046 Musik ≥ auf 2 % <strong>de</strong>s eigenen Marktanteils. »Musik wird zwar immer mehr genutzt, aber die Ten<strong>de</strong>nz, sie besitzen zu wollen, nimmt ab. Es gibt in Deutschland jetzt auch ein paar Radiosen<strong>de</strong>r, die man sich anhören kann, beispielsweise das Internetradio Last.fm, also viele Möglichkeiten, gute Musik zu hören, ohne sie kaufen zu müssen. <strong>Als</strong> ich angefangen habe, Musik zu hören, musste man seine Sachen kaufen, weil die sonst keiner spielte. Es gibt ja Theorien wie jene, dass man Musik wie Wasser gegen eine Grundgebühr frei verfügbar machen sollte. Aber besteht dann noch <strong>de</strong>r Anreiz, aufwendige Alben zu produzieren?« Auch Lumm sieht in Beschränkungen à la DRM <strong>de</strong>n Hauptgrund, warum <strong>de</strong>r Markt nicht in Schwung kommt. Dagegen steht die Befürchtung <strong>de</strong>r Majors, bei einer totalen Freigabe jeglichen Bo<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Füßen zu verlieren. Aber wie viel Sinn macht es überhaupt, seine Rechte zum Nachteil <strong>de</strong>s Kun<strong>de</strong>n so rigoros zu sichern, wenn gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb kaum jemand das Produkt kauft? Offenbar keine. Deswegen ja auch die Abkehr vom Mo<strong>de</strong>ll. Die CD als Visitenkarte: To Rococo Rot Tatsächlich ist es mittlerweile so, dass viele Künstler gar nicht mehr auf die Einnahmen durch ihre Tonträger setzen. Stefan Schnei<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Elektronikern To Rococo Rot steht <strong>de</strong>n jüngsten Entwicklungen im Musikgeschäft <strong>de</strong>shalb eher gleichgültig gegenüber: »Das Album ist in <strong>de</strong>n 70er-Jahren erst richtig aufgekommen. Vorher gab es Singles, Alben waren die Kollektionen <strong>de</strong>r Hits. Vielleicht ist die Album-I<strong>de</strong>e ja einfach passé. Ich weiß nicht, was dieser Aufschrei »Das Album stirbt!« soll. Dann ist das halt so, dann kommt eben was Neues. Musik wird’s auch ohne Alben geben. Dann macht man halt wie<strong>de</strong>r Singles.« Und die dienen eher als Aushängeschild <strong>de</strong>s Künstlers <strong>de</strong>nn als finanzielles Standbein. »<strong>Als</strong> wir noch bei City Slang waren, da hieß es immer, dass man ein neues Album durch Touren promotet. Das hat sich jetzt umgekehrt, zumin<strong>de</strong>st für uns. Die Veröffentlichung ist eine Visitenkarte, die im Han<strong>de</strong>l erhältlich ist. Dadurch macht man auf sich aufmerksam und wird gebucht. O<strong>de</strong>r bekommt Aufträge für Installationen, Theatermusik, Filmmusik etc. Es geht kaum noch jemand auf Tour, um ‘ne Platte zu promoten.« »123ABC«, ihr neues Mini-Album, wird konsequenterweise gar nicht auf CD, son<strong>de</strong>rn nur per Download o<strong>de</strong>r auf Vinyl erhältlich sein. Radikal digital: Kitty-Yo Das Berliner Label Kitty-Yo setzt seit drei Jahren fast ausschließlich auf die digitale Veröffentlichung – ein Trend, <strong>de</strong>m immer mehr kleinere Labels folgen. Um ins Büro von Labelgrün<strong>de</strong>r Raik Hölzl zu gelangen, muss man trotz<strong>de</strong>m Norbert Rudnitzky (Head of Downbeat, Warner): Mich stören grundsätzlich zwei Sachen an <strong>de</strong>r Darstellungsweise dieser Radiohead-Geschichte: 1. Wenn behauptet wird, die Band hätte mit dieser Aktion mehr verdient als mit je<strong>de</strong>m noch so gut dotierten Major-Vertrag. Das stimmt faktisch nicht. Weil man dabei ausblen<strong>de</strong>t, dass die ja auch eine Administration, eine Organisation und die ganze Logistik brauchen, um das alles abzuwickeln. Ich glaube nicht, dass eine Band wie Radiohead auf diese Weise mehr Geld machen konnte, als wenn sie <strong>de</strong>n Weg über eine Plattenfirma gegangen wäre. 2. Was bei so was immer gerne vergessen wird: Das Musikgeschäft funktioniert ja auf <strong>de</strong>r Basis eines Generationsvertrags. Auch die Radioheads haben ihre ersten Produktionsvorschüsse und Budgets