Kapitel 3: Natureiswerke Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert wurden die ersten Natureiswerke <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gegründet. Nach eigenen Angaben erfolgte die Gründung der Firma Aelteste Berl<strong>in</strong>er <strong>Eiswerke</strong> Louis Thater bereits 1840. Die <strong>Eiswerke</strong> Mudrack sollen ebenfalls nach eigenen Angaben 1856 den Betrieb aufgenommen haben. Im Jahr 1863 wurde die Firma Amerikanische <strong>Eiswerke</strong> C. Geiseler zu Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> das Handelsregister e<strong>in</strong>getragen. Im selben Jahr erschien e<strong>in</strong>e Annonce der Gesellschaft der Berl<strong>in</strong>er <strong>Eiswerke</strong> <strong>in</strong> der Berl<strong>in</strong>er Gerichtszeitung, <strong>in</strong> der für e<strong>in</strong> Eis-Abonnement geworben wurde. In den 1870er Jahren <strong>und</strong> den folgenden Jahrzehnten wurden über 100 <strong>Eiswerke</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Umgebung gegründet, um die ständig wachsende Stadt Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> ihre Nachbargeme<strong>in</strong>den mit Eis zu versorgen. Die Natureiswerke benötigten ke<strong>in</strong>e besondere technische Ausstattung. Notwendig zur Eisernte waren e<strong>in</strong> gepachtetes natürliches Gewässer oder e<strong>in</strong> eigens angelegter flacher Eisteich. Sobald das Eis die notwendige Tragfähigkeit für die Arbeiter <strong>und</strong> die Pferde besaß, konnte mit der Eisernte begonnen werden. Zuerst mussten der lose Schnee <strong>und</strong> mit ihm auch alle oberflächlichen Verunre<strong>in</strong>igungen vom Eis entfernt werden. Dann konnte bei Bedarf das Eis mit e<strong>in</strong>em Eishobel geglättet werden. Anschließend schnitt e<strong>in</strong> von Pferden gezogener Eispflug Furchen <strong>in</strong> das Eis. Durch e<strong>in</strong>e seitliche Führung wurden die Eistafeln dabei <strong>in</strong> gleichmäßig große rechteckige Stücke e<strong>in</strong>geteilt. Die Eistafeln wurden dann ausgesägt <strong>und</strong> zum gut isolierten Schuppen geschoben. Das Loch im Eis musste anschließend deutlich markiert werden, da es sonst für Schlittschuhläufer <strong>und</strong> Spaziergänger auf dem Eis lebensgefährlich war, wenn sich wieder e<strong>in</strong>e dünne Eisschicht gebildet hatte. Über e<strong>in</strong>en derartigen Unfall wurde 1890 im Teltower Kreisblatt berichtet. Die Schuppen zum Lagern des Eises bestanden anfangs aus doppelwandigen Holzwänden mit e<strong>in</strong>er dazwischen liegenden Isolierschicht. Später wurden dann auch Gebäude aus Ziegelste<strong>in</strong>en errichtet, unter anderem um die hohe Feuergefahr zu senken. Auf der Wasserseite der Schuppen befanden sich die Fördere<strong>in</strong>richtungen, Elevatoren genannt, mit denen die Eistafeln <strong>in</strong> den Schuppen transportiert wurden. Der Elevator besaß e<strong>in</strong>e schräge hölzerne Gleitbahn. Se<strong>in</strong> unteres Ende tauchte <strong>in</strong> das Wasser, um die schwimmenden Eisblöcke aufnehmen zu können. Diese wurden mit Querstangen hochgeschoben, die an zwei rechts <strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks laufenden Ketten befestigt waren. Damit das Eis bis zu zehn Meter hoch gestapelt werden konnte, öffneten die Arbeiter <strong>in</strong> der gewünschten Höhe Klappen <strong>in</strong> der Gleitbahn, <strong>und</strong> die Eisblöcke liefen auf e<strong>in</strong>e dah<strong>in</strong>ter liegende Rutschbahn, auf denen die Blöcke dann <strong>in</strong> die Eisschuppen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> rutschten. Innerhalb der Schuppen wurde das Eis mit Haken verschoben <strong>und</strong> gleichmäßig gestapelt, damit sich möglichst wenig Luft zwischen den Platten befand. Bei Natureis handelt sich um ungefiltertes Oberflächenwasser. Mit dem Anstieg der Bevölkerung stieg die Belastung der Gewässer durch Fäkalien <strong>und</strong> Industrieabfälle, sofern diese nicht <strong>in</strong> die Kanalisation geleitet wurden, die <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> erst ab 1880 schrittweise <strong>in</strong> Betrieb genommen wurde. Die Verschmutzung der Eisfläche durch Pflanzenreste, Tierkot <strong>und</strong> -kadaver war nicht zu verh<strong>in</strong>dern. 1892 wurde im Zentralblatt der Bauverwaltung vor der Schädlichkeit von Natureis gewarnt: „Durch Untersuchungen im Kaiserlichen Ges<strong>und</strong>heitsamt ist festgestellt worden, dass das <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zu wirtschaftlichen Zwecken <strong>in</strong> den Handel kommende Eis, selbst bei gutem Aussehen, oft zahlreiche <strong>in</strong> ihrer Entwicklungsfähigkeit nicht veränderte, ges<strong>und</strong>heitsgefährliche Kle<strong>in</strong>wesen (Mikroorganismen) enthalten hat. Es ist dadurch wahrsche<strong>in</strong>lich geworden, dass die häufiger beobachteten Krankheiten nach dem Genusse von Getränken, welche durch H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>werfen von Eisstückchen gekühlt wurden, weniger durch die Kälte des Getränkes, als durch die im Eis vorhandenen Krankheitserreger verursacht worden s<strong>in</strong>d. [...] Es ist aber auch noch notwendig, Vorkehrungen dah<strong>in</strong>gehend zu treffen, dass das <strong>in</strong> den Handel gelangende Roheis nicht aus Gewässern gewonnen werde, welche durch zufließende Unre<strong>in</strong>lichkeiten oder andere besondere Umstände <strong>in</strong> ges<strong>und</strong>heitlicher Beziehung von bedenklicher Beschaffenheit s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>sbesondere nicht aus Sümpfen, Teichen, Gräben <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>en, dicht bei bebauten Ortschaften liegenden Seen, sowie aus Flüssen an <strong>und</strong> dicht unterhalb bebauter Ortschaften.“ 24
Abb. 28: Eisschuppen <strong>und</strong> Elevator, um 1896. Abb. 29: Geräte zum Eisernten, um 1902. 25