07.11.2013 Aufrufe

Eiskeller und Eiswerke in Berlin und Brandenburg. Band 1 ...

Eiskeller und Eiswerke in Berlin und Brandenburg. Band 1 ...

Eiskeller und Eiswerke in Berlin und Brandenburg. Band 1 ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Über den Neubau des oberirdischen Lagerkellers<br />

der Victoria-Brauerei <strong>in</strong> der Lützowstraße f<strong>in</strong>det<br />

sich im Zentralblatt der Bauverwaltung 1882<br />

folgende Beschreibung: „Die Brauerei bef<strong>in</strong>det sich<br />

<strong>in</strong> unmittelbarer Nähe des Landwehrkanals, daher<br />

konnte wegen des hohen Gr<strong>und</strong>wasserspiegels ke<strong>in</strong><br />

Keller angelegt werden. Zur Lagerung errichtete<br />

man daher e<strong>in</strong> Lagerhaus mit Obereiskeller.<br />

Zwischen dem Eisraum <strong>und</strong> dem Lagerraum befand<br />

sich e<strong>in</strong>e schmale „Kaltluftkammer“. Damit sollte<br />

erreicht werden, dass die kalte Luft sich<br />

gleichmäßig über alle Keller ausbreitet <strong>und</strong> dort<br />

über verschließbare Klappen <strong>in</strong> die Lagerkeller<br />

geleitet werden kann. Zum Befüllen des Eisraumes<br />

bef<strong>in</strong>det sich vor dem Kühlhaus e<strong>in</strong><br />

„Paternosterwerk“ das durch e<strong>in</strong> Lokomobil<br />

angetrieben wurde.“<br />

Mehrere deutsche Brauereien besaßen Eisgalgen,<br />

um direkt über ihren Lagerkellern Eis zu erzeugen.<br />

In frostigen Nächten wurde e<strong>in</strong> Holzgerüst mit<br />

Wasser berieselt. Dabei bildeten sich lange<br />

Eiszapfen, die von Arbeitern mit Äxten<br />

abgeschlagen wurden <strong>und</strong> anschließend direkt <strong>in</strong><br />

den darunter liegenden Keller geworfen wurden.<br />

Bei der Berechnung der Statik war aber zu<br />

beachten, dass das Gewicht des Eises mehrere<br />

Tonnen betragen konnte. Der E<strong>in</strong>satz bei e<strong>in</strong>er<br />

Brauerei <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> oder <strong>Brandenburg</strong> lässt sich<br />

bisher nicht nachweisen. Lediglich die<br />

Wochenschrift für Brauerei von 1901 berichtet über<br />

e<strong>in</strong> derartiges Gerüst, das <strong>in</strong> der Versuchs- <strong>und</strong><br />

Lehrbrauerei <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Wedd<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>gesetzt wurde: „Der bei uns aufgestellte Apparat<br />

ist e<strong>in</strong> zweistöckiges Holzgerüst, 4,5 Meter Höhe,<br />

10 Meter lang, 4,5 Meter breit wird von acht<br />

Koser’schen Brausen gleichmäßig besprüht. Vor<br />

Sonnenstrahlen ist der Apparat bis Ende März<br />

vollständig geschützt, so dass man am Tage die<br />

Eiserzeugung nicht zu unterbrechen braucht. […]<br />

Bei Frost von –2 °R[éaumur, –2,5 °C] bis –4 °R.<br />

<strong>und</strong> mäßig starken Luftzug brauchten wir 4 ½ bis<br />

5 Tage […], bis sich so viele Eis gebildet hatte, daß<br />

zur E<strong>in</strong>heimsung geschritten werden mußte. Die<br />

Vorzüge dieser Natureis-Erzeugungsappararte<br />

erblicken wir dar<strong>in</strong>, dass 1. bei ger<strong>in</strong>ger Kälte<br />

früher Eis erhalten wird als von Teichen <strong>und</strong> Seen,<br />

2. der Fuhrlohn für das E<strong>in</strong>fahren des Eises <strong>in</strong> Wegfall<br />

kommt, vorausgesetzt, daß der Apparat neben<br />

oder über dem <strong>Eiskeller</strong> aufgestellt ist, 3. die<br />

Aufstellung e<strong>in</strong>es solchen Apparates <strong>in</strong> den meisten<br />

