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Probefahrt<br />
103<br />
Beach House<br />
Devotion<br />
Bella Union / Cooperative / Universal<br />
»Devotion« kann man wahlweise<br />
mit »Andacht« o<strong>de</strong>r<br />
»Hingabe« übersetzen.<br />
Bei<strong>de</strong>s passt. Andächtig sitzen<br />
Victoria Legrand und Alex Scally aus<br />
Baltimore auf <strong>de</strong>m Cover ihres zweiten Albums<br />
von Kerzenlicht beschienen vor einer<br />
Torte, aber nach einer Party sieht das<br />
nicht aus. Eher so, als hätten sie gera<strong>de</strong><br />
ihren Hund namens Devotion im Garten<br />
verbud<strong>de</strong>ln müssen. Musikalisch fin<strong>de</strong>t<br />
die Stimmung ihre Entsprechung im halligen<br />
Shoegazer mit Orgel, Sli<strong>de</strong>gitarre,<br />
Percussion und Legrands Gesang. Hier<br />
kommt die Hingabe ins Spiel, <strong>de</strong>nn das<br />
Duo lässt sich ganz in diesem Dream-Pop<br />
fallen, hat das Tempo im Vergleich zum<br />
selbst betitelten Debüt nur minimal angezogen.<br />
Mazzy Star und Galaxie 500 sind<br />
weiterhin gültige Referenzen. Die Songs<br />
sind kaum unterscheidbar, fließen ineinan<strong>de</strong>r<br />
über in einem Strom nachtgetränkter<br />
Rotwein-Melancholie. Vor <strong>de</strong>r<br />
trunkenen Umarmung schützt sie aber<br />
die Entfernung durch <strong>de</strong>n Hall, <strong>de</strong>r ihnen<br />
ihre Wür<strong>de</strong> lässt. Johannes Mihram<br />
British Sea Power<br />
Do You Like Rock Music?<br />
Beggars / Rough Tra<strong>de</strong><br />
Wir haben 2008, und England<br />
fährt nicht zur WM. <strong>Als</strong>o haben<br />
auch British Sea Power<br />
mit »Waving Flags« lei<strong>de</strong>r<br />
nicht die Stadionhymne <strong>de</strong>s Jahres geschrieben<br />
– selbst wenn die zweite Single<br />
aus »Do You Like Rock Music?« mit<br />
<strong>de</strong>n markerschüttern<strong>de</strong>n Trommeln,<br />
hallen<strong>de</strong>n Chören und <strong>de</strong>m von Slavia-<br />
Prag-Fans inspirierten Text einen tollen,<br />
absur<strong>de</strong>n Stadiongrölsong abgegeben<br />
hätte (»Oh we won’t fail / Not with Czech<br />
Ecstasy«). Wenigstens ist damit bewiesen,<br />
dass das britische Quartett um die<br />
Brü<strong>de</strong>r Wilkinson auf seinem dritten Album<br />
<strong>de</strong>n sehr eigenen und exzentrischen<br />
Weg weitergeht. Auch musikalisch bleibt<br />
man sich treu und <strong>de</strong>r im Albumtitel gestellten<br />
Frage keine Antwort schuldig.<br />
(Die Antwort ist natürlich »yes«!) Produziert<br />
von Graham Sutton (Pulp) und Efrim<br />
Menuck (Godspeed You! Black Emperor),<br />
ergibt sich ein Sound zwischen Pop und<br />
Post-Pop – bisweilen sperrig und düster,<br />
aber nie ohne zün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Melodie-I<strong>de</strong>e.<br />
Anne Westphal<br />
Los Campesinos!<br />
Hold On Now, Youngster ...<br />
Wichita / Coop / Universal<br />
Spaß machen und Spaß<br />
haben ist im heutigen Pop<br />
eine nicht zu unterschätzen<strong>de</strong><br />
Herausfor<strong>de</strong>rung.<br />
Wie leicht bewegt man sich mit solchen<br />
Intentionen an <strong>de</strong>r Grenze zum Kitsch<br />
o<strong>de</strong>r im uferlosen Meer schnö<strong>de</strong>r Banalität,<br />
ohne je dahin gewollt zu haben. Los<br />
