Zum Inhalt Als PDF downloaden - Evangelische Kirche in Deutschland
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„Me<strong>in</strong> Sprachgesell“ – Paul Gerhardt 1607-2007<br />
THEMA<br />
mit Kunst, dass sie (wie es dann heißt) nicht l’art pour l’art treibe. Paul Gerhardts<br />
Gedichte lassen sich jedoch für die falsche Alternative ‚Frömmigkeit oder Kunstanspruch’<br />
nicht gebrauchen, so oft auch bis heute versucht wird, ihre ‚Natürlichkeit’<br />
gegen ‚barocken Schwulst’ auszuspielen. Wer sie genau liest, kann nicht daran zweifeln,<br />
dass sich <strong>in</strong> ihnen e<strong>in</strong> hohes dichterisches Können ausspricht, das nicht denkbar<br />
ist ohne Wissen um die Qualität der eigenen Texte und ohne Anspruch darauf. Dieses<br />
Kunstbewusstse<strong>in</strong> – und dann selbstverständlich das se<strong>in</strong>er Zeit! – muss <strong>in</strong> das Bild<br />
des (dichtenden) Predigers aufgenommen werden, wenn es nicht von jenem Klischee<br />
verzeichnet se<strong>in</strong> soll.<br />
Nun aber ist doch mit Verwunderung zu konstatieren, dass wir von diesem Paul Gerhardt,<br />
dem Prediger und <strong>Kirche</strong>nmann, ke<strong>in</strong> literarisches Zeugnis besitzen außer vier<br />
Leichenpredigten, die er zwischen 1655 und 1661 gehalten und auf Wunsch der<br />
Angehörigen der Verstorbenen zum Druck gegeben hat. 2 Und noch erstaunlicher ist<br />
es angesichts dieser Quellenlage, dass die Predigten von der Forschung bisher kaum<br />
wahrgenommen worden s<strong>in</strong>d. 3 Zwar hat die Gattung der Leichenpredigt <strong>in</strong>zwischen<br />
<strong>in</strong> der historischen Frühneuzeitforschung e<strong>in</strong>en hohen Stellenwert erlangt, aber die<br />
Theologie hat sich an ihrer Erforschung kaum beteiligt. 4 Was speziell Paul Gerhardts<br />
Leichenpredigten angeht, so können sie aus e<strong>in</strong>em doppelten Grund Interesse beanspruchen:<br />
Erstens: Wenn dem Prediger für se<strong>in</strong>e Liedverkündigung Kunstbewusstse<strong>in</strong><br />
zuerkannt werden muss, kann man weiter gehen und fragen, ob nicht auch se<strong>in</strong>er<br />
Predigt e<strong>in</strong>e Art Kunstcharakter eignet, <strong>in</strong>sofern sie nach den – der Poesie und der<br />
Prosarede geme<strong>in</strong>samen – Regeln der Rhetorik gestaltet ist. Kunstvolle Rede mit<br />
Verkündigungs<strong>in</strong>tention s<strong>in</strong>d beide. Und bei e<strong>in</strong>em so formbewussten und sprach-<br />
2 Diese vier überlieferten Predigten s<strong>in</strong>d gesammelt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schmalen Quartbändchen, das <strong>in</strong> der Staatsbibliothek<br />
Preußischer Kulturbesitz, Haus Unter den L<strong>in</strong>den liegt (Sign. Ee 1550). Der Band hat ke<strong>in</strong><br />
geme<strong>in</strong>sames Titelblatt für alle Sermone, nur e<strong>in</strong> von alter Hand (wahrsche<strong>in</strong>lich dem durch Besitzvermerke<br />
bezeichneten „O.(tto?) Schulz“) geschriebenes <strong>Inhalt</strong>sverzeichnis, ist auch nicht durchgehend<br />
pag<strong>in</strong>iert, sondern ist wirklich nur e<strong>in</strong>e Zusammenb<strong>in</strong>dung der vier ursprünglich selbständig gedruckten<br />
Predigten und Beigaben <strong>in</strong> chronologischer Reihenfolge. – Zwei von ihnen s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> den Leichenpredigt-Bänden<br />
der Sammlungen des Berl<strong>in</strong>ischen Gymnasiums zum Grauen Kloster (Streitsche Stiftung)<br />
<strong>in</strong> der Städtischen Bibliothek Berl<strong>in</strong> enthalten. Die Bibliotheksnachweise f<strong>in</strong>den sich im Anmerkungsteil<br />
der von E. v. Cranach-Sichart edierten „Dichtungen und Schriften“ Paul Gerhardts, Zug o.J.,<br />
515. Der Abdruck der Leichenpredigten <strong>in</strong> dieser Ausgabe ist allerd<strong>in</strong>gs so fehlerhaft, dass e<strong>in</strong> Neudruck<br />
unabd<strong>in</strong>gbar ist. <strong>Als</strong> derzeit e<strong>in</strong>zigen Druck muss ich ihn aber hier so berücksichtigen, dass ich<br />
Zitate aus dem Orig<strong>in</strong>aldruck an zweiter Stelle aus dieser Ausgabe nachweise.<br />
3 Bei dem mir nicht zugänglichen Buch von Julius Knipfer: Paul Gerhardt als Prediger, Zwickau 1906,<br />
handelt es sich nach Bunners: Paul Gerhardt (Anm. 1), 212 um e<strong>in</strong>en Abdruck der vier Leichenpredigten.<br />
4 E<strong>in</strong>e rühmliche Ausnahme bildet die Edition der Sämtliche(n) Leichenpredigten von Johann Gerhard,<br />
krit. hg. und komm. von J.A. Steiger, Doctr<strong>in</strong>a et pietas 10, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, mit se<strong>in</strong>em<br />
gehaltvollen Nachwort. <strong>Zum</strong> Stand der Leichenpredigt-Forschung siehe dort 318-321. – Hier sollen wenigstens<br />
die grundlegenden Werke genannt werden: Rudolf Lenz (Hg.): Leichenpredigten als Quelle<br />
historischer Wissenschaften, 3 Bde., 1975-1984; ders. (Hg.): Marburger Personalschriften-Forschungen,<br />
4 Bde., Marburg 1978 ff. – Noch immer unüberholt ist die Habilitationsschrift von Eberhard W<strong>in</strong>kler<br />
zur Leichenpredigt im deutschen Luthertum bis Spener, München 1967. – Die auf 250.000 Stück geschätzte<br />
Masse der erhaltenen Leichenpredigten, die <strong>in</strong> umfangreichen Sammlungen erfasst wurden,<br />
s<strong>in</strong>d erst zum Teil bibliographisch erschlossen. Möglicherweise bef<strong>in</strong>den sich darunter auch weitere<br />
Predigten von Paul Gerhardt.<br />
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