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074 Film<br />

Der Regisseur flüstert <strong>de</strong>n Text zu<br />

≥ Es ist eine kreisförmige Bewegung. Alte DDR-Schulbücher<br />

quellen aus <strong>de</strong>n Abfalltonnen <strong>de</strong>r Papier-Recyclingfabrik.<br />

Bücher wie »Die Geschichte <strong>de</strong>r kommunistischen<br />

Partei« wer<strong>de</strong>n zur Lektüre <strong>de</strong>r Crew während <strong>de</strong>r Pausen.<br />

Die Hitze macht allen zu schaffen. Das Stöhnen <strong>de</strong>r Beteiligten<br />

ist asynchron. Doch hier gibt es gera<strong>de</strong> das perfekte<br />

Licht – fern <strong>de</strong>r Kunstlichtsonne. Wir sind Zeugen einer<br />

dramaturgisch nicht unwichtigen Szene: Me<strong>de</strong>a (Katharina<br />

Klewinghaus) spricht auf ihrem Spaziergang durch <strong>de</strong>n<br />

Müll eine O<strong>de</strong> auf die Aborte unserer Konsumgesellschaft.<br />

Und Bruce LaBruce agiert als Souffleur, um die Brüche ihres<br />

nahezu ewig andauern<strong>de</strong>n Monologs über <strong>de</strong>n Wegwerfwahn<br />

<strong>de</strong>r Welt im Allgemeinen – und Amerikas im<br />

Beson<strong>de</strong>ren – aufzuheben. Amerika produziert sehr viel<br />

Müll, es sind Millionen von Fußballfel<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>n Tag. Und<br />

da kommt Me<strong>de</strong>a etwas ins Stottern bei dieser Passage.<br />

Vielleicht <strong>de</strong>nkt sie an Al Gore, sodass die Übertragung<br />

misslingt. Die sexualpolitische Dimension <strong>de</strong>s schwul-lesbischen<br />

Films spielte schon in <strong>de</strong>n ersten frühen Super-8-<br />

Filmen von LaBruce eine Rolle, in <strong>de</strong>nen er die Obsessionen<br />

für das Pornografische an eine eigene Bil<strong>de</strong>rästhetik<br />

band. In Toronto war LaBruce in <strong>de</strong>n 1980er-Jahren Teil<br />

<strong>de</strong>r entstehen<strong>de</strong>n Gay-Punk-Bewegung, die aufgrund ihres<br />

Außenseiterdaseins die Massenkultur bekämpfte. Der<br />

Zusammenhang von visueller Orchestrierung und pornografischer<br />

Ikonografie fand seinen grundsätzlichen Kompositionsplan<br />

dann En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1980er-Jahre im damals entstehen<strong>de</strong>n<br />

New Queer Cinema. Neben LaBruce zählen u.<br />

a. Derek Jarman, Todd Haynes, Gus Van Sant dazu. Dass<br />

dieses Kino eine Reaktion auf die Krise klassischer Konzepte<br />

<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätspolitik war, mag man schon nicht mehr<br />

wie<strong>de</strong>rholen. Das Genre hat sich gewan<strong>de</strong>lt und in unterschiedliche<br />

Subgenres aufgeteilt.<br />

Während Me<strong>de</strong>a am Set umherschweift, erinnere ich<br />

mich an ein graues und milchiges Herbstlicht, das durch<br />

die Fenster <strong>de</strong>r Volksbühne in Berlin zu dringen versucht.<br />

Bruce LaBruce hielt einen Vortrag auf <strong>de</strong>r »Post-Porn«-<br />

Konferenz. Frei und spontan. Sehr nach<strong>de</strong>nklich präsentierte<br />

er sich dort, verlieh seiner Traurigkeit über eine<br />

≥<br />

Cheap Blacky<br />

EIN PAAR BEMERKUNGEN ZUM<br />

QUEEREN THEATER<br />

<strong>Als</strong> das Publikum <strong>de</strong>n restlos ausverkauften Saal <strong>de</strong>s<br />

Hebbel-Theaters betritt, hat »Cheap Blacky« schon angefangen.<br />

In exaltiertem Englisch referiert eine Aka<strong>de</strong>miker-Schwuchtel<br />

an einem Vortragspult an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r<br />