Campesinos! aus Cardiff wissen um diese<br />
Gefahren und bedienen sich <strong>de</strong>r Tricks,<br />
die auch schon bei Achitecture In Helsinki,<br />
Tilly And The Wall und einigen Schwe<strong>de</strong>n<br />
so gut funktionierten: beständig rasantes<br />
Tempo, Lo-Fi-Getöse, Enthusiasmus<br />
bis zum Überschnappen und<br />
eine Menge tanzen<strong>de</strong> Bandmitglie<strong>de</strong>r.<br />
Ihre Songs sind knapp und melodiös, sie<br />
nutzen ihr breites Instrumentarium auch<br />
mal für schrägen Krach, ohne dabei die<br />
Grenzen <strong>de</strong>s bruchlos Hörbaren zu überschreiten,<br />
und kompositorische Exaktheit<br />
ist ihnen mehr als egal. Ihr Album »Hold<br />
On ...« ist eine super Partyplatte, die aber<br />
auch ein bisschen Raum zum Schwelgen<br />
und Anlehnen lässt, nahezu je<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />
Band kann singen, und wenn sich alle zum<br />
Chor vereinen, empfin<strong>de</strong>t man sich sicher<br />
auch im Publikum ganz vereinigt. Trotz<strong>de</strong>m:<br />
Diese Platte ist alles an<strong>de</strong>re als banal,<br />
und sie macht ausnahmslos großen<br />
Spaß. Damit sind die Eingangsherausfor<strong>de</strong>rungen<br />
bestan<strong>de</strong>n. Und die sind ja bekanntlich<br />
nicht zu unterschätzen.<br />
Christian Steinbrink<br />
Cat Power<br />
Jukebox<br />
Matador / Beggars / Indigo<br />
Es hat einige Alben gedauert,<br />
bis Scout Niblett letztens<br />
<strong>de</strong>n Schritt zu mehr<br />
klassischer Gangbarkeit<br />
im Song vollzog. Ein letzter Anstoß dazu<br />
dürfte die Entwicklung Cat Powers a.k.a.<br />
Chan Marshalls gewesen sein, <strong>de</strong>ren Karriere<br />
<strong>de</strong>r Nibletts ziemlich ähnelt und die<br />
die meisten Schritte immer ein paar Jahre<br />
vor Niblett durchgemacht hat. Marshalls<br />
Entwicklung gipfelte Anfang 2006 in <strong>de</strong>m<br />
überaus schönen Album »The Greatest«,<br />
das Verkaufszahlen erreichte, die inklusive<br />
Marshall selbst wohl niemand jemals<br />
erwartet hätte. Cat Power begegnet <strong>de</strong>r<br />
daraus resultieren<strong>de</strong>n Erwartungshaltung<br />
nun mit ihrem zweiten reinen Coveralbum.<br />
»Jukebox« wen<strong>de</strong>t sich dabei<br />
wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r reichen Geschichte <strong>de</strong>r traditionell<br />
amerikanischen Musikstile zu.<br />
An<strong>de</strong>rs als auf »The Covers Record« von<br />
2004 sind die ausgewählten Stücke aber<br />
allesamt in sehr klassischen und bruchlosen<br />
Arrangements aufgenommen. Fast<br />
ausnahmslos stellt Marshall <strong>de</strong>n Song in<br />
<strong>de</strong>n Fokus und nimmt ihre auf <strong>de</strong>n eigenen<br />
Alben öfter durchscheinen<strong>de</strong> expressive<br />
Künstlerpersönlichkeit zurück. Das<br />
ist scha<strong>de</strong>, eine mutigere Interpretation<br />
hätte einigen Songs gutgetan. Trotz<strong>de</strong>m<br />
verbin<strong>de</strong>n sich die Versionen von Sinatra-,<br />
Dylan-, Holiday- und Joplin-Originalen<br />
hier zu einem homogenen Ganzen, aus<br />
<strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>rs die bekannte interpretatorische<br />
Eleganz Cat Powers und die immer<br />
noch relativ sparsamen Instrumentierungen<br />