für Vi<strong>de</strong>odrehs nur bekommen können, weil es in <strong>de</strong>r Plattenfirma eine Band gab, die viele Platten verkauft hat, also entsprechend das nötige Geld überhaupt verdient hat. Am Anfang verdienen Bands oft jahrelang überhaupt nichts. Wenn sich da jetzt alle, die es geschafft haben, ausklinken und es selber machen – wie sollen die Plattenfirmen dann noch Newcomer- Bands finanzieren? Wie soll das System aussehen, damit die, die jetzt nachkommen, die gleichen Chancen bekommen wie die, die jetzt groß sind? Das Mo<strong>de</strong>ll von Radiohead kann doch nicht im Interesse <strong>de</strong>rer sein, die Musik konsumieren, hören und lieben. erst mal durch ein Lager voller CDs und Schallplatten. Eine Erinnerung an jene Zeiten, als sich <strong>de</strong>r physische Markt noch rentierte. Die scheinen plötzlich allerdings Lichtjahre entfernt: Hölzl teilt sich heute einen Raum mit drei Mitarbeitern und zwei Riesenschnauzern. Früher arbeiteten hier doppelt so viele Leute in größeren Räumlichkeiten. Insofern macht er sich nichts vor: Von <strong>de</strong>n Tonträgerabsätzen allein kann er längst nicht mehr existieren, »es waren aber sowieso schon immer an<strong>de</strong>re Sachen als die Releases, die das Geld gebracht haben: Compilation-Lizenzierungen, <strong>de</strong>r Verkauf von Synchronisationsrechten an Filme, TV-Spots o<strong>de</strong>r -Serien usw., die sogenannte Zweit- und Drittverwertung.« Offensichtlich wird es für Labels immer wichtiger, sich in diese Richtung zu orientieren, wenn man am Ball bleiben will. »Wir haben uns ein Netz von Agenturen, Filmfirmen und auch Markenartiklern aufgebaut, die wir regelmäßig bemustern«, erzählt Hölzl. »<strong>Als</strong> dann 2005 die ersten nennenswerten digitalen Sales passierten, stellte sich die Frage: Wenn die meisten Veröffentlichungen ohnehin – überspitzt gesagt – nur einen Promocharakter haben, dann kann man sich doch diesen ganzen Rattenschwanz sparen, <strong>de</strong>r dazu führt, dass bei 4.000 bis 5.000 verkauften CDs noch kein Pfennig Gewinn entsteht. Da macht man es doch lieber radikal digital only, erreicht damit die gleichen und im I<strong>de</strong>alfall sogar mehr Leute.« Die konsequente digitale Verbreitung wirkt sich laut Hölzl so stark auf die Bekanntheit <strong>de</strong>r Künstler aus, dass man bei Kitty-Yo schon an <strong>de</strong>n nächsten Schritt <strong>de</strong>nkt: <strong>de</strong>n Gratisdownload bzw. die Einbindung in ein Abonnement, das <strong>de</strong>m Kun<strong>de</strong>n Musik für eine periodische Gebühr zur Verfügung stellt. »Ich glaube, dass das digitale Verkaufen eine kurze Übergangsphase sein wird. Es wird eher so sein, dass man in <strong>de</strong>r Zusammenarbeit mit Markenartiklern Geld verdienen wird, nicht mehr mit <strong>de</strong>m Verkauf an <strong>de</strong>n Endkonsumenten.« Schon jetzt gibt es werbefinanzierte Websites, die Musik gratis zur Verfügung stellen – die Labels und somit die Künstler wer<strong>de</strong>n dabei an <strong>de</strong>n Werbeeinnahmen beteiligt. Und trotz<strong>de</strong>m ist es unwahrscheinlich, dass <strong>de</strong>r legale Download <strong>de</strong>r CD so schnell <strong>de</strong>n Rang ablaufen wird, wie einige annehmen. Noch können sinken<strong>de</strong> Verkäufe so nicht wirklich kompensiert wer<strong>de</strong>n – vor allem dann, wenn die Industrie weiterhin <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>n mit restriktiven Codierungen verunsichert. Es sollte klar sein, dass sich <strong>de</strong>r Radiohead-Coup so schnell nicht wie<strong>de</strong>rholen dürfte. Und doch zeigt er, dass neue Strategien erfor<strong>de</strong>rlich sind, wenn Labels auch weiterhin neue Künstler ent<strong>de</strong>cken und för<strong>de</strong>rn wollen. Das sture Absichern <strong>de</strong>r eigenen Pfrün<strong>de</strong> ist je<strong>de</strong>nfalls jetzt schon zum Scheitern verurteilt.
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