Zum Inhalt Als PDF downloaden - Evangelische Kirche in Deutschland
Zum Inhalt Als PDF downloaden - Evangelische Kirche in Deutschland
Zum Inhalt Als PDF downloaden - Evangelische Kirche in Deutschland
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Harald Schroeter-Wittke: Vier Variationen zu „O Haupt voll Blut und Wunden“<br />
kennt sich selbst nicht mehr wieder. Er ist verwirrt und verirrt. Es muss schon e<strong>in</strong>e<br />
Frau gewesen se<strong>in</strong>, die mit irdischen Kategorien schwer zu beschreiben ist – e<strong>in</strong>e<br />
göttliche Frau. Darauf deuten auch die Anfangsbuchstaben der fünf Strophen dieses<br />
Liebeslieds, die den Namen MARIA ergeben. Der Sänger vergleicht se<strong>in</strong>e Traumfrau<br />
mit der Mutter des Gottessohnes – oder me<strong>in</strong>t er vielleicht sogar Maria selber<br />
und hofft, dass er bei ihr Verständnis f<strong>in</strong>det für se<strong>in</strong>en Schmerz und se<strong>in</strong>e Sehnsucht?<br />
1. Me<strong>in</strong> Gmüt ist mir verwirret, das macht e<strong>in</strong> Jungfrau zart;<br />
b<strong>in</strong> ganz und gar verirret, me<strong>in</strong> Herz das kränkt sich hart.<br />
Hab Tag und Nacht ke<strong>in</strong> Ruh, führ allzeit große Klag,<br />
tu stets seufzen und we<strong>in</strong>en, im Trauren schier verzag.<br />
2. Ach, dass sie mich tät fragen, was doch die Ursach sei,<br />
warum führ ich solch Klagen, ich wollt ihr's sagen frei,<br />
dass sie alle<strong>in</strong> die ist, die mich so sehr verwundt:<br />
Könnt ich ihr Herz erweichen, würd ich bald wieder gsund.<br />
3. Reichlich ist sie gezieret / mit schön'n Tugend ohn Ziel;<br />
höflich wie sich gebühret, ihres Gleichen ist nicht viel.<br />
Für andern Jungfraun zart führt sie alle<strong>in</strong> den Preis;<br />
wann ichs anschau, verme<strong>in</strong>e, ich sei im Paradeis.<br />
4. Ich kann nicht gnug erzählen / ihr Schön und Tugend viel;<br />
für All' wollt ichs erwählen / wär es nur auch ihr Will,<br />
dass sie ihr Herz und Lieb / gegn mir wendet allzeit,<br />
so würd me<strong>in</strong> Schmerz und Klagen verkehrt <strong>in</strong> große Freud.<br />
5. Aber ich muss aufgeben und allzeit traurig se<strong>in</strong>,<br />
sollt mir gleich kosten's Leben: Das ist me<strong>in</strong> größte Pe<strong>in</strong>,<br />
denn ich b<strong>in</strong> ihr zu schlecht, drum sie me<strong>in</strong> nicht acht.<br />
Gott wölls für Leid bewahren durch se<strong>in</strong> göttliche Macht!<br />
IMPULSE<br />
„Schmerz und Sehnsucht“ (Henn<strong>in</strong>g Luther) 3 s<strong>in</strong>d die beherrschenden Motive dieser<br />
Liebeslyrik und ihrer Vertonung. Jahrhundertelang übertönte jedoch der protestantische<br />
Passionschoral diese Herkunft. Erst im 20. Jh. wurde sie wieder entdeckt, z.B.<br />
bei Carl Orff <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en cantus-firmus-Sätzen, der der Melodie wieder ihren alten<br />
Liebestext zurück gibt.<br />
2. Variation: Johann Sebastian Bach (1685-1750) – „Denn alles<br />
f<strong>in</strong>det bei Bach statt“ 4<br />
Was Anton von Webern 1933 über Bach sagte, gilt auch für unseren Choral. Er stellt<br />
<strong>in</strong> den Chorälen der Matthäuspassion und des Weihnachtsoratoriums die meistgebrauchte<br />
Melodie dar. Mit diesem Choral führt Bach uns, Weihnachten und Ostern,<br />
Geburt und Tod Jesu verb<strong>in</strong>dend, durch alle Höhen und Tiefen des göttlichen und<br />
menschlichen Lebens und Leidens. Erster und letzter Choral des Weihnachtsoratoriums<br />
haben diese Melodie und spannen damit e<strong>in</strong>en Bogen zur Passionsthematik.<br />
Während der erste Choral die Frage nach dem rechten Empfang des Advent stellt,<br />
3 Henn<strong>in</strong>g Luther: Religion und Alltag. Bauste<strong>in</strong>e zu e<strong>in</strong>er Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart<br />
1992, 256.<br />
4 Anton Webern: Der Weg zur Neuen Musik, Wien 1960, 36; vgl. auch Mart<strong>in</strong> Geck: „Denn alles<br />
f<strong>in</strong>det bei Bach statt“ - Erforschtes und Erfahrenes, Stuttgart/Weimar 2000, bes. 46-55.<br />
51