herausstechen. Wie schon bei<br />
»Covers Record« gilt auch hier: Schon<br />
schön, aber Cat Powers Alben mit eigenen<br />
Kompositionen sind besser.<br />
Christian Steinbrink<br />
Deadbeat<br />
Journeyman’s Annual<br />
~scape / MDM<br />
Nach <strong>de</strong>m clubbigen<br />
»Mecca«-Trip auf <strong>de</strong>m Wagon-Repair-Label<br />
kehrt<br />
Deadbeat für sein neues Album<br />
auf ~scape wie<strong>de</strong>r auf die Langstrekke<br />
zurück. Die Stücke auf »Journeyman’s<br />
Annual« rangieren zwischen Dubstep und<br />
<strong>de</strong>m dunklen Dancehall dieser Tage,<br />
gleichzeitig gibt es Verbindungen zum<br />
digitalen Dub <strong>de</strong>r 90er (à la Dub Syndicate<br />
o<strong>de</strong>r Black Star Liner). Das Ganze ist<br />
monoton angelegt, fließt metallisch und<br />
for<strong>de</strong>rt mit subsonischen Bässen Bewegung.<br />
Genau so funktionieren auch<br />
Deadbeats Livesets. Sessioncharakter<br />
hat auch dieses Album: Nicht nur Maschinen<br />
kommen zum Einsatz, son<strong>de</strong>rn<br />
auch Gitarren und Streicher, dazu Spoken<br />
Word im Gangstastyle von <strong>de</strong>n Kollegen<br />
Bubbz (Bristol), Moral Undulations (Ontario)<br />
und Jah Cutta (Montreal). Da liegt<br />
Frost auf <strong>de</strong>r Welt, man muss davon erzählen.<br />
Reis, Kartoffeln, gute Laune? Auf<br />
kuschelige Wintermusik war Deadbeat<br />
noch nie abonniert, also besser Mütze<br />
auf. Gegen En<strong>de</strong> dreht sich alles ein wenig<br />
im Kreis, wird aber vom Bonustrack,<br />
Deadbeats klirren<strong>de</strong>m Remix von Saul<br />
Williams’ Stigma-Song »Black Stacey«,<br />
wie<strong>de</strong>r angeschoben. Hendrik Kröz<br />
Dear Euphoria<br />
Dear Euphoria<br />
Stereo Test Kit<br />
Ja, sicher, das tut man nicht.<br />
Man fragt einen Künstler<br />
nicht nach <strong>de</strong>r Entstehung<br />
seines Pseudonyms. Bei <strong>de</strong>r<br />
Schwedin Elina Johansson a.k.a. Dear Euphoria<br />
konnte ich mich aber nur schwer<br />
zurückhalten, <strong>de</strong>nn ihre Songs klingen<br />
alles an<strong>de</strong>re als euphorisch. »My heart,<br />
there’s a constant longing that makes me<br />
weak«, haucht sie, nur von ihrem Klavierspiel<br />
begleitet, ab und zu gesellen sich<br />
Kontrabass, Orgel und zarte Percussion<br />
dazu. Das Album veröffentlichte Johansson<br />
bereits 2005 in Eigenregie; längst<br />
vergriffen, wird es nun bei Stereo Test<br />
Kit remastert und um vier Songs erweitert<br />
regulär auf <strong>de</strong>n Markt gebracht. Eine<br />
Chance für diejenigen, die bereits die Musik<br />
von Tori Amos, Kate Bush, Cat Power<br />
und Anna Ternheim ins Herz geschlossen<br />
haben. Einmal wagt Johansson <strong>de</strong>n Ausbruch,<br />
doch die rockigen Klänge von »Not<br />
Meant To Have It« stehen ihr nicht, verschrecken<br />
nur im Rahmen <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n<br />
Melancholie wie die schrillen<br />
Klänge einer Alarmanlage in <strong>de</strong>r Nacht.<br />
Johannes Mihram<br />
Delbo<br />
Gran<strong>de</strong> Finesse<br />
Loob Musik / Universal<br />
»Gran<strong>de</strong> Finesse« ist die<br />
vierte Parallelwelt <strong>de</strong>s Trios:<br />
flüssig, glasklar, zwischendurch<br />
verstörend, am En<strong>de</strong><br />