Bühne endlos ausge<strong>de</strong>hnt analytischen Gossip: Fassbin<strong>de</strong>r<br />

und Pasolini, Schauspielerinnen-Diven und ihre Liebhaber,<br />

Camp und Politik, die 70er-Jahre ... Dieses ausgestellte<br />

Sprechen <strong>de</strong>s aka<strong>de</strong>mischen Nerds wird in <strong>de</strong>n<br />

nächsten Minuten <strong>de</strong>r Soundtrack zu <strong>de</strong>n schattenhaften<br />

Betätigungen auf <strong>de</strong>r in blaues Licht getauchten Bühne<br />

sein. Wir befin<strong>de</strong>n uns im Kreise einer bürgerlichen Familie<br />

mit Vater, Mutter, Sohn und einem großen, farbigen<br />

Hausmädchen. Dann wird ein Koffer hereingetragen, aus<br />

<strong>de</strong>m ein nackter Hustler entsteigt.<br />

Der überraschen<strong>de</strong> Gast als Fremdkörper <strong>de</strong>r Familie<br />

und produktiver Virus, <strong>de</strong>r alle verdrängten Begehren aufbricht<br />

und damit die selbst-unterdrückerische Gemeinschaft<br />

durch eine sexuelle Katharsis heilt – das Thema<br />

aus Pasolinis Film »Theorem« (1968) gibt Bruce LaBruce<br />

die Struktur seiner so mo<strong>de</strong>rnen wie queeren Interpretation,<br />

die auf eine an<strong>de</strong>re Kunstfilmreferenz <strong>de</strong>r gleichen<br />

Ära trifft: Fassbin<strong>de</strong>rs »Whity« (1971). »<br />

Für dieses Set-up hat <strong>de</strong>r kanadische Regisseur offensichtlich<br />

die richtige Truppe gefun<strong>de</strong>n. Neben <strong>de</strong>r afroamerikanischen<br />

Drag-Quenn-Ikone Vaginal Davis, <strong>de</strong>m<br />

Zeichner, Mo<strong>de</strong>l und Künstler Christophe Chemin o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r auch auf <strong>de</strong>r Bühne aktiv die SchauspielerInnen umfrisieren<strong>de</strong>n<br />

Make-up-Tunte Tanh Bin Nguyen bil<strong>de</strong>t beson<strong>de</strong>rs<br />

das Berliner Performance-Kollektiv Cheap Klub<br />

<strong>de</strong>n irren Kern <strong>de</strong>r Besetzung. Vermutlich ist es ein gewöhnlich<br />

blöd-<strong>de</strong>utsches Phänomen, dass Cheap Klub<br />

außerhalb Berlins noch wenig bekannt ist. Seit die Gruppe<br />

um Daniel Henricksen, Marc Siegel und Susanne Sachsse<br />

2002 queere, psyche<strong>de</strong>lische Partys veranstaltet hat, ticken<br />

für alle, die dabei waren, die sexuellen Uhren etwas<br />

an<strong>de</strong>rs. Insi<strong>de</strong>rn wird das Repertoire aus postpornografischen<br />

Gesten, Drag, queeren Befreiungsversprechen,<br />

Musical-Camp und schwuler Hipness teilweise bekannt<br />

vorkommen. Doch all diese Ingredienzien auf <strong>de</strong>r Theaterbühne<br />

konsequent und smart bis zum Anschlag überlappen<br />

zu lassen, das hat man selten gesehen. Am En<strong>de</strong> von<br />

zehn Mini-Akten steht eine fast spirituelle Befreiung, die<br />

brillant albern inszeniert ist und glücklicherweise auch<br />

die Überladung all <strong>de</strong>r Zitate, Bil<strong>de</strong>r und Diskurse in einer<br />

vielschichtigen Klimax auflöst. Das Publikum klatscht und<br />

lacht, ist geschockt und staunt. Drei ausverkaufte Vorstellungen<br />

und weitere in Hamburg, Zürich und Wien lassen<br />

sogar auf ein Follow-up hoffen. Der heterosexuellen Langeweile<br />

<strong>de</strong>s Kulturbetriebs wäre es zu wünschen.<br />

Tim Stüttgen

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