Fällen billiger ist, als die Anlage e<strong>in</strong>es eigenen<br />

Eissees.“<br />

E<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für den<br />

wirtschaftlichen Betrieb der Brauereien war die<br />

Unabhängigkeit von der Eisbildung im W<strong>in</strong>ter. Für<br />

e<strong>in</strong>e Jahresproduktion von 2000 Kubikmeter Bier<br />

waren etwa 2500 Tonnen Eis notwendig. Der<br />

Eisvorrat sollte nach Möglichkeit für zwei Jahre<br />

ausreichend se<strong>in</strong>, damit auch nach e<strong>in</strong>em milden<br />

W<strong>in</strong>ter die Produktion weitergehen konnte.<br />

Andernfalls musste das Eis zu immensen Kosten<br />

aus anderen Regionen, teilweise sogar aus dem<br />

Ausland importiert werden. Hauptlieferant für<br />

Deutschland war damals Norwegen. Im viel zu<br />

warmen W<strong>in</strong>ter 1883/84 lag die Durchschnittstemperatur<br />

im Januar <strong>und</strong> Februar bei knapp<br />

fünf Grad Celsius! Die Abhängigkeit vom Natureis<br />

war e<strong>in</strong> ständiges Risiko, das e<strong>in</strong>e Brauerei <strong>in</strong> den<br />

Ru<strong>in</strong> treiben konnte. Erste Berichte über den E<strong>in</strong>satz<br />

von Kältemasch<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der amerikanischen <strong>und</strong><br />

englischen Industrie stammen aus den 1860er<br />

Jahren, die <strong>in</strong> D<strong>in</strong>gler’s Polytechnischen Journal<br />

veröffentlicht wurden, wie zum Beispiel 1864 über<br />

Kirk’s Eismasch<strong>in</strong>e. Diese wurde 1862 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Paraff<strong>in</strong>fabrik zu Bathgate aufgestellt. Sie war im<br />

Stande, die zur Gew<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>er halben Tonne Eis<br />

<strong>in</strong> 24 St<strong>und</strong>en erforderliche Kälte zu erzeugen. Erst<br />

im folgenden Jahrzehnt entwickelte der deutsche<br />

Ingenieur Carl von L<strong>in</strong>de (1842–1934) e<strong>in</strong>e für<br />

<strong>in</strong>dustriellen Dauere<strong>in</strong>satz geeigneten Kältemasch<strong>in</strong>e.<br />

Er gründete 1879 die Gesellschaft für<br />

L<strong>in</strong>des Eismasch<strong>in</strong>en Aktiengesellschaft. Nach<br />

relativ kurzer Zeit war das Unternehmen <strong>in</strong> Europa<br />

führend auf dem Gebiet der Kältetechnik.<br />

E<strong>in</strong>e der ersten Kältemasch<strong>in</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Berl<strong>in</strong>er<br />

Brauerei wurde nach Angabe <strong>in</strong> dem 1877<br />

herausgegebenen Architekturband Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Bauten <strong>in</strong> der damaligen Vere<strong>in</strong>sbrauerei Rixdorf<br />

aufgestellt, der späteren K<strong>in</strong>dl-Brauerei. Es soll sich<br />

dabei um e<strong>in</strong>e Kaltluftmasch<strong>in</strong>e vom System<br />

W<strong>in</strong>dhausen-Nehrlich gehandelt haben, die<br />

stündlich etwa 3000 Kubikmeter kalte Luft von<br />

– 45 °C liefern konnte. Zusätzlich zu dieser<br />

Kältemasch<strong>in</strong>e wurde e<strong>in</strong> <strong>Eiskeller</strong> für 3000 Tonnen<br />

Eis gebaut.<br />

18

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!