie in<br />
die Tasche ihres Rocks tun, dort begegnete<br />
ihre Hand allerdings dem<br />
Schlageisen, dem Zunder und dem<br />
Stein, die der Knecht ihr gegeben<br />
hatte. Mit einer Idee eilte sie zurück<br />
zu ihrem Lager. Schnell entleerte sie<br />
eines der kleinsten Kräutersäckchen<br />
und gab die beiden Geldstücke hinein.<br />
Sie band das Säckchen ordentlich<br />
zu und steckte es in die Tasche.<br />
Dabei fiel ihr Blick auf ein Stück Leder.<br />
„Ja, das ist genau richtig“, entfuhr<br />
es ihr. Zunder und alles, was mit<br />
Feuer zu tun hat, muss trocken bleiben.<br />
Sie faltete das Leder um das<br />
Feuerzeug und schob dieses Päckchen<br />
in einen Stoffbeutel.<br />
Draußen hörte sie Ingrids herrische<br />
Stimme.<br />
„Geh, sieh wo sie bleibt, nachher<br />
bestiehlt sie uns noch.“<br />
Wut breitete sich in ihr aus. Ute<br />
kam herein und reichte ihr einen<br />
prall gefüllten Schlauch.<br />
„Hier, Wasser.“ Sie wartete noch,<br />
Foto: akg-images/<br />
Erich Lessing<br />
bis Ursula ihre Sachen alle im Bündel<br />
verstaut und sich den Schlauch<br />
umgehängt hatte, dann sagte sie:<br />
„Komm, es ist Zeit.“ Ihre Stimme<br />
klang belegt.<br />
Als sie aus dem Haus traten, hatte<br />
ein feiner Nieselregen eingesetzt.<br />
Niemand war mehr auf dem Hof.<br />
Ursula drehte sich kurz zu Ute um<br />
und drückte ihr die Hand. Sie zog<br />
sich das Wolltuch über den Kopf<br />
und ging los. Am Rand des Hofes<br />
zögerte sie noch vor dem ersten<br />
Schritt auf den Fußweg, doch dann<br />
erinnerte sie sich an Ingrid, und ihre<br />
Wut sagte ihr: „Geh, dreh dich nicht<br />
mehr um und geh.“<br />
Auf dem Weg nach Regensburg<br />
3. September 1095<br />
Die ersten Schritte setzte sie fest<br />
einen nach dem anderen, doch der<br />
Boden war vom Regen bereits feucht<br />
und glitschig, und schon bald machte<br />
sie kleinere Schritte, um nicht<br />
auszugleiten. Der Riemen des Wasserschlauchs<br />
schnitt ihr in die Schulter,<br />
und ihr Bündel stieß bei jedem<br />
Schritt gegen ihr Bein. Sie versuchte,<br />
es höher und vom Körper entfernter<br />
zu halten, hielt das aber nicht<br />
lange durch. So wankte sie über den<br />
Hügel und wusste, gleich würde<br />
man sie vom Hof aus nicht mehr sehen.<br />
Aber sie konnte dann auch ihr<br />
ehemaliges Zuhause nicht mehr sehen.<br />
Sie würde es nie mehr wiedersehen.<br />
Ihre Tränen mischten sich<br />
mit den Regentropfen, die ihr Gesicht<br />
netzten. Der Riemen des Wasserschlauches<br />
begann sie zu schmerzen.<br />
Sie schob den Daumen darunter,<br />
aber bereits nach kurzer Zeit<br />
wurde ihr der Finger taub. Sie versuchte<br />
mit der freien Hand den<br />
Schlauch zu halten und die Last auf<br />
den Riemen so zu mindern. Gleichzeitig<br />
stieß sie immer wieder gegen<br />
ihr Bündel. So quälte sie sich Schritt<br />
für Schritt weiter. Ihren Blick auf<br />
den Pfad vor ihren Füßen gerichtet,<br />
um nicht zu stolpern, bemerkte sie<br />
nicht die Bewegung neben sich im<br />
nahen Wald. Ihre Laune wurde immer<br />
schlechter, je mehr sie mit ihren<br />
Lasten zu kämpfen hatte. Ihr war, als<br />
käme sie kein Stückchen voran. Der<br />
Pfad schmiegte sich nun näher an<br />
den Wald, und unter den ausladenden<br />
Ästen der Bäume fand sie ein<br />
wenig Schutz vor dem Regen. Ihr<br />
Bündel schien allerdings bereits durch<br />
und durch feucht zu sein. Auf jeden<br />
Fall war es schwerer geworden.<br />
Plötzlich raschelte es direkt vor<br />
ihr im Unterholz, und unvermittelt<br />
sprang ihr jemand in den Weg. Ursula<br />
schrie auf. Erst als sie sich die<br />
Haare aus der Stirn strich, erkannte<br />
sie Arnulf. Außer Atem stand er vor<br />
ihr. „Vor wem rennst du weg?“ fragte<br />
er.<br />
„Ich renne doch gar nicht.“<br />
Doch, ich versuche schon seit einiger<br />
Zeit, dich einzuholen.“<br />
„Das ist aber kein Grund, mich<br />
so zu erschrecken. Was willst du?“<br />
„Komm hier unter den Baum, da<br />
ist es trocken“, sagte der Junge und<br />
zog sie mit sich unter das dichte<br />
Blattwerk einer Buche. Nahe am<br />
Stamm kniete er sich nieder und zog<br />
sie zu sich herunter.<br />
„Ich wollte dir das hier geben“,<br />
sagte er und zog den breiten Lederriemen<br />
einer Tasche über seinen<br />
Kopf und reichte sie ihr. Sie war aus<br />
der Haut eines Rindes gefertigt, an<br />
der Außenseite waren noch vereinzelt<br />
Haare des Fells zu erkennen. Eigentlich<br />
bestand sie aus einem einzigen<br />
Streifen Kuhhaut, der etwas<br />
breiter war als ihr Unterarm bei ausgestreckter<br />
Hand. An ihm waren auf<br />
beiden Seiten Streifen von doppelter<br />
Handbreite genäht, so dass nur eine<br />
Öffnung nach oben blieb, über die<br />
man das Leder schlug, das man dann<br />
mit zwei Lederschlaufen und einem<br />
an einer Schlaufe befestigten Holzknebel<br />
verschließen konnte. Sie war<br />
so groß, dass leicht zwei ganze Laibe<br />
Brot darin Platz gehabt hätten. Ursula<br />
kannte die Tasche. Arnulf hatte<br />
sich ihrer immer bedient, wenn er<br />
die Brotzeit auf das Feld bringen<br />
musste.<br />
„Hier“, sagte er jetzt. „Tu deine<br />
Sachen da hinein, da werden sie<br />
nicht nass.“<br />
Fortsetzung folgt<br />
DIE KREUZFAHRERIN<br />
Stefan Nowicki<br />
Gebunden, 384 S.<br />
Sankt Ulrich Verlag<br />
ISBN 978-386744-154-4<br />
19,95 EUR