trotz<strong>de</strong>m versöhnt. Zu <strong>de</strong>n bekannten Referenzen<br />
von frühen Blumfeld bis Karate<br />
gesellen sich nun auch die Beach Boys.<br />
Moment, die Beach Boys? Was verbin<strong>de</strong>t<br />
die herzlichst verkopften Indierocker aus<br />
Berlin mit <strong>de</strong>n kalifornischen Surfpoppern?<br />
Gar nichts, möchte man meinen ...<br />
Aber: »Pet Sounds war damals eine große<br />
Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Beach Boys«, erklärt<br />
Gitarrist und Produzent Tobias Siebert.<br />
»Sie arbeiteten mit Sounds von Coladosen,<br />
Fahrradklingeln, Kirchenorgeln<br />
und so Sachen. Ich empfin<strong>de</strong> unsere Offenheit<br />
zu zusätzlichen Instrumenten als<br />
ähnliche Entwicklung.« Die Ergänzungen<br />
<strong>de</strong>r mäan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Gitarrenwelten sind bei<br />
Delbo etwas konventioneller gewählt,<br />
trotz<strong>de</strong>m sehr effektvoll: Streicher und<br />
Bläser setzen auf »Gran<strong>de</strong> Finesse« angenehm<br />
farbige Akzente. Ohne die luftigen<br />
Kompositionen zu verkleistern, ohne<br />
sich mit Pauken und Trompeten als Neuerfindung<br />
feiern zu müssen.<br />
Trotz<strong>de</strong>m, dieses Album ist ein gefühlt<br />
großer Schritt für Band und Hörer. Nach<br />
<strong>de</strong>n ergebnisoffenen Anfängen am äußersten<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ausklingen<strong>de</strong>n Jahrtausends,<br />
nach <strong>de</strong>m ambitionierten »Innen/Außen«<br />
(2003) und <strong>de</strong>n verdichteten<br />
»Havarien« (2006) schmeichelt sich<br />
»Gran<strong>de</strong> Finesse« langsam ein, rammt lächelnd<br />
einen Fuß in die Tür und möchte<br />
über Nacht bleiben. Eine Momentaufnahme:<br />
»Das Album ist für unsere Ohren viel<br />
luftiger und auf leichteren Füßen unterwegs,<br />
offener und mehr aus <strong>de</strong>m Bauch<br />
heraus«, sagt Sänger und Bassist Daniel<br />
Spindler. »Das ist aber auch ein Gefühl,<br />
das sich durch die ganze Entstehungszeit<br />
zieht. Es ging dieses Mal viel einfacher<br />
von <strong>de</strong>r Hand.« Die Texte bleiben gewohnt<br />
gehaltvoll, aufgela<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r ersten bis<br />
zur letzten Zeile: »Du verirrst dich nach<br />
wie vor innen wie außen. Wie in <strong>de</strong>r Zeichnung,<br />
die sich Jahr um Jahr erschließt.<br />
Darin die Sehnsucht nach <strong>de</strong>n Punkten<br />
und <strong>de</strong>n Orten. Und die Angst, sie eines<br />
Tages zu verlieren«, heißt es in »Belve<strong>de</strong>re«,<br />
einem Stück, das die Buellebruecker<br />
Studiowelt vielleicht am meisten <strong>de</strong>hnt.<br />
Das sei »einfach nicht mehr zu bremsen<br />
gewesen«. Delbo haben offensichtlich<br />
profitiert von <strong>de</strong>r Vernetzung <strong>de</strong>s »Berliner<br />
Un<strong>de</strong>rgrounds«, von <strong>de</strong>r Beteiligung<br />
an an<strong>de</strong>ren Projekten, vom Austausch mit<br />
befreun<strong>de</strong>ten Bands, von Tobias Sieberts<br />
Produzentenarbeit für Indie<strong>de</strong>utschland.<br />
Da müsste doch jetzt richtig was gehen,<br />
o<strong>de</strong>r? »Ach, man kann nieman<strong>de</strong>n zu seinem<br />
Glück zwingen«, sagt die Band.<br />
Christian Wessels