Zum Inhalt Als PDF downloaden - Evangelische Kirche in Deutschland
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„Me<strong>in</strong> Sprachgesell“ – Paul Gerhardt 1607-2007<br />
THEMA<br />
De Primo: 1. Was heißt Alter? Die Bibel kennt zwei Weisen: das „Alter des Gemüthes<br />
und der Seelen“, das unabhängig von Jahren ist und das an der Zunahme von<br />
Verstand und Weisheit gemessen wird, und das Alter, das nach Jahren berechnet<br />
wird, das „Alter des Leibes“ (12; 401f.). David me<strong>in</strong>t <strong>in</strong> dem Vers „Verwirff mich<br />
nicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Alter“ die zweite Art. 2. Von diesem Alter ist <strong>in</strong> der Bibel so die<br />
Rede, dass es im Verlauf der Geschichte immer weiter abgenommen hat. Es kl<strong>in</strong>gt<br />
an, dass dies mit der „Sündfluht“ zu tun hat. Mit akribischer Genauigkeit nennt Gerhardt<br />
alle biblischen Beispiele für die allmähliche Verm<strong>in</strong>derung des Lebensalters <strong>in</strong><br />
der Menschheit (S.12-14; 401-403). – Das ist ke<strong>in</strong>e müßige Ausbreitung von Bibelwissen,<br />
sondern dient als Vorbereitung für die folgende Argumentation. Die Dist<strong>in</strong>ktion<br />
des Begriffs „Alter“ als Lebensalter und ‚Seelenalter’ br<strong>in</strong>gt das mit Alter Bezeichnete<br />
<strong>in</strong> die Schwebe. Das biologische Alter wird abgewertet gegenüber dem der<br />
Seele und des Gemüts, das durch Weisheit und Gottesfurcht bestimmt ist. Andererseits<br />
gilt <strong>in</strong> der Bibel auch das hohe Alter der Menschen <strong>in</strong> der Urgeschichte Israels<br />
als Ausweis ihrer Nähe zu Gott, und durch das Wirken der Sünde hat die menschliche<br />
Lebensdauer kont<strong>in</strong>uierlich abgenommen. Mit dieser ‚synchronen’ und ‚diachronen’<br />
Betrachtung des Phänomens Alter hat der Prediger für se<strong>in</strong>e Rede e<strong>in</strong>e Ausgangsposition<br />
gewonnen, die ihm schließlich die richtige Antwort auf die Frage, wie<br />
das Alter zu leben und zu betrachten sei, ermöglicht. Die schlichte These: „Ich werde<br />
e<strong>in</strong>mal alt werden“ birgt als Lehre die Aufforderung, „an das liebe Alter bey zeiten<br />
(zu) gedencken“ und vor allem <strong>in</strong> der rechten Weise (14; 403). Nicht so, wie es „etliche<br />
Leute“ tun, die <strong>in</strong> jungen Jahren die Buße und Bekehrung auf das Alter verschieben;<br />
nicht so, dass man die Jugend zu Ausschweifungen missbraucht. Sondern Christen<br />
„sollen so an ihr Alter gedencken“, dass sie etwas Tüchtiges <strong>in</strong> der Welt zu erreichen<br />
versuchen, dass sie vorsorgen, ohne geizig zu werden, und schließlich so, dass<br />
sie sich auf den Tod vorbereiten, dem das Alter nahe ist. Diese Lehren verwenden <strong>in</strong><br />
der Gegenüberstellung von Jugend und Alter den biologischen Altersbegriff, relativieren<br />
ihn aber gleichzeitig durch die moralisch-religiöse Perspektive: Alter bedeutet<br />
Nähe zu Gott, dem Anspruch nach. Der Gedankengang wird von Gerhardt sehr klar<br />
markiert e<strong>in</strong>mal durch die doppelte Antithetik („nicht so, sondern so“; „etliche Leute“-<br />
„e<strong>in</strong> Christ“) und durch das Stilmittel der Wiederholung: die Weisen des falschen<br />
und die des rechten christlichen Denkens an das Alter werden jeweils mit<br />
gleichlautenden Wendungen markiert. Innerhalb dieser klaren Struktur kann dann<br />
vieles e<strong>in</strong>zelne zur Sprache kommen, was die Rede auflockert, ohne dass man den<br />
Faden verliert. 10<br />
10 Wenigstens e<strong>in</strong> Beispiel für e<strong>in</strong>e geradezu humorvolle Ausgestaltung sei zitiert: Der Ermahnung, <strong>in</strong><br />
der Jugend zu sparen, damit man im Alter etwas hat, fügt Gerhardt die Warnung an, Sparsamkeit dürfe<br />
sich nicht <strong>in</strong> Geiz verwandeln, „da man also sparet und zu rahte hält / daß man des erworbenen<br />
Vorrahts und Überflusses nicht e<strong>in</strong>mal froh wird / thut ihm selber / auch <strong>in</strong> dem hohen Alter nichts zu<br />
guthe / sondern samlet bis <strong>in</strong> das Grab h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> / und fürchtet doch immerdar / man werde Hungers sterben<br />
müssen:“ (16;404)<br